Mit dem europäischen Grünen Deal bekennt sich die EU zu den Pariser Klimazielen: Bis 2050 soll die Wirtschaft klimaneutral werden. Das bedeutet auch einen Wandel für die Automobilindustrie in Europa, die besonders wegen der vielen Arbeitsplätze einen wichtigen Stellenwert hat. Neben Elektroautos muss der öffentliche Personennahverkehr ausgebaut werden, damit Mobilität nachhaltig gestaltet wird.
Ein Beitrag von Luisa Maschlanka
Wo soll es hingehen für VW & Co.? Am besten ins Grüne
Der Transportsektor gilt als einer der Bereiche, in denen es besonders schwierig ist, CO2-Emissionen zu reduzieren. Wachsende Mobilitätsbedürfnisse und ein geringer Anteil an Elektrofahrzeugen, besonders im Straßenverkehr, sorgen dafür, dass die Emissionen in Europa seit 1990 im Durchschnitt um 19 Prozent gestiegen sind. In vielen EU-Mitgliedstaaten liegt der Zuwachs sogar deutlich darüber.
Der Großteil der Emissionen im Transportsektor wird durch PKWs verursacht. Die Transformation hin zu klimaneutraler Mobilität trifft daher besonders die Automobilindustrie: Sie muss mehr Elektroautos verkaufen und auch in der Produktion der Fahrzeuge nachhaltiger werden.
Zwar stieg der Verkauf von Elektrofahrzeugen in den vergangenen Jahren kontinuierlich an, aber insgesamt haben weniger als 5 Prozent aller Autos auf Europas Straßen einen Elektroantrieb – mit starken Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten.
Laut einer Studie der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2018 müssen allerdings schon im Jahr 2040 alle neu produzierten Autos komplett emissionsfrei sein, damit der Transportsektor 2050 klimaneutral wird und die Pariser Klimaziele erreicht werden können. Hinzu kommt, dass zwar zwei Drittel aller Automobilhersteller eine Strategie für die Entwicklung von Elektrofahrzeugen haben, allerdings ist diese nur bei knapp der Hälfte auch in eine Nachhaltigkeitsstrategie eingebettet.
Eine solche Strategie würde dafür sorgen, dass auch die Herstellung der Autos, z.B. der Batterien so ressourcenschonend wie möglich ist. Auch wenn daher Einigkeit herrscht, dass der Verbrennungsmotor kein Modell für die Zukunft ist, so ist der Einstieg in nachhaltige Mobilität angesichts der genannten Zahlen noch nicht gemacht.
Automobilindustrie in vielen EU-Mitgliedstaaten wichtiger Industriezweig
Sieben Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) entfallen auf die Automobilindustrie und rund 13.3 Millionen direkte und indirekte Arbeitsplätze hängen von ihr ab. Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene wurden daher bereits einige Initiativen ins Leben gerufen, um die Industrie nachhaltiger und damit zukunftsfähig zu machen.
Einerseits verschärfte die EU im vergangenen Jahr die CO2 Grenzwerte für neue PKWs, andererseits unterstützt sie z.B. mit Horizon 2020 Forschung und Innovation zur Förderung nachhaltiger Fahrzeuge. Der Ende 2019 verabschiedete europäische Grüne Deal enthält noch weitere Maßnahmen, um Mobilität nachhaltiger zu gestalten. Am 03.09 verkündete die Europäische Kommission beispielsweise den Start der Raw Materials Industrial Alliance, die auf den positiven Erfahrungen mit der European Battery Alliance aufbaut und die Versorgung mit kritischen Rohstoffen für die nachhaltige und digitale Transformation sicherstellen soll.
Darüber hinaus unterstützen etliche Mitgliedstaaten den Kauf von Elektrofahrzeugen mit Umweltrabatten. In Deutschland nahm zudem 2018 die von der Bundesregierung eingesetzte Nationale Plattform Zukunft der Mobilität ihre Arbeit auf. Ziel der Multi-Stakeholder Plattform ist es, Strategien für ein klimaneutrales Verkehrssystem und flexible und bezahlbare Mobilität zu entwickeln.
Angesichts der Auswirkungen der Corona-Pandemie, die zu einem Rückgang der Aufträge und zu zahlreichen Werksschließungen geführt hat, drängten jedoch viele Automobilhersteller darauf, die CO2-Grenzwerte wieder aufzuweichen und den Kauf jeglicher Fahrzeuge durch Subventionen zu unterstützen.
