Polisblog
16. September 2021

„100 Jahre Kommunistische Partei Chinas – Revolution, Reform und Realpolitik“

Am 24. August 2021 veranstaltete unser Programm connectingAsia eine Podiumsdiskussion zum 100. Jubiläum der KPCh. Katja Drinhausen, Dr. Marina Rudyak und Prof. Dr. Gunter Schubert diskutierten dabei mit uns über Strategien, Narrative und Technologien, mit denen sich die Partei legitimieren will: innenpolitisch, international und im digitalen Raum.

Ein Bericht von Etienne Höra und Frederik Schmitz

 

Anlass und Grundlage der Diskussion war das Polis-Paper N° 14 Zwischen Revolution, Reform und Realpolitik: Die Kommunistische Partei Chinas zu ihrem 100. Jubiläum, das wir im August 2021 veröffentlicht haben.

 

Die Partei auf der Suche nach Legitimation

Gunter Schubert stellte einen Essay zu Legitimierung und Legitimität der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) vor. Diese wolle sich in China weiterhin als alternativlos behaupten, wobei Bemühungen, legitimierende Narrative zu kontrollieren, sich durch die COVID-19-Pandemie verdichtet hätten. Die KPCh verweise auf die Effizienz eines politischen Systems, in dem ein starker Zentralstaat durch entschlossenes Handeln die Funktionsfähigkeit der chinesischen Wirtschaft in kürzester Zeit wiederhergestellt habe. 

Auf dieser Grundlage fühle sich die Partei berechtigt, so der Autor des Essays,  internationale Kritik an ihrer Regierungsführung zurückzuweisen und die Anerkennung ihrer legitimen Ansprüche einzufordern. Gleichzeitig habe Peking einen rigorosen Abschottungskurs gegen das Ausland angestoßen, vorgeblich, um den Reimport von Viren zu verhindern. 

Es sei zudem extrem schwierig, in China verlässliche Daten zu Legitimität im Sinne eines in der Bevölkerung vorhandenen Legitimitätsglaubens zu erheben. Da hier keine Feldforschung von außen möglich sei, gebe es (ohnehin) im Westen viel Spekulation über den Zustand des chinesischen politischen Systems. Die Forschungssituation sei durch die zunehmende Isolation der letzten Jahre deutlich erschwert worden: Kooperationen mit ausländischen Forschenden stelle für lokale Kader ein immer größeres Risiko dar. 

Da es keine realpolitische Möglichkeit gebe, das Narrativ der KPCh zu verlassen, fordern politische Akteur*innen in China allenfalls systemimmanente Verbesserungen. Zu solchen Veränderungen trage auch der wachsende „Feedbackstaat“ bei: die zunehmende Möglichkeit für Bürger*innen, öffentliche Dienstleistungen zu bewerten. Hier entstehe teilweise großer öffentlicher Druck auf Parteikader, der dazu führe, dass der Staat im Sinne gesellschaftlicher Bedürfnisse handele. Dieser Aspekt werde oft nur peripher wahrgenommen, sei aber entscheidend für das Verhältnis vieler Chines*innen zum Staat, das eher von alltäglichen Bedürfnissen als von der Elitenpolitik in Peking geprägt sei.  

Zentrales Herrschaftsinstrument der KPCh sei eine Top-Down-Politik, die fernab der dezentralen Ägide von Xis Vorgänger Hu Jintao agiere. Mit dem Ende der Ära Hu Jintaos habe sich die Überzeugung durchgesetzt, dass ein weiterführender dezentraler Kurs die Macht der Partei gefährde. Statt eine Politik zuzulassen, die sich lokalen Gegebenheiten anpasst, seien die politischen Vorgaben unter Xi enger geworden und führten zu einer Paralysierung lokaler Kader. Da hierdurch aber auch die Innovationsfähigkeit und das Wirtschaftswachstum gebremst würden, gebe es inzwischen, so Gunter Schubert, einen Zwang zu lokalen Experimenten.   

 

Die Partei im digitalen Raum 

Katja Drinhausen analysierte die digitalen Maßnahmen der KPCh zur Sicherung der eigenen Legitimität.

