Mit der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) soll in Asien die größte Freihandelszone der Welt entstehen. Sie umfasst nicht nur 30 Prozent der weltweiten Produktionsleistung, sondern auch so unterschiedliche Länder wie China, Singapur, Australien und Laos. Das Abkommen ist mit großen Hoffnungen verbunden: Regionale Wertschöpfungsketten sollen breiten gesellschaftlichen Wohlstand ermöglichen.
Ein Beitrag von Etienne Höra
Vor allem im Westen stehen dem fernöstlichen Freihandelsabkommen jedoch Bedenken gegenüber, insbesondere in Bezug auf die mögliche Dominanz der VR China. Regeln zu Umwelt- und Arbeitsschutz fehlen außerdem gänzlich. Eines lässt sich in jedem Fall sagen: Was RCEP ist und nicht ist, welche Regeln es beinhaltet, bleibt oft unklar. Die Podiumsdiskussion „RCEP – Trade for all?“ hat deshalb das Potenzial des Abkommens für Handel und Entwicklung hinterfragt, gerade für die wirtschaftlich schwächeren Partnerländer.
Am 29.4.2021 hat unser Programm connectingAsia gemeinsam mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) drei Expert*innen eingeladen: Deborah Elms (Direktorin des Asian Trade Center in Singapur), Yose Rizal Damuri vom Center for Strategic and International Studies in Jakarta und Axel Berger vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn. Eine Zusammenfassung der Diskussion findet ihr auf dem Blog der PTB. In diesem kurzen Beitrag zeigen wir ergänzend vier Missverständnisse über RCEP auf und teilen einige der Erkenntnisse, die wir durch die Veranstaltung gewonnen haben.
1. RCEP ist kein geopolitisches Werkzeug Chinas
Im aktuellen polarisierten globalen Kontext wurde RCEP vielfach als Instrument wahrgenommen, das die wirtschaftliche Vorherrschaft Chinas in der Region vorantreiben soll, auch vor dem Hintergrund des handelspolitischen Rückzugs der USA. Tatsächlich lässt sich der regionale geopolitische Wettbewerb nicht ausblenden. Bis kurz vor dem Abschluss war Indien Teil der Verhandlungen, zog sich dann aber aus Sorge vor einem zu großen Handelsdefizit mit China zurück.
Treibende Kraft war aber keine der Regionalmächte: die Association of Southeast Asian Nations ASEAN, die südostasiatische Regionalorganisation, zu deren Mitgliedern etwa Vietnam, Indonesien, die Philippinen und Thailand zählen, hat die Verhandlungen angestoßen und federführend geleitet. Diese relativ kleinen und offenen Volkswirtschaften sind besonders auf freien Handel angewiesen; ihnen könnte über Asien hinaus eine Vermittlerrolle in Handelskonflikten zukommen.
2. RCEP ist nicht in allen Bereichen der große Wurf
Dass nach langjährigen Verhandlungen eine Einigung zwischen den ASEAN+5 (den zehn ASEAN-Staaten sowie China, Japan, Südkorea, Neuseeland und Australien) zustande gekommen ist, wird vielfach als handelspolitischer Durchbruch gesehen. Das bedeutet aber nicht, dass hier ein hochintegrierter Wirtschaftsraum entsteht, wie wir ihn etwa von der EU kennen; die Breite des Abkommens geht teilweise auf Kosten der Tiefe.
Die fehlenden Regeln zu Umwelt- und Arbeitsschutz wurden bereits angesprochen. Aus handelspolitischer Sicht sind die fehlenden Regeln zu Staatsunternehmen und Subventionen auffällig; außerdem ist kein verbindlicher Mechanismus zur Streitbeilegung vorgesehen. In einzelnen Politikbereichen wurden indes umfassende Zugeständnisse gemacht; so wird etwa Japan seine Agrarzölle nur sehr langsam senken.
3. RCEP dient nicht nur den großen Playern
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) treiben das Wachstum in den meisten Ländern des RCEP-Wirtschaftsraums. Sie könnten besonders von den vereinfachten Regeln profitieren, gerade durch die sogenannten „rules of origin“: Alle Produkte, die mindestens 40 Prozent regionale Komponenten enthalten, profitieren von den Handelserleichterungen, egal ob sie nach Vietnam, Japan oder Australien exportiert werden.
