Europa ist bereits mit der aktuellen Flüchtlingskrise hoffnungslos überfordert. Dabei wird der Klimawandel die Flüchtlingsproblematik um ein Vielfaches verschärfen. Damit umzugehen stellt Europa vor weitere Herausforderungen.
Ein Beitrag von Julian Schwartzkopff und Till Weyers
Keine Lösung in Sicht
Ungefähr eine Million Flüchtlinge sind dieses Jahr nach Europa gekommen. Beim jüngsten EU-Gipfel ist die europäische Reaktion auf die Krise jedoch erneut hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Von 160.000 geplanten Umsiedlungen von Flüchtlingen innerhalb Europas sind bis jetzt nur 200 erfolgt. António Guterres, Hochkommissar des UNHCR, hat die europäische Antwort auf die Flüchtlingskrise deshalb zurecht als unzureichend kritisiert. Nur ein „massives Neuansiedlungsprogramm“ im Umfang von „mehreren Hunderttausend Menschen“ könne die Flüchtlingsströme bewältigen.
Doch von einem solchen Programm ist die EU noch weit entfernt. Ein europäischer Konsens scheint augenscheinlich unerreichbar. Einige Mitgliedstaaten reagieren mit Offenheit, andere bauen Zäune. Während Flüchtlinge unter unwürdigen Bedingungen in Lagern leben, gewinnen ausländerfeindliche Bewegungen in ganz Europa an Fahrt. Das europäische Asylsystem steht vor dem Zerbrechen. Die Flüchtlingskrise bringt die EU an die Grenzen ihrer Problemlösungsfähigkeit.
Der Klimawandel wird zu weitaus größeren Flüchtlingsströmen führen
Dabei sind die aktuell zu beobachtenden Flüchtlingsströme gewissermaßen nur eine Vorschau auf das, was uns der Klimawandel bringen wird. Klimafolgen wie der Meeresspiegelanstieg, zunehmende Dürre und häufiger auftretende Naturkatastrophen drohen ganze Landstriche unbewohnbar zu machen. Dementsprechend werden immer mehr Menschen aus ihrer Heimat verdrängt.
Das Ausmaß des Problems ist gleichzeitig schwer abzuschätzen. Während einige Studien prognostizieren, dass der Klimawandel bis 2050 150 Millionen Menschen zu Flüchtlingen machen wird, gehen andere Studien von 200 Millionen aus. Diese Erhebungen sind zwar höchst unsicher, doch die Größenordnung allein verdeutlicht, dass der Klimawandel zu einer heftigeren Flüchtlingsproblematik führen könnte, als das aktuell durch den Krieg im Nahen Osten und die Ausbreitung des Islamischen Staates der Fall ist. Laut der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR gibt es momentan über 60 Millionen Flüchtlinge. Das ist der höchste Stand seit dem Balkankrieg in den 1990er Jahren.
Das Pariser Klimaabkommen bietet keine klaren Lösungsansätze
Das Pariser Klimaabkommen nährt vor diesem Hintergrund Hoffnung, denn es bietet eine realistische Chance die Erderwärmung auf 2°C zu begrenzen – auch wenn dafür noch enorme zusätzliche Anstrengungen nötig sind. Des Weiteren sieht das Abkommen die Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen in den verwundbarsten Ländern vor. Doch selbst wenn der Klimawandel die 2°C-Grenze nicht überschreitet wird dieser enorme klimatische Veränderungen nach sich ziehen. Das Pariser Klimaabkommen kann die kommende Flüchtlingsproblematik daher lediglich begrenzen.
Gilt der Klimawandel als legitimer Fluchtgrund?
Die Bezeichnung „Klimaflüchtling“ ist aus rechtlicher Sicht irreführend. Wie unterscheidet man genau zwischen „Wirtschafts-“ und „Klimaflüchtlingen“? Umweltflüchtlinge sind nicht als Flüchtlinge im Sinne von Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt. Demnach ist der Klimawandel kein Grund, um Anrecht auf Asyl zu bekommen. So wurde die Klage eines Mannes von der Pazifikinsel Kiribati 2013 in Neuseeland vom höchsten Gericht abgewiesen. Ein Jahr später akzeptierte das Tribunal zwar den Asylantrag einer Familie aus Tuvalu, unter anderem aufgrund der Folgen des Klimawandels, jedoch vor allem wegen familiärer Bindungen in Neuseeland. Wenn sich das nicht ändert, könnte in Zukunft der Großteil aller Flüchtlinge de facto rechtslos sein.
Es sind neue Schutzinstrumente für Klimaflüchtlinge nötig
Migration gilt längst als Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Dies wird jedoch selten in den offiziellen Verhandlungstexten des UNFCCC beachtet. Das Pariser Klimaabkommen ist da keine Ausnahme. Die Nansen Initiative geht dagegen deutlich weiter und fordert die Stärkung der Rechte von Klimaflüchtlingen. Die vorgeschlagene Nansen Protection Agenda basiert auf drei Säulen: Internationale Kooperation; Standards für die Behandlung von Flüchtlingen; Praktische Maßnahmen wie finanzielle Unterstützung. Die Initiative deutet damit einen Schritt in die richtige Richtung. Eine Ausweitung der Flüchtlingskonvention, was dringend notwendig ist, um einen langfristigen Rahmen für Klimamigration zu schaffen, bedeutet das aber bislang nicht.
Eine proaktive Flüchtlingspolitik sollte eine offizielle Anerkennung von Klimaflüchtlingen umfassen
Im Vorfeld der Verhandlungen in Paris forderte auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks am 7. November 2015 die offizielle Anerkennung von Klimaflüchtlingen durch die UN. Ohne Zweifel setzt das Abkommen von Paris ein klares Zeichen für den Klimaschutz, aber es müssen Taten folgen. Lösungsansätze, die die althergebrachte Trennung von mit Rechten ausgestatteten Kriegsflüchtlingen und rechtlosen Klimaflüchtlingen aufrechterhalten, sind den zukünftigen Bevölkerungsbewegungen nicht mehr gewachsen. In einigen Gebieten werden die Auswirkungen des Klimawandels so extrem sein, dass die traditionellen Anpassungsmaßnahmen nicht ausreichen. Migration muss daher zum ständigen Repertoire der Anpassungsstrategien gehören. Nur wenn das Recht auf Asyl von KlimamigrantInnen international anerkannt wird, lässt sich die Flüchtlingsproblematik auf humane Art und Weise bewältigen.
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Julian Schwartzkopff (29) hat Politikwissenschaft studiert und arbeitet beim klima- und energiepolitischen Think Tank E3G in Berlin. Er befasst sich bei Polis180 insbesondere mit Themen der Klima- und Energiesicherheit.
Till Weyers (24) hat Politik-, Verwaltungs- und Europawissenschaften in Barcelona, London und Berlin studiert und arbeitet bei der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V. in Berlin. Bei Polis 180 beschäftigt er sich insbesondere mit energie- und klimapolitischen Themen.