Cultural Policy from Below
Ein partizipativer Prozess zur Zukunft der europäischen Kulturpolitik
Im Rahmen der Konferenz A Soul for Europe lädt Polis180 Politikinteressierte und Kunst- und Kulturschaffende ein, sich an der Erarbeitung eines Forderungskatalogs zur europäischen Kulturpolitik/Cultural Governance zu beteiligen. Denn Polis180, ein Grassroots-Thinktank, glaubt fest an die Prinzipien des ehrenamtlichen Engagements sowie an die inklusiven und offenen Arbeitsprozesse, die neue Perspektiven in die Diskurse einbringen können. Am 16. Februar 2019 fand unser erster Workshop statt – wir erzählen Euch von dem Kick-off!
Ein Beitrag von Asta Dumbrauskaite & Claire Saillour
Cultural Policy from below/Kulturpolitik von unten ist eine Reihe partizipativer Workshops zur europäischen Kulturpolitik. Dieses Projekt entstand aus der Erkenntnis, dass, obwohl die Europäische Union im Kulturbereich an Zuständigkeiten gewinnt, die Aufmerksamkeit zum Thema europäische Kulturarbeit in der Öffentlichkeit gering ist. Der erste Workshop der Reihe fand am 16. Februar 2019 statt, der zweite am 13. März im Rahmen des F(EU)ture Festivals. Parallel wird die kollaborative online Plattform Policy Kitchen genutzt, um die in den Workshops generierten Ideen und Forderungen weiter zu bearbeiten und zu verfeinern. Der dritte und letzte Workshop findet am 13. April auf der Konferenz A Soul for Europe statt, bei der im Laufe der zwei Monate entstandene Forderungskatalog präsentiert und mit Expert*innen diskutiert wird.
Die Teilnehmer*innen – hauptsächlich junge Politikinteressierte und Kulturschaffende – wählten zwei Themen aus, die sie vertiefen wollten. So haben wir eine Gruppe zum Thema Europäische Identität und Erfahrbarkeit Europas sowie eine zweite Gruppe zum Thema Kunst- und Kulturförderung gebildet. Auf den weiteren Workshops und auf der Plattform Policy Kitchen wird es weiterhin Raum geben, Themen, Dimensionen und Aspekte der europäischen Kulturpolitik oder Cultural Governance aufzugreifen.
Europäische Identität und Erfahrbarkeit Europas: Europa spüren
Die wichtigsten Herausforderungen, die in Bezug auf europäische Identität auf der persönlichen Ebene der Bürger*innen identifizierte, waren soziale Ungleichheit, fehlender Bildungszugang, Instrumentalisierung von Kultur für Rechtsextremismus und Populismus. Für diese Gruppe scheint sich das entscheidende Problem mit der EU in der Phrase „Was hat die EU je für mich gemacht?“ zu manifestieren. Deshalb wurde das Thema aufgegriffen. Ziel war es, nach Lösungen zu suchen, wie die europäische Identität und Erfahrbarkeit Europas trotz des Populismus und mit ihm einhergehender Verbreitung von Fake News gestärkt werden kann.
Fünf Forderungen wurden von der Gruppe herausgearbeitet:
- Europäischer Pass als ein Dokument, das über eine nationalstaatliche Ebene hinausgeht. Der Pass soll dafür dienen, die Ungleichheit zwischen den Nationalstaaten zu reduzieren. Das heißt, wenn man sich außerhalb der EU befindet, wird EU als eine Einheit betrachtet und keine Unterscheidung zwischen den Bürger*innen Deutschlands oder Rumäniens gemacht, weil beide EU-Bürger*innen sind. Zum Gefühl der Ungleichheit tragen auch Differenzen zwischen einzelnen Mitgliedstaaten in der EU und das Zentrieren auf westeuropäische Staaten und Gründungsmitglieder bei. Beides bestärkt das Gefühl der Zweiklassengesellschaft, welches sich leicht instrumentalisieren lässt.