Digitalisierung und Modernisierung stützen, laut der Expertin für chinesische Innenpolitik, das autoritäre System durch eine Veränderung der Kommunikationsstrukturen, aber auch der öffentlichen Verwaltung – gerade in einem Land, das weiterhin stark von enormen Entfernungen geprägt sei. Hier ergebe sich für Bürger*innen und Unternehmen ein positiver Nutzen durch den Abbau von Hindernissen insbesondere im ländlichen Raum. 

Themen der Digitalisierung haben sich aber auch als Risikofaktoren für das politische System herausgestellt. Die Partei habe mit dem Aufbau eines Systems zum Blockieren und Zensieren von Online-Inhalten reagiert, das Kritik am Einparteienstaat unterdrückt. Die MeToo-Bewegung habe sich beispielsweise nur eingeschränkt online äußern können, da viele der von ihr aufgegriffenen Themen von der Partei als eine potenzielle Bedrohung für den sozialen Frieden wahrgenommen würden. 

Denn die Partei sieht sich als zentrale Instanz, die soziale Probleme identifiziert und bearbeitet. Neben der Zensur kritischer Inhalte im digitalen Raum, habe die Partei auch eine gut ausgestattete eigene Kommunikationsoffensive gestartet, etwa durch eine eigene App zur Verbreitung der „Xi-Jinping-Gedanken zum Sozialismus in einem neuen Zeitalter“.

Das 2014 vorgestellte Sozialkreditsystem fördere konformes Verhalten der Bürger*innen, sei aber nicht Kern des Überwachungsstaates, so Drinhausen. Dieser setze vielmehr weiterhin stark auf menschliche Agent*innen in physischen Strukturen wie etwa Arbeitseinheiten. Dabei wird die menschliche Komponente unaufhaltsam durch Künstliche Intelligenz (KI) ersetzt (Kameraüberwachung, Gesichtserkennung und spezielle Apps für lokale Kader). 

Diese deutlich weniger regulierten Technologien würden gerade in Minderheitenregionen wie Xinjiang und zur Überwachung von Gruppen wie Drogenabhängigen und Straftäter*innen genutzt. Das Sozialkreditsystem sei dagegen relativ streng reguliert: Die meisten negativen Kriterien basierten auf Gesetzen, etwa zur Betrugsvermeidung sowie zur Bekämpfung von Missbrauch auf lokaler Ebene. Die KPCh setze somit bis heute eher auf einer Rechts- als auf eine Moralkontrolle – schließlich sei auch die Kinderfürsorge der Eltern inzwischen rechtlich verankert. 

 

Die Partei erobert globale Diskursräume

Marina Rudyak präsentierte die Rolle der Partei in der Welt, die sich unter Xi Jinping grundlegend gewandelt habe: weg von Deng Xiaopings Maxime, die eigenen Fähigkeiten zu verstecken, hin zu einer Strategie des „Strebens nach Erfolgen“. Ideologisch entscheidend seien hier die „Xi-Jinping-Gedanken zur Außenpolitik“. Dieses Konzept, von Staatsmedien international als „Xiplomacy“ vermarktet, beansprucht für sich eine Neuordnung der Internationalen Beziehungen, die geteilten Nutzen und eine „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“ in den Vordergrund stellen will. 

Statistische Textanalysen von offiziellen Äußerungen zeigen, dass Multilateralismus seit der Amtszeit Xi Jinpings relevant wird. Die Partei versuche nämlich zunehmend, Deutungshoheit über den „wahren Multilateralismus“ und andere Begriffe der Internationalen Beziehungen zu gewinnen. Dabei wolle sie das regelbasierte westlich-liberale Modell durch ein beziehungsbasiertes ersetzen, das auf unterschiedlichen Interessen in einer losen übergeordneten Agenda existiere. 

Laut Rudyak seien sich viele westliche Akteur*innen gar nicht bewusst, dass die gleichen Begriffe in China oft mit einer anderen Bedeutung besetzt werden, und überschätzten deshalb das Ausmaß geteilter Werte und Interessen. Das Projekt Decoding China Dictionary arbeite daran, hier mehr Klarheit zu schaffen. 

Als problematisch zu betrachten ist weiterhin die Tatsache, dass die chinesischen Deutungen teilweise unkritisch aufgegriffen werden, zum Beispiel Xis Multilateralismusbegriff, den Klaus Schwab auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos lobte, oder eine UN-Resolution, die die Bemühungen hinsichtlich einer community of shared future for humankind hervorhebt. 