Da es sich bei den Grenzwerten um Durchschnittswerte handelt, die für die gesamte Autoflotte gelten, würde ein Rückgang der Aufträge aber nicht unbedingt einen Verstoß gegen die neuen Grenzwerte bedeuten, da es lediglich auf den Anteil an Elektrofahrzeugen bzw. den Anteil an Autos mit niedrigen Emissionen in der Flotte ankommt. Außerdem zeigen laut Julia Poliscanova, Leiterin des Bereichs für Elektromobilität der europäischen Umweltvereinigung, Transport & Environment, die Erfahrungen, die nach der Finanzkrise 2008 gemacht wurden, dass Subventionen ohne Auflagen, z.B. mit Blick auf den Diesel-Skandal bei VW, nicht in zukunftsweisende Projekte fließen.
Es muss ein integriertes Verkehrskonzept entwickelt werden
Die Regierungen der Mitgliedstaaten sollten die Hilfen daher vor allem dazu nutzen, um die Produktion CO2-freier Fahrzeuge stärker zu fördern. Den Wandel jetzt voranzutreiben könnte später einen Bruch verhindern, etwa wenn durch steigende CO2-Grenzwerte und Produktion von Elektrofahrzeugen der Verkauf und die Produktion von Verbrennungsmotoren rasch abnehmen, was dann besonders zulasten der Arbeitnehmer*innen gehen würde. So zielt z.B. der Vorschlag der Europäischen Kommission für einen Wiederaufbaufonds darauf ab, Kredite und Zuschüsse an die Ziele des europäischen Grünen Deals zu knüpfen.
Auch die spanische Regierung verabschiedete im Juni einen Plan zur Förderung der Wertschöpfungskette der Automobilindustrie hin zu einer nachhaltigen und vernetzten Mobilität, der staatliche Hilfen an den Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge und an Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für Arbeitnehmer*innen bindet.
Ebenfalls im Juni startete in Deutschland der Transformationsdialog Automobilindustrie, der den nachhaltigen Strukturwandel der Automobilindustrie vorbereiten soll. Mit der von der Bundesregierung entwickelten Wasserstoffstrategie soll außerdem dafür gesorgt werden, dass genügend grüner Wasserstoff bereit steht, der z.B. Diesel als Treibstoff in LKWs für den Transport großer Lasten und für lange Strecken ersetzen kann.
Um angesichts des steigenden Mobilitätsbedürfnisses die CO2-Emissionen senken zu können, kann es jedoch nicht allein darum gehen, den Autoverkehr zu elektrifizieren. Stattdessen muss ein Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) vorangetrieben werden. Da beispielsweise in einem Bus wesentlich mehr Menschen mitfahren können, als in einem normalen PKW, würde das nicht nur zu geringeren CO2-Emissionen führen, sondern auch die Straßen deutlich entlasten.
Es kann nicht „entweder – oder“ heißen – es braucht ein integriertes Verkehrskonzept, das auch neue Formen der Mobilität („on-demand“) mitbeachtet und diese reguliert, sodass sie nicht in Konkurrenz zum ÖPNV angeboten werden. So sind Fahr- oder Sharing-Dienste wie Uber, in großen Städten konzentriert, in denen der ÖPNV gut ausgebaut ist. Die Mehrheit der Menschen, die sich dort ein Uber-Taxi bestellen, hätten andernfalls die öffentlichen Verkehrsmittel oder das Fahrrad benutzt oder wären zu Fuß gegangen. Statt die CO2-Emissionen zu reduzieren, hat Uber deshalb dazu geführt, dass die Emissionen in mehreren großen Städten sogar gestiegen sind. In dünner besiedelten ländlichen Regionen, in denen der ÖPNV nicht so gut ausgebaut ist, könnte der Ausbau von Sharing-Angeboten und “on-demand”-Diensten dagegen sinnvoll sein.
Langfristig arbeitnehmer*innenfreundliche Maßnahmen unterstützen
Damit ein nachhaltiger Umbau auch gesellschaftlich akzeptiert wird, müssen zudem soziale Aspekte, wie die Bezahlbarkeit von Elektroautos und ÖPNV und die Unterstützung der Arbeitnehmer*innen stärker im Fokus der Regierungen stehen.
Da die Herstellung von Elektrofahrzeugen weniger arbeitsintensiv ist, sollten die Arbeitnehmer*innen in den betroffenen Werken Zugang zu Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten haben – idealerweise bereits wenn sie sich noch im Arbeitsleben befinden.