Bisher waren nicht unbedingt hohe Zölle die größten Handelshemmnisse in der Region; tatsächlich gab es bereits vorher bi- oder multilaterale Freihandelsabkommen zwischen den meisten Partnerländern (beispielsweise die ASEAN-Japan Comprehensive Economic Partnership oder das ASEAN-Korea Free Trade Agreement), die teilweise weiterhin anwendbar bleiben. Aber: das entstehende Dickicht an Regeln und Standards war gerade für KMU kaum zu durchschauen. Mit den neuen einheitlichen Regeln wird es für sie wesentlich einfacher, internationale Märkte zu erschließen, zumal viele KMU schon bei ihrer Gründung den ASEAN-Raum im Blick hatten.
4. RCEP entwickelt sich nicht von alleine
Von anderen Freihandelsabkommen unterscheidet RCEP sich vor allem durch seinen inkrementellen Ansatz: Das abgeschlossene Abkommen definiert einen Rahmen, wichtige Teile wie etwa die produktspezifischen Standards sind allerdings noch nicht definiert. RCEP verfügt über ein relativ kleines Sekretariat, das die Umsetzung des Abkommens koordiniert. Daneben kommt den 15 Mitgliedstaaten des Abkommens eine wichtige Rolle zu: Die Wirkung von RCEP wird wesentlich von ihren Bemühungen abhängen, besonders im Bereich der nicht tarifären Handelshemmnisse.
Wenn der administrative Aufwand etwa für die Gesundheitsprüfung von verderblichen Lebensmitteln zu hoch ist, lohnt sich der Handel nicht, selbst wenn es keine oder nur geringe Zölle gibt. Gerade in den weniger handelserfahrenen Mitgliedstaaten wie dem Binnenland Laos sollten diese Abläufe deshalb durch bessere Qualitätsinfrastruktur optimiert werden. Capacity building, wie es etwa in Indonesien geschieht, könnte besonders kleinen Unternehmen helfen, die entstehenden Möglichkeiten besser zu nutzen.
RCEP ändert einiges!
Was ist nun von RCEP zu halten? Trotz der erwähnten Einschränkungen hat RCEP das Potenzial, das regionale Wirtschaftssystem langfristig zu verändern. Dabei gibt es Gewinner und Verlierer: So hat etwa Vietnam RCEP genutzt, um seine Exportstrukturen zu reformieren – ein großer Wettbewerbsvorteil gegenüber Nichtmitgliedern wie Bangladesch, das ganz ähnliche Produkte exportiert.
Auch für die am wenigsten entwickelten Mitgliedstaaten ändert sich einiges: Zölle zum Schutz von entstehenden Industrien waren lange ein wichtiges entwicklungspolitisches Instrument, das nicht mehr zur Verfügung steht. Die Öffnung zum regionalen Wettbewerb hin bietet Möglichkeiten wie die Integration in transnationale Wertschöpfungsketten, aber auch große Herausforderungen. Es lohnt sich auch aus einer europäischen Perspektive, diese Veränderungen zu verfolgen; das hat auch unsere Diskussion gezeigt.
Die Veranstaltung “RCEP – Trade for All?” war eine Kooperation zwischen der PTB und dem regionalem Schwerpunkt connectingAsia von Polis180.
Polis Blog ist eine Plattform, die den Mitgliedern von Polis180 & OpenTTN zur Verfügung steht. Die veröffentlichten Beiträge stellen persönliche Stellungnahmen der AutorInnen dar. Sie geben nicht die Meinung der Blogredaktion oder von Polis180 e.V. wieder.
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Etienne studiert International Affairs an der Hertie School. Zu seinen Forschungsinteressen gehören regionale Integration in Asien und Europa, sowie Völkerrecht und Menschenrechte in einer pluralistischen Weltordnung. Bei Polis180 koordiniert er neben seinem Engagement im Programm connectingAsia, das junge akademische Journal PolisReflects.