Die Kritik seitens Chinas thematisiere relevante Probleme auf globaler Ebene, etwa die andauernde Ungleichheit zwischen entwickelten und weniger entwickelten Ländern, die sich auch in der ungerechten Verteilung von COVID-19-Impfstoffen zeige. Daraus folge aber nicht automatisch, dass der chinesische Entwurf überlegen sei; vielmehr müssten strukturelle und systemische Probleme angegangen werden. 

 

Was nehmen wir mit? Schlusswörter unserer Diskutant*innen

Katja Drinhausen: „Die Partei ist immer wieder zu politischer Innovation fähig. Sie pflegt erfolgreich den Mythos, es gebe ‚ohne die KP kein neues China‘ und versucht, eine perfekte Kongruenz zwischen Partei und Volk zu suggerieren. Die KPCh nutzt insbesondere in den letzten Jahren neue Technologien und rechtliche Regulierungen, um Parteiziele in Innen- und Außenpolitik umzusetzen, individuelle Freiräume einzugrenzen und mit ideologischen Inhalten auszufüllen. Diese Strategien erzeugen durchaus Resilienz. Die großen Investitionen und eingesetzten Ressourcen in politische Kontrolle zeigen gleichzeitig, dass dem nach wie vor ein hohes Potenzial zur Selbstorganisation und Kritik vonseiten der Gesellschaft entgegenstehen“.

Marina Rudyak: Die Partei strebe nach Diskurshoheit in den Internationalen Beziehungen und verzeichne einige Public-Diplomacy-Erfolge, etwa im Kontext der COVID-19-Impfkampagne oder durch Kritik am internationalen Einsatz in Afghanistan. Die Gründe für diese Öffentlichkeitserfolge seien aber auch in schlechter europäischer Public Diplomacy zu sehen – hier sollten die eigenen Erfolge und Beiträge zu Entwicklung und Stabilität hervorgehoben werden.

Gunter Schubert: “Das chinesische politische System ist bis auf Weiteres stabil. Daraus folgt die Zukunftsfrage, wie man sich intelligent bzw. konstruktiv mit dieser Kraft auseinandersetzen kann. Die gegenwärtige Diskussion bleibt in der geopolitischen Antinomie des 19. und 20. Jahrhunderts verhaftet. Es gibt keine politische Sprache und keine Strategien, die diese konfrontative Logik eines ’showdowns‘ aufbrechen könnten. Stattdessen braucht es neue Konzeptionen eines verhandlungsorientierten Umgangs mit China, unabhängig davon ob das politische System mit den eigenen Werten kompatibel ist”. 

Wir teilen die von Gunter Schubert aufgeworfene Kritik einer fehlenden Strategie im Umgang mit China ausdrücklich. In diesem Sinne sehen wir auch unser im August 2021 erschienenes Polis-Paper N° 14 Zwischen Revolution, Reform und Realpolitik: Die Kommunistische Partei Chinas zu ihrem 100. Jubiläum als einen wichtigen Beitrag hin zu einer kohärenten und strategischen Positionierung gegenüber der Volksrepublik. Ziel von connectingAsia ist es, zukünftig an einer solchen Strategie zu arbeiten, um gegenüber China entschlossen und selbstbewusst aufzutreten. 

 

Polis Blog ist eine Plattform, die den Mitgliedern von Polis180 & OpenTTN zur Verfügung steht. Die veröffentlichten Beiträge stellen persönliche Stellungnahmen der AutorInnen dar. Sie geben nicht die Meinung der Blogredaktion oder von Polis180 e.V. wieder.

Bildquelle via Frederik Schmitz

 

Etienne studiert International Affairs an der Hertie School. Zu seinen Forschungsinteressen gehören regionale Integration in Asien und Europa, sowie Völkerrecht und Menschenrechte in einer pluralistischen Weltordnung. Bei Polis180 koordiniert er neben seinem Engagement im Programm connectingAsia, das junge akademische Journal PolisReflects.

Frederik hat Sinologie in Köln und Tübingen studiert und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Nutzung von Erinnerungen als politische Legitimationsstrategie in China. Im Polis180-Programm connectingAsia organisiert Frederik außerdem einen Buchclub.

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