Die Bundestagswahl steht vor der Tür und nicht nur Parteien und Kandidierende bereiten sich intensiv darauf vor. Auch ausländische Akteur:innen greifen bereits in den Wahlkampf ein. Jüngste Recherchen decken ein Netzwerk von Desinformationskampagnen auf, die darauf abzielen, die öffentliche Meinung zu manipulieren und das Vertrauen in demokratische Institutionen zu untergraben. Doch wie groß ist die Gefahr wirklich und was wird unternommen, um die Integrität der Wahl zu schützen?
Ein Beitrag von Marvin Naeder
Ein unsichtbarer Krieg um die Wahrheit
Desinformation ist keine neue Bedrohung. Doch seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat sie, insbesondere aus Russland, deutlich zugenommen. Der Kreml setzt gezielt auf großangelegte Desinformationskampagnen, um seine geopolitischen Interessen durchzusetzen. Dabei hat er seine Toolbox stetig ausgebaut und verfeinert:
Eine der bekanntesten Operationen ist die sogenannte „Doppelgänger-Kampagne“, bei der gefälschte Websites entstehen, die digitale Auftritte etablierter Medien oder Regierungsstellen imitieren und pro-russische Narrative verbreiten. Begleitet wird diese von „Operation Matrjoschka“, einer weiteren russischen Offensive, die Faktenchecker mit irrelevanten Hinweisen flutet, um sie vom Prüfen schwerwiegender Falschinformationen zu hindern.
Die gezielte Verbreitung falscher oder irreführender Informationen dient dabei vor allem einem Zweck: Politische Instabilität schüren und das Vertrauen der Bevölkerung in demokratische Institutionen zu untergraben. In diesem Kontext gerät nun auch die Bundestagswahl ins Visier.
Von Wahl zu Wahl
Kürzlich deckte eine Recherche von CORRECTIV eine weitere Einflusskampagne auf. Unter dem Namen „Storm 1516“ verbirgt sich eine Operation, die bereits im vergangenen Jahr in den US-Wahlkampf eingriff. Mit Hilfe von Schauspieler:innen oder Deepfake-Technologien entstanden Videos, in denen angebliche Whistleblower:innen oder Zeug:innen gezielt falsche Informationen verbreiteten, um Politiker:innen der US-Demokraten zu diskreditieren. Diese Inhalte wurden anschließend auf mehreren eigens dafür erstellten Pseudo-Nachrichten-Websites veröffentlicht. Um die Reichweite zu maximieren, griffen vermeintlich unabhängige Influencer:innen das Material auf und verbreiteten es über Plattformen wie X oder Telegram weiter.
Nun wurden mindestens 100 deutschsprachige Fake-Websites entdeckt, die dem gleichen technischen Vorgehen folgen und die Bundestagswahl ins Visier nehmen. Ein Großteil davon wurde zwar noch nicht für konkrete Falschmeldungen genutzt; laut CORRECTIV scheinen sie aber vorsorglich angelegt worden zu sein und warten wie „Schläfer” auf ihren Einsatz.
Auch bei „Storm 1516“ führen die Spuren erneut nach Moskau. Ein in Russland lebender