So haben sich z.B. in Schweden mehrere Unternehmen und Gewerkschaften aus Industriesektoren zusammengetan und ein landesweites System zur Validierung von Kompetenzen aufgebaut. Für verschiedene Branchen werden jeweils die erforderlichen Kompetenzen ermittelt. Arbeitnehmer*innen haben dann die Möglichkeit, sich dort entsprechend weiterzubilden oder sich Kompetenzen bescheinigen zu lassen. Auch hier stellt sich allerdings die Frage, wie die Weiterbildungen finanziert werden und ob Arbeitnehmer*innen sich dafür frei nehmen können.
Ausblick für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft
Im Rahmen des europäischen Grünen Deals wird die Kommission noch in den kommenden Monaten Maßnahmen zur Förderung nachhaltiger Mobilität voranbringen. Auch die deutsche Bundesregierung hat in ihrem Programm für die EU-Ratspräsidentschaft angekündigt, die Kommission dabei unterstützen zu wollen. Dabei steht der Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur im Vordergrund.
Damit der Transportsektor deutlich nachhaltiger wird, braucht es jedoch Maßnahmen in weiteren Bereichen, wie im ÖPNV oder zur Regulierung von “on-demand”-Diensten wie oben beschrieben. Außerdem müssen auch die Bedürfnisse der Arbeitnehmer*innen berücksichtigt werden. Parallel zum europäischen Grünen Deal möchte die Europäische Kommission daher in ihrer Amtszeit die europäische Säule sozialer Rechte umsetzen.
Die Säule, das sind 20 (noch) unverbindliche Grundsätze, die die Arbeitsmärkte und Sozialsysteme der Mitgliedstaaten stärken sollen und jeder*m Bürger*in bestimmte soziale Rechte garantieren, u.a. auch das Recht auf allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen (Artikel 1). In diesem Bereich sollte sich die Bundesregierung daher ebenfalls während ihrer Ratspräsidentschaft und gemeinsam mit der portugiesischen und slowenischen Regierung im Rat der EU für hohe Standards bei der Aus- und Weiterbildung einsetzen, sodass alle Arbeitnehmer*innen die Möglichkeit haben, sich auf nachhaltige Produktionsweisen vorzubereiten.
Bis Ende des Jahres veröffentlichen wir auf dem Polis Blog exklusive Beiträge auf deutsch und englisch im Rahmen unseres neuen Projekts Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft von jungen Europaexpert*innen analysiert. Unser Fokus liegt dabei auf die priorisierten Themen der deutschen Ratspräsidentschaft wie Klimawandel, der Umgang mit Einschränkungen von Pressefreiheit und Justiz z.B. in Belarus, der Europäische Aufbauplan, Brexit, Digitalisierung, Multilateralismus sowie Rechtsstaatlichkeit.
Das Projekt wird gefördert vom Auswärtigen Amt.
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Bildquelle via Luisa Maschlanka
Key Takeaways
Time for more sustainable mobility and just transition!
For all we know, transport emissions contribute a lot to greenhouse emissions, as this is the sector with the most difficulty to reduce CO2 not only for the growing mobility demand. In fact, the automotive industry must sell more electric cars and produce more sustainable mobility by expanding public transport and at the same time protecting European workers from losing their jobs due to the pandemic or in the long run due to climate change.
During the ongoing COVID-19 recession, the demand for resources decreased (e.g. decrease in orders) and factories were shutting down, which is why the car lobby calls for easing emissions and subsidies. But technological transformation (e.g. charging infrastructures for electric vehicles) should also imply comprehensive measures for employees (e.g. educational programmes).
According to the European Environment Agency, only less than 5 percent e-cars are on Europe’s streets right now. But in order for the transport sector to be carbon-neutral by 2050, a EC study shows that by 2040 all new produced cars must be zero-emissions vehicles. Yet, only two-thirds of automobile manufacturers have a strategy to produce electric cars with only 50 percent prioritising sustainability strategies.
The EU’s strategy for climate-neutral economy (European Green Deal) suggests a lot of advancements. But electric vehicles or the hydrogen strategy can’t be the only solution: expanding public transport must be on the agenda of all EU member states. The German Presidency of the EU Council must therefore push for social and sustainable climate change within the automotive industry in Europe.
Luisa hat im Master europäische Politik an der Masaryk Universität in Brno (Tschechien) und an der Utrecht Universität (Niederlande) studiert. Seit März 2020 ist sie bei Polis180 im Programm Europäische Identität aktiv.