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14. Mai 2025

Veranstaltungsbericht: Digitale Wahlnachlese zur Bundestagswahl 2025

Am 24. Februar 2025, unmittelbar nach der vorgezogenen Bundestagswahl, luden wir zu einer digitalen Wahlnachlese ein. Gemeinsam mit dem Generationenforscher Dr. Rüdiger Maas und über 20 Teilnehmer*innen diskutierten wir die Wahlergebnisse sowie das Wahlverhalten junger Menschen.

Veranstaltungsorganisation und -bericht: Moritz Pohl, Teresa Becher & Rafael Bürkle

©PPT Rüdiger Maas

Stimmungsbild zur Wahl 

Im Rahmen der Veranstaltung haben wir eine anonyme, nicht repräsentative Umfrage unter allen Teilnehmenden durchgeführt. Diese ergab, dass alle an der Wahl teilgenommen hatten, wobei 78 % ihre Entscheidung erst in den letzten zwei Wochen vor dem Wahltag getroffen hatten. Dabei war für die Mehrheit die politische Grundausrichtung der Parteien ausschlaggebend. Das bedeutet, dass die Zeit vor der Wahl ein entscheidender Faktor in der Entscheidungsfindung junger Menschen ist. 56 % der Befragten waren vom Wahlausgang  überrascht – sowohl positiv als auch negativ. Von den Teilnehmer*innen bezeichneten sich nur zwei Personen als Stammwähler*innen.

Die wichtigsten Informationsquellen waren die klassischen Medien (TV, Presse), gefolgt von Social-Media-Kampagnen der Parteien und digitalen Entscheidungshilfen wie dem Wahl-O-Mat oder dem europapolitisch fokussierten Euromat. Als besonders hilfreich wurden persönliche Gespräche und digitale Tools bewertet.

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Dr. Rüdiger Maas: Einblick in die Generationenforschung

Dr. Rüdiger Maas ist Psychologe und führender Experte für Generationenforschung in Deutschland, insbesondere für die  Generationen Z und Alpha. Er studierte Psychologie und Philosophie mit Schwerpunkt Wirtschaftspsychologie in Deutschland und Japan und promovierte zur Generationengerechtigkeit an der Philosophischen Hochschule in München.  

2017 gründete er das Institut für Generationenforschung in Augsburg, das Alterskohorten mit Fokusgruppen, quantitativen und qualitativen Befragungen sowie psychometrischen Messungen untersucht. Er hat in Ländern wie Neuseeland, Nepal, Syrien, Kenia, den USA und der Schweiz geforscht und gearbeitet.

Als Autor mehrerer Spiegel-Bestseller („Generation arbeitsunfähig“, „Generation lebensunfähig“, „Konflikt der Generationen“) prägt er die öffentliche Debatte über gesellschaftliche und politische Entwicklungen. Seine jüngste Jugendbefragung zur Bundestagswahl 2025 liefert exklusive Einblicke in das Wahlverhalten junger Menschen.

Aktuelles aus der Generationenforschung – Analyse mit Generationenforscher Rüdiger Maas

Auf Grundlage dieser Kurzbefragung präsentierte Dr. Rüdiger Maas seine aktuellen Forschungsergebnisse und gab eine Einschätzung zum Wahlverhalten junger Menschen, insbesondere der unter 30-Jährigen. 

Auffällig war insbesondere, dass sich junge Wähler*innen überdurchschnittlich häufig mit der AfD und der Linken identifizieren konnten, während etablierte Parteien wie SPD, FDP und CDU für sie kaum eine Rolle spielten. Maas hatte die Wahlergebnisse bereits Ende 2024 mit bemerkenswerter Genauigkeit prognostiziert. Dementsprechend kam es teils zu einer deutlichen Streuung der Stimmvergabe von jungen (Erst-)Wähler*innen im Vergleich zu den anderen Wähler*innengruppen. Während diese Unterschiede bei der CDU/CSU und anderen, nicht im Bundestag vertretenen, Parteien sehr groß waren, blieben die Unterschiede bei Bündnis 90/Die Grünen, der Linken und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) eher gering.