- Erasmus-Austausch auf allen Ebenen stärken. Das heutige Konzept von Erasmus wurde vom diskutierenden Team viel mehr als ein Elite-Austausch für Studierende verstanden. Es wird gefordert, den Austausch auf allen Ebenen und auf allen Institutionen zu stärken, damit jede/r diese Möglichkeit nutzen und sich leisten kann.
- EU muss einfacher werden. Um sich mit der EU identifizieren zu können, muss man die EU verstehen. Den Bürger*innen öfter ermöglichen, sich bei Prozessen einzubringen, wie z.B. bei der Abstimmung zur Winter- und Sommerzeit, welche das Wissen und die Partizipation der Bürger*innen erhöhen sollte.
- Europäische Sozialversicherung als eine Möglichkeit die soziale Ungleichheit in der EU zu reduzieren. Eine solche Lösung würde ermöglichen, die Existenzsicherung zu garantieren, sodass sich mehr Bürger*innen mit Kultur und Identitätsfragen auseinandersetzen können und nicht ausschließlich darum kümmern, wie man sich über Wasser halten kann.
- Wahlalter auf 16 senken. Heutzutage werden die Entscheidungen hauptsächlich auf der Basis der älteren Bevölkerung getroffen, während die Jungen mit den Folgen dieser Entscheidungen leben müssen. Deshalb sollten sie sich schon früher damit auseinandersetzen, wen sie wählen und so zu mündigen Bürger*innen aufwachsen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Identifikation mit Europa den Teilnehmer*innen als sehr wichtig erschien und nur durch Erfahrbarkeit Europas gegeben ist. Trotz der Reisemöglichkeiten und Kontakte zu anderen Mitgliedstaaten wurde jedoch der Populismus und Fake News über Europa und EU als Hauptgrund identifiziert, weshalb sich die Europäer*innen nicht mit Europa identifizieren. Wenn die europäische Identität gestärkt werden soll, sollte nicht nur Kultur als common ground genutzt werden. Vielmehr bedarf es die EU durch Vereinfachung und Zugänglichkeit der europäischen Institutionen neu zu gestalten, denn die Gruppe hat sich deutlich für die stärkere Integration innerhalb der EU ausgesprochen.
Kunst- und Kulturförderung: Mehr Transparenz, mehr Vernetzung, mehr Europa
Jede Sparte der Kunst besitzt seine Eigenschaften und erfordert besondere Fördermaßnahmen, legale und politische Rahmenbedingungen. Nichtsdestotrotz wurden bei der Gruppe zum Thema Europäische Kunst- und Kulturförderung grundsätzliche Probleme identifiziert, die spartenübergreifend Kunst- und Kulturschaffende betreffen und beschäftigen.
- Europäische Anträge für Projekte sind für kleine Strukturen oder sogar freie Künstler*innen-Netzwerke fast unmöglich zu realisieren, weil die verwaltungstechnischen Anforderungen zu hoch sind.
- Die Programme werden in der Regel von Menschen verwaltet, die eher fern von der Kunst- und Künstlerwelt leben und die Anforderungen der Kunst- und Kulturschaffenden nicht notwendigerweise nachvollziehen können.
- Die Förderungskriterien und -prozesse sind intransparent. Somit wächst manchmal auch das Gefühl, die Gelder wären immer wieder den gleichen Akteuren, den gleichen Institutionen vergeben.
- Die europäische Kunstförderung funktioniert wie auf anderen Ebenen (national, Lokal, Regional) auch: sie ist politik- und modegetrieben – regelmäßig werden neue Konzepte, neue “Moden” entwickelt – und die Kunstwelt muss sich an der gängigen Rhetorik oder Thematik anpassen. Dieser “Drang zur Neuheit” führt auch dazu, dass Förderer das Rad ständig neu erfinden wollen und im Prozess der ständigen Neuheit viel Erfahrungswert und gute Projekte, gute Praxen verloren gehen, sowie natürlich Vielfalt der Ausdrucksformen.
