Die evangelikal geprägte Neuinterpretation der US-Außenpolitik unter Pence und Pompeo: Wie uns die Auseinandersetzung mit den evangelikalen Werten der Mitglieder der Bibelstunde im Weißen Haus hilft, die US-Außenpolitik besser zu verstehen.
Ein Kommentar von Julius Kerkhoff und Sylvia Wittmer
Im zweiten Wort zum Sonntag haben wir bereits festgehalten, dass Religion bewusst in der deutschen Außenpolitik selten eine Rolle spielt. Beim Blick über den Atlantik fällt allerdings auf, dass sich insbesondere unter der Regierung Donald Trumps die Rhetorik der US-Außenpolitik stark verändert hat. Das ist jedoch nicht allein der “America First”-Doktrin zuzuschreiben, sondern auch der Tendenz ein besonderes Augenmerk auf die evangelikale christliche Lehre zu setzen.
Diese Fokussierung wird größtenteils Vizepräsident Mike Pence zugerechnet, allerdings sollte auch Außenminister Mike Pompeo stärker unter diesem Blickwinkel betrachtet werden, als bislang von ausländischen Beobachter*innen der Fall. Durch die Analyse ihrer Glaubenssätze kann die Berechenbarkeit außenpolitischer Entscheidungen unter dem als irrlichternd wahrgenommenen Präsidenten erhöht werden.
Die White House Cabinet Bible Study
Mike Pence, seit 2016 Vizepräsident unter Trump, ist das bekannteste und mächtigste Mitglied einer Gruppe von Kabinettsmitgliedern der aktuellen US-Administration, die sich jeden Mittwochmorgen zur sogenannten White House cabinet Bible study treffen.
Zu den regulären Mitgliedern der Gruppe gehören unter anderem Außenminister Mike Pompeo, Bildungsministerin Betsy DeVos, Minister für Wohnungswesen und Stadtentwicklung Ben Carson und Sonny Perdue, Minister für Landwirtschaft. Viele Beobachter*innen bezeichnen sie als mächtigste Bibelstunde der Welt. Aber welche Rolle spielt dieser erlauchte Kreis für die Außenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika und wer steht dahinter?
Die zweite Frage ist leicht zu beantworten. Der “Priester dem die Mächtigen lauschen” ist Ralph Drollinger. Der Vorsitzende der Capitol Ministries, einer evangelikalen Organisation, die politischen Führungskräften Bibelstudien, Bekehrung und religiöse Gefolgschaft anbietet.
Die evangelikale Kirche in den USA hat nicht erst seit der Präsidentschaft von George W. Bush einen großen Einfluss auf die amerikanische Politik. Ungefähr ein Viertel der Amerikaner*innen rechnet sich dem evangelikalen Glauben zu. Dieser Sammelbegriff umfasst ein Spektrum an zahlreichen Glaubensgemeinschaften, deren Theologie strikt auf der Heiligen Schrift und wörtlicher Interpretation dieser basiert.
Der Begriff beschränkt sich hierbei nicht nur auf Gläubige in den Vereinigten Staaten. Im politischen Diskurs werden als US-Evangelikale meist jedoch Glaubensgemeinschaften gemeint, die der Beschreibung des EZW entsprechen:
Erweckliche Strömungen, die folgende Charakteristika erfüllen, das Auftreten plötzlicher Bekehrungen, nicht selten unter intensiven psychischen und leiblichen Begleiterscheinungen, ein der Bekehrung folgender intensiver Vollzug eines „heiligen“ christlichen Lebens (kein Alkohol, kein Drogenkonsum etc.), Gemeinschaftsbildungen von hoher Bindekraft, gottesdienstliche Versammlungen mit elementaren Predigten und großen Zuhörerschaften, heute auch in sogenannten Megachurches, Betonung eines Laienchristentums und Verwurzelung im Volk (finanzielle Eigenverantwortung der Gemeinden und Gruppen), starke Zersplitterung in zahlreiche Denominationen, zugleich Wettbewerb in gegenseitiger Hochachtung.
Das heißt natürlich nicht, dass diese ca. 80 Millionen Personen alle Abtreibungen ablehnen und die Evolutionstheorie bestreiten, doch ein Großteil vertritt klar konservativere politische Positionen, als der große Rest der Bevölkerung. Insgesamt identifizieren sich 56 Prozent der Evangelikalen mit den Republikanern im Gegensatz zu 37 Prozenten in der Gesamtbevölkerung. Die Evangelikalen bilden also eine wichtige Wähler*innengruppe für Donald Trump und die republikanischen Amtsträger*innen in den Bundesstaaten.
