Japan hat mit seinen Grenzschließungen einen extremen Weg bei der Bewältigung der Corona-Krise gewählt. Der praktische Einwanderungsstopp kehrt dabei zaghafte Reformen der vergangenen Jahre um. Es könnte zudem ein Zeichen für Japans allgemein begrenztes Engagement in der internationalen Gemeinschaft sein.
Eine Kolumne von Lars Feyen
Japan hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ein für vergleichbare Länder beneidenswertes globales Image erarbeitet. Die vielfältige Popkultur, die lebendige Kulturszene, japanisches Essen und der technologische wie wirtschaftliche Vorsprung haben ganze Nachkriegsgenerationen in großen Teilen der Welt mitgeprägt. Und auch in den letzten Jahren konnte kaum ein anderes asiatisches Land – mit Ausnahme Südkoreas – ähnliche Erfolge im Bereich soft power aufweisen.
Um den nach 1945 aufgebauten Status als eines der wohlhabendsten Länder der Welt aufrecht zu erhalten, war es auch scheinbar nur folgerichtig, dass man in Japan seit den 1990er Jahren verstärkt auf Einwanderung – am liebsten von hochqualifiziert Ausgebildeten – setzte. Japan war zu dem Zeitpunkt trotz seiner wirtschaftlichen Bedeutung im Gegensatz zu europäischen Ländern wie Deutschland kein Einwanderungsland und ist es letztendlich bis heute nicht. Während Deutschland 2015 einen Anteil von 14,8 Prozent an Eingewanderten gemessen an der Gesamtbevölkerung hatte, waren es in Japan zum gleichen Zeitpunkt überschaubare 1,6 Prozent.
Dass ausgerechnet die konservative LDP-Regierung unter Shinzo Abe die restriktiven und fast unverändert seit 1952 geltenden Einwanderungsgesetze auf pragmatische Weise reformiert hatte, war vor allem dem wachsenden Bedarf an Arbeitskräften geschuldet. Japan ist, mehr noch als Deutschland, eine alternde Gesellschaft. Die hohe Lebensqualität in dem ostasiatischen Land hat dafür gesorgt, dass die BewohnerInnen im weltweiten Vergleich am längsten leben. Nur: wer soll die alten Menschen eigentlich pflegen?
Die Lebensrealität hat sich in den vergangenen Jahrzehnten jedenfalls stark gewandelt: so gibt es auch in Japan zahlreiche Familien mit mehreren Nationalitäten oder Menschen, die aus beruflichen Gründen nach Japan gezogen sind. Viele haben bis zum Beginn der Pandemie über Grenzen hinweg gelebt. Dies galt vor allem für ArbeitsmigrantInnen aus Ost- und Südostasien. Die meisten von ihnen stammen aus Vietnam oder den Philippinen, und viele arbeiten in kritischen Bereichen wie etwa der Kranken- oder Altenpflege.
Gerade in gering bezahlten Berufsfeldern und wenig beliebten Jobs wie der Altenpflege kommt der Einwanderung also eine wachsende Bedeutung zu. Doch die Bereitschaft, Branchen für die Arbeitsmigration zu öffnen, hat weiterhin klare Grenzen. Denn die japanische Regierung hat auch für einige Berufe, in denen eigentlich keine speziellen Sprachkenntnisse erforderlich sind, fortgeschrittene Japanischkenntnisse zur Grundvoraussetzung gemacht.
Und dann kam die Corona-Pandemie hinzu. Japan hat seit April 2020 – mit kurzen Ausnahmen – so gut wie keine Auswärtigen ins Land gelassen. Die Grenzen zu schließen erschien in den ersten Monaten nur legitim. Schließlich hatte man mit dem Kreuzfahrtschiff „Diamond Princess“ im Hafen von Yokohama einen der ersten größeren Ausbruchsvorfälle außerhalb Festlandchinas. Mit kurzen Unterbrechungen ist die Politik der Abriegelung seitdem in Kraft und trifft vor allem diejenigen BewohnerInnen des Landes, die keine StaatsbürgerInnen sind.
Die strengen Maßnahmen der Grenzschließung erfreuen sich weiterhin großer Beliebtheit in der Bevölkerung. Die im Vergleich zu Europa immer noch geringeren Fallzahlen scheinen der Einwanderungsskepsis – trotz der auch in Japan immer wieder aufkommenden Infektionswellen – recht zu geben.
Die Ablehnung gegenüber wachsender Einwanderung scheint zudem ein Trend in Japan zu werden. So waren laut Pew Research 2018 noch mehr als die Hälfte der Befragten mit gleichbleibenden Einwanderungszahlen zufrieden (23 Prozent befürworteten außerdem höhere Zahlen). Eine Umfrage des staatlichen Rundfunks NHK im Januar 2022 zeigte nun, dass acht von zehn Befragten die Grenzschließungen für alle Nicht-JapanerInnen befürworteten. Das kann als ein Ausfluss der Corona-Pandemie und der scheinbaren Sicherheit durch die Grenzschließungen gesehen werden. Es zeigt jedoch auch, wie unwesentlich das Schicksal von AusländerInnen für die meisten JapanerInnen zu sein scheint.
12.000 Unterschriften auf einer Petition, die eine Gruppe internationaler BewohnerInnen dem japanischen Außenministerium Anfang Januar mit der Forderung zur Einreiseerleichterung vorlegte, sind nun die gebündelten Krisenerfahrungen von internationalen Studierenden, ArbeiterInnen und Forschenden, die sich in der nach nominalem Bruttoinlandsprodukt drittgrößten Volkswirtschaft der Welt eine Existenz aufgebaut haben oder dies zumindest vorhatten. Lockerungen für die Einreise fordern auch zahlreiche ausländische Wirtschaftsverbände, wie etwa der „European Business Council“. Die „Japanische Gesellschaft für die Förderung der Wissenschaft“ spricht zudem von der Gefahr, dass durch die Maßnahmen fremdenfeindliche Einstellungen verstärkt werden. Verschiedene Verbände im In- und Ausland nannten die Maßnahmen „diskriminierend“.
Der Druck durch die internationalen Studierenden hat Früchte getragen – so dürfen immerhin 87 ausländische Studierende, die ein vom japanischen Staat gefördertes Stipendium erhalten, nun doch einreisen. Eine wirkliche Lösung sieht aber anders aus.
Die Art und Weise, wie die konservative Regierung unter Premierminister Kishida Fumio nun die Grenzschließungen nutzt, um politische Pluspunkte zu sammeln, wirft also Fragen für die Post-Pandemiezeit auf: Werden die Einwanderungszahlen absehbar wieder auf Vorkrisenniveau steigen? Wenn nicht, wie wird die überalternde und schrumpfende Gesellschaft mit den Herausforderungen des demographischen Wandels umgehen können?
Für viele Japan-EthusiastInnen wird die Grenze auch in den kommenden Monaten versperrt bleiben. Viele haben bereits nach Alternativen gesucht – und diese oft auch gefunden. Denn trotz der Begeisterung für Fernost hat die Bereitschaft des Wartens ihre Grenzen. Ein Verlust für Japans Hochschulen, die Privatwirtschaft – und die sich in den letzten Jahren zaghaft öffnende Gesellschaft des Landes.
Japans Pandemiebewältigung durch einen beinahe kompletten Ausschluss von Auswärtigen ist ein Kontrast zu vielen Industrieländern im Rest der Welt, gerade auch in Europa. Dies zeigt, wie begrenzt die Bereitschaft sowohl in der politischen Klasse als auch in weiten Teilen der Bevölkerung ist, sich international zu öffnen. Vor dem Hintergrund wachsender Systemrivalität mit China und dem möglichen Isolationismus der USA unter einer erneuten republikanischen Regierung ab 2024 sollte dies auch den europäischen Ländern zu denken geben. Japan ist zwar international verlässlich als Partner – aber eben auch ein in Teilen zurückhaltendes Mitglied in der internationalen Gemeinschaft.
In der monatlichen Reihe Fokus Japan werden aktuelle Themen aus der japanischen Politik und Gesellschaft aufgegriffen und hintergründig aufgearbeitet. Fokus Japan ist eine Kooperation zwischen Polis180, dem Polis-Programmbereich connectingAsia und dem Newsletter Ausblick Ost von Lars Feyen.
Teil 1: Im Zentrum der Macht: Das politische Erbe von Shinzō Abe
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Lars hat Internationale Beziehungen und East Asian Studies in Erfurt und Groningen studiert. Er arbeitet derzeit beim Podcast-Radio detektor.fm in Leipzig. Er ist im Polis-Programm connectingAsia aktiv.