Diese Kritikpunkte sind an sich nicht nur der EU gerichtet. Wie kann aber eine europäische Ebene, welche sich nur in Übereinstimmung mit dem Subsidiaritätsprinzip verstehen lässt, zur Bewältigung dieser Herausforderungen beitragen?
- Entscheidend für die Teilnehmer*innen war die Möglichkeit, aus den best practices anderer Akteure zu lernen, anstatt jedes Mal “das Rad neu zu erfinden”, um unsere Herausforderungen zu bewältigen. Eine verstärkte Europäische Zusammenarbeit und die Möglichkeit, sich von gut funktionierenden Beispielen inspirieren zu lassen, würde viele Probleme beheben. Die Teilnehmer*innen betonten die Relevanz der Austauschmöglichkeiten zu best practices in Kulturpolitik und -verwaltung, der berufsbezogenen Mobilität zum Erlernen von alternativen Lösungen. Eine offene und frei zugängliche Plattform zu den kulturpolitischen Practices aus anderen Ländern könnte einen ersten Schritt darstellen, um besser voneinander lernen zu können.
- Das Bias von Entscheidungsträger*innen, die teilweise die Lebens- und Arbeitsrealitäten von Kulturschaffenden schlecht kennen, könnten durch mehrere Instrumente gemildert/außer Kraft gesetzt werden. Die Idee einer Verlosung von Fördergeldern, anstatt einer gezielten, zweckgebundenen Projektauswahl, wurde flüchtig erwähnt – jedenfalls wäre der Entscheidungsprozess transparenter. Allerdings haben Künstler*innen und Kulturschaffende Interessen, die sie durchaus vertreten dürfen: eine europaweit koordinierte und finanzierte Lobbyarbeit für die Interessen der Kulturschaffenden wäre eine Möglichkeit, europäischen Entscheidungsträger*innen näher zu kommen. Selbstverständlich würden sowohl die bessere Anerkennung der Kulturangelegenheiten innerhalb der EU-Institutionen, als auch eine Art “Einstiegspraktikum im Kulturbereich” für Entscheidungsträger*innen der Förderfonds eine Möglichkeit sein, Mitarbeiter*innen von EU-Institutionen den Kulturakteuren*innen näher zu bringen.
- Im Einklang mit dem Wunsch der anderen Gruppe, die Erfahrbarkeit Europas durch ein gemeinsames soziales System zu fördern, kam auch die Idee, ein europaweites Sozialsystem für Künstler*innen zu schaffen, wie die KSK oder das System der “Intermittence du spectacle” in Frankreich. Somit wären europaweit gesündere Lebens- und Schaffensbedingungen für Kunst- und Kulturschaffende gesichert, die Künstlermobilität einfacher gemacht, insb. bei einer Berufsgruppe, welche tendenziell sehr mobil ist. Natürlich ersetzt ein solches System nicht den Schutz von Urheberrechten, der momentan europaweit Thema und für die Existenzsicherung vieler Künstler*innen von grundlegender Bedeutung ist.
Diese Diskussion, die sowohl Praktiker*innen als auch interessierte Bürger*innen vereinte, hat uns deutlich vor Augen geführt, dass Kulturpolitik, auch auf europäischer Ebene, eine politische Sache ist, dass jede Förderung ein politisches Ziel verfolgt und dass diese Ziele, diese Methoden, die Förderungsverfahren und -budgets in der Öffentlichkeit durchaus diskutiert werden sollten.
Der Überblick zeigt, wie divers und breit das Thema Kulturpolitik auf der europäischen Ebene ist, und dies bei “nur” zwei von vielen Themenbereichen. Da wir davon überzeugt sind, dass auch Deine Ideen zu einer neuen Vision für die Kulturpolitik der EU beitragen können, laden wir Dich herzlich ein, zu einem von unseren Workshops zu kommen und/oder Dich auf der Online Plattform Policy Kitchen zu beteiligen!