Ein regelrechter Hype – vor allem ausgelöst durch die starke Präsenz der Linken auf Social Media – trug zu den Wahlerfolgen der Linken und AfD bei. Diese Entwicklung macht deutlich: Junge Wähler*innen werden über andere Kanäle erreicht als ältere Generationen. Gleichzeitig zeigt sich eine tiefe Enttäuschung über die etablierte Politik der vergangenen Legislaturperioden. Vertrauen muss hier erst wieder aufgebaut werden. Der (nahezu nicht vorhandene) politische Einfluss junger Wähler*innen steht im Kontrast zur Intensität, mit der sie die Krisen der vergangenen Jahre – etwa die Corona-Pandemie oder den Krieg in der Ukraine oder in Gaza  – erlebt haben. Es ist daher wenig überraschend, dass viele von ihnen sich politisch nicht wahrgenommen fühlen.

Dr. Maas hob jedoch auch das Potenzial bei der Zurückgewinnung junger Wähler*innen hervor. In seinen qualitativen Befragungen ließ er junge Menschen ihre Positionen ausführlich begründen. Dabei traten häufig Widersprüche zutage – etwa, wenn eine Wahlentscheidung für die AfD mit dem Wunsch nach einer restriktiveren Abschiebepolitik begründet wurde, obwohl enge Freund*innen oder Familienangehörige einen Migrationshintergrund haben. Solche Ambivalenzen zeigen, wie stark viele junge Menschen mit ihren Ängsten und Sorgen allein gelassen werden.

Zudem stellte Maas fest, dass junge Wähler*innen ein deutlich erhöhtes Stressniveau und ausgeprägte Zukunftsängste aufweisen – sowohl im Vergleich zu früheren Generationen im gleichen Alter als auch zu älteren Generationen heute. Für politische Akteur*innen, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, bedeutet dies: Junge Wähler*innen müssen ernst genommen werden – nicht trotz, sondern gerade wegen ihres derzeit geringen Anteils von etwa 14 % an der Wählerschaft. Bis zur nächsten Bundestagswahl in vier Jahren besteht die Chance, diese Generation (wieder) zu gewinnen – wenn jetzt gehandelt wird. Besonders aufschlussreich war seine Analyse zur subjektiven Wahrnehmungsverzerrung (vgl. Studien der Universität Leipzig und der Bertelsmann-Stiftung). Während Wähler*innen von FDP und Grünen eine hohe Offenheit gegenüber objektiven Fakten zeigten, war diese bei AfD-Wähler*innen deutlich geringer ausgeprägt. 

Hoffnung macht der ausgeprägte europäische Gedanke, der in der Mehrheit der jungen Generation fest verankert ist. Er bildet ein wichtiges Fundament für künftige europapolitische Arbeit – sowohl national als auch auf europäischer Ebene.

Mit jungen Perspektiven zu einer Neuausrichtung deutscher Außen- und Europapolitik

In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurden zentrale Themen vertieft: die Rolle sozialer Medien im Wahlkampf, der Einfluss der Proteste vor der Bundestagswahl sowie der Bedeutungsverlust von Fridays for Future und umweltpolitischen Anliegen im Wahlverhalten junger Menschen. Die Veranstaltung bot damit wertvolle Einblicke in veränderte politische Prioritäten und regte zu einer lebendigen Debatte über die Zukunft der politischen Landschaft in Deutschland an.

Die vorgezogene Bundestagswahl 2025 fand inmitten einer Phase globaler Verunsicherung statt, die internationale Ordnungen und sicherheitspolitische Bündnisse ins Wanken brachte. Diese Entwicklungen verschärfen die Herausforderungen für Deutschlands außen- und europapolitische Handlungsfähigkeit. Die zunehmende politische Polarisierung, auch unter jungen Wähler*innen, schwächt die demokratische Mitte und stärkt Ränder, die oft nationale Antworten auf globale Probleme bieten – zu Lasten internationaler Kooperation.

Um die demokratische Resilienz zu stärken, bedarf es einer strategisch neu ausgerichteten politischen Kommunikation. Diese sollte junge Menschen gezielt ansprechen und außenpolitische Zusammenhänge klar und verständlich vermitteln. Beteiligungsformate auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene könnten entscheidend dazu beitragen, die politische Integration junger Generationen zu fördern. 

Die zentrale Rolle sozialer Medien im Informationsverhalten junger Menschen trägt zur Fragmentierung des politischen Diskurses bei, während gleichzeitig Schlüsselthemen wie Migration und Sicherheit zunehmend emotionalisiert und vereinfacht verhandelt werden. Plattformen wie TikTok, Instagram, X (ehemals Twitter) oder Telegram sind für viele junge Menschen eine Hauptquelle politischer Informationen – allerdings oft in Form affektgeladener, vereinfachender oder anfälliger Inhalte für Desinformation.