Laut dem Independent haben 81 Prozent der weißen Evangelikalen 2016 ihr Stimme Trump gegeben, trotz seiner vielzitierten Kommentare gegenüber Frauen und der Tatsache, dass er nicht als “Mann der Kirche” gilt. Und genau hier tritt Mike Pence ins Rampenlicht. Als bekennender Evangelikaler, der seinen Glauben oft thematisiert und durch hundertprozentigen voting record bei konservativen Initiativen (bspw. Abtreibungsgegnern) besticht, gilt er als “Königsmacher” für Trump in dieser wichtigen Wähler*innengruppe.
Sozusagen das religiös-reine Gewissen Trumps, das ihn bei Entscheidungen, die der evangelikalen Wählerschaft wichtig sind, in Ihrem Sinne beeinflusst. Doch welche Auswirkungen hat die White House cabinet Bible study auf die Politik der USA? Und, für uns besonders interessant, auf die Außenpolitik?
Informelle Diplomatie im Namen des Herren
Initiiert und geleitet wird die White House cabinet Bible study von Ralph Drollinger, der zuletzt mit seinen kontroversen Aussagen zu den Auslösern der Corona Pandemie für Aufsehen erregte. Das außenpolitische Ziel von Drollinger und seiner Organisation (Capitol Ministries) ist es, 200 geistliche Ämter in 200 Hauptstädten der Welt einzurichten. Dabei bezieht sich Drollinger direkt auf die Bibel und möchte “alle Nationen zu Jüngern machen”, für ihn ein klarer missionarischer Auftrag.
Zu seinem Einfluss auf Trump und die Mitglieder der Bibelstunde sagt Drollinger, dass er ihnen keinen direkten politischen Rat gibt, sie aber einschließlich des Präsidenten durch seine Lehre zu den gewünschten Positionen führt. Politische Analyst*innen gehen davon aus, dass Trumps Art Politik zu machen – schnelle Positionsänderungen, starke Beeinflussung durch Medien/TV und einem kleinen Kreis von Berater*innen – es besonders leicht für informelle Kreise, wie die Bible Studies Gruppe machen, Einfluss auf die amerikanische Politik auszuüben.
Jenseits seines theologischen Einflusses tritt Drollinger aber auch vermehrt informell als Kontakt zum Weißen Haus außenpolitisch in Erscheinung. 2019 machte er sich auf den Weg nach Nicaragua mit dem offiziellen Ziel, Daniel Ortega bei der Einrichtung einer eigenen, präsidentiellen Bibelstunde zu unterstützen. Der Präsident war aber vor allem an dem hochrangigen Netzwerk Drollingers interessiert.
Nachdem Drollinger eine Rede zum 40. Jubiläum der sandinistischen Revolution vor einer feiernden Menschenmasse in Managua gehalten hatte, versprach er Ortega seine Kontakte zu nutzen und schlug ihm vor, seinen guten Freund Mike Pompeo davon zu überzeugen nach Nicaragua zu reisen. Offiziell reiste Drollinger für seine Nichtregierungsorganisation nach Nicaragua, aber für Ortega war er ein Repräsentant der USA und damit gewissermaßen inoffizieller Diplomat mit sehr guten Verbindungen zum mächtigsten Zirkel seines Landes.
Insbesondere zum Außenminister Pompeo pflegt er öffentlichkeitswirksam eine enge Beziehung, die sich verstärkt auf dessen Außenpolitik auswirkt. Drollinger wurde schon 2011 auf Pompeo aufmerksam, als dieser gerade frisch in den Kongress gewählt wurde. Seine ersten Versuche, eine Bibelstunde im Weißen Haus einzurichten, führten noch vor der Wahl Trumps zum Präsidenten der USA über eine Korrespondenz mit Pompeo.
Pompeos selbsterklärte Mission
Durch nichts wird die Nähe zwischen Drollinger und Pompeo und sein Einfluss auf die Außenpolitik der USA wohl so deutlich wie mit der Rede Pompeos, die er im Oktober 2019 auf einem Kongress der American Association of Christian Counselors hielt. In dieser bezeichnete Pompeo sich explizit als Christian Leader und setzte seine politische Einstellung und außenpolitischen Entscheidungen in den Kontext seines Glaubens.
Hierbei verweist er darauf, dass seine Arbeit im Außenministerium einem höheren Zweck dient. Mit seiner Terminologie lehnt er damit seine Tätigkeit im Amt des Außenministers an Arbeit im Namen des Herren an. Er betont, dass die Wahrheit kundzutun, beispielsweise in seiner Einschätzung der Verfehlungen Chinas und des Irans in ihrer Behandlung christlicher Gläubiger, aber auch in wirtschafts- und sicherheitspolitischen Fragen, eine der Hauptprämissen der christlichen Außenpolitik der Trump Regierung sei. Laut Pompeo ist diese Herangehensweise eine Ausnahme zu den vorherigen US-Regierungen.
Spätestens mit dieser Bemerkung wird deutlich, dass die glaubenskonforme Sprache Pompeos primär populistischen Zwecken dient, da die Trump Regierung als die einzig Richtige für die wahren Interessen des christlichen Volkes dargestellt wird. In der halbstündigen Rede wurde darüber hinaus die evangelikale Forderung verdeutlicht, Menschenrechte primär aus einem christlichen Verständnis und zugunsten von Christ*innen zu fördern.
Erkennbar war diese politische Entscheidung bereits im Umgang mit Geflüchteten aus der Region des syrischen Bürgerkriegs und dem Wunsch der Evangelikalen, die Christen in der Region besonders zu schützen. Aus dieser Denkschule erklärt sich auch, dass Pompeo das Christentum als (einziges) Schutzgut der Religionsfreiheit gleichsetzt. Die Verankerung dieser strategischen Prioritäten wird durch seine Initiative Ministerial on Religious Freedom, die im Außenministerium angesiedelt ist, deutlich.
Insbesondere aber sein Vorstoß, dass internationale Organisationen das Völkerrecht missbrauchen, um Abtreibung getarnt als Menschenrecht den Staaten unterzujubeln, wurde besonders begrüßt. Pompeo führte daraufhin aus, dass insbesondere durch den Entzug von Fördermitteln dieser Entwicklung Einhalt geboten werden soll, was er mit dem Schutz der Menschenwürde begründet. Bereits kurz nach dem Amtsantritt führte die jetzige US-Regierung, die bislang weitreichendste Form der Mexico City Policy, auch als Global Gag Rule bekannt, ein, die 2019 noch verschärft wurde.
Das wurde als direktes Resultat seiner Wahlversprechen an die konservativsten evangelikalen Strömungen bewertet. Die Wortwahl Pompeos und die offene Zuschautragung von evangelikal geprägten Argumenten machen eine Auseinandersetzung mit dieser theologischen Strömung in der US-Innen- und Außenpolitik unerlässlich.
Im Fall eines erneuten Wahlsiegs Donald Trumps müssen sich sowohl seine Verbündeten, als auch der Rest der globalen Gemeinschaft mit diesen Narrativen auseinandersetzen, um erahnen zu können, welche weitreichenden Entscheidungen Präsident Trump – ohne die Sorge um erneute Wiederwahl – unter Einfluss von Pompeo und Pence treffen könnte.
“Wort zum Sonntag” – eine Blogreihe des Programmbereichs Religion & Außenpolitik
Unsere Blogreihe verdeutlicht, welche Rolle religiöse AkteurInnen, Theologien und die Verankerung kulturell-religiöser Praktiken und Ansichten innerhalb von Staat und Gesellschaft in der Außen- und Europapolitik spielen und warum sich eine Beschäftigung mit dem Themenkomplex Religion & Außenpolitik lohnt. Eine rein negative Betrachtung von Religionen als Risikofaktor bezüglich des aus säkularer Perspektive gesehenen Fortschritts lehnen wir ab.
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Julius studiert Internationale Beziehungen an der Hertie School of Governance in Berlin. Sein Fokus liegt dabei auf den transatlantischen Beziehungen, dem Einfluss religiöser Gruppen auf die US-Politik und dem EU-Krisenmanagement. Neben seinem Studium ist er bei Polis180 im Programm The America(n)s aktiv und leitet das Projekt #RoutetoDemocrats2020.
Sylvia promoviert an der Humboldt Universität zu Berlin. In ihrer Promotion beschäftigt Sie sich mit rechtlichen Fragen in Post-Konfliktsituationen aus völkerrechtlicher und jüdischrechtlicher Perspektive. Bei Polis180 engagiert sich Sylvia als Mitglied des Vorstands in der Programmkoordination und zu Rechtsfragen und leitet das Programm Religion und Außenpolitik.