Zwar bleibt die objektive Relevanz klimapolitischer Fragen unbestritten, doch im Wahlverhalten junger Menschen rücken Sicherheits- und Sozialpolitik zunehmend in den Vordergrund. Diese Verschiebung darf nicht als Desinteresse am Klimaschutz missverstanden werden. Vielmehr gilt es, klimapolitische Themen stärker mit sozialen Fragen und Zukunftschancen zu verknüpfen – und als europäisches Gemeinschaftsprojekt zu kommunizieren. Entscheidend ist, junge Menschen nicht nur als Zielgruppe zu adressieren, sondern sie als aktive Mitgestalter*innen politischer Transformation einzubeziehen.

Zudem erschwert die Behandlung von migrations- und sicherheitspolitischen Fragen in nationalstaatlichen Kategorien die Wahrnehmung der EU als handlungsfähige Akteurin in diesem Kontext. Tatsächlich lassen sich tragfähige Lösungen nur auf europäischer Ebene finden. Eine angemessene Reaktion erfordert daher eine lösungsorientierte, gemeinschaftliche und europäisch gedachte Handlungsfähigkeit. Dafür braucht es nicht nur politische Inhalte, sondern auch eine konsequente Stärkung digitaler Medienkompetenz und eine sichtbare Präsenz demokratischer Akteur*innen in jugendaffinen digitalen Räumen – mit niedrigschwelligen, faktenbasierten Informationsangeboten.

Ein weiterer wichtiger Punkt: die strukturelle Unterrepräsentation junger Menschen in politischen Entscheidungsprozessen. Trotz hoher Betroffenheit durch außen- und europapolitische Entwicklungen sind junge Stimmen in vielen relevanten Institutionen kaum vertreten. Die Einrichtung von Jugendräten, partizipativen Dialogformaten oder die systematische Einbindung junger Perspektiven in außenpolitische Entscheidungsprozesse könnten helfen, politische Entfremdung zu vermeiden und demokratische Teilhabe zu stärken.

Gerade in Zeiten multipler globaler Krisen darf dies nicht als Option verstanden werden – sondern als demokratische Notwendigkeit. Die kommenden Jahre werden entscheidend dafür sein, ob Deutschland seine außenpolitische Handlungsfähigkeit durch Teilhabe, soziale Integration und europäische Kohärenz sichern kann.

Three takeaways: Impressionen aus der Veranstaltung

„Die Alt- und Volksparteien werden in den kommenden Jahren ihre wichtige Stammwähler*innenschaft verlieren, während die AfD gerade beginnt, ihre aufzubauen. Das kann in Zukunft zu einem erheblichen Problem werden, wenn in Krisenzeiten vermehrt Randparteien gewählt werden und die politische Mitte ausgedünnt wird. Jetzt müssen die Weichen gestellt werden, um junge Menschen am Diskurs teilhaben zu lassen und stärker in Entscheidungsprozesse einzubinden.“ – Rafael Bürkle

„Herr Maas hat eindrucksvoll gezeigt, dass seine Forschung bereits im November 2024 die Wahlentscheidungen der unter 30-Jährigen sehr gut widergespiegelt hat. Es ist spannend zu sehen, wie diese Wähler*innengruppe nach wie vor aufgrund ihrer prozentualen Größe keine Rolle für die Politiker*innen der Mitte spielt und somit an politische Ränder gedrängt wurde. Doch es gibt Grund zur Hoffnung: noch kann der Trend umgekehrt werden.” – Moritz Pohl

„Die Jugend blickt mit großen Sorgen in die Zukunft – das begünstigt die politischen Ränder. In den vergangenen Jahren, etwa während der Corona-Pandemie und auch im aktuellen Wahlkampf, wurden junge Menschen stark vernachlässigt. Möglicherweise liegt das auch daran, dass sie mit etwa 13 Prozent nur einen kleinen Teil der Wahlberechtigten ausmachen. Doch es gibt weitere Einflussfaktoren: Social-Media-Plattformen, auf denen insbesondere die AfD und die Linke großen Erfolg hatten. Um extremen Wahlentscheidungen entgegenzuwirken, können persönliche Gespräche helfen, in denen man sich empathisch auf sein Gegenüber einlässt.“ – Teresa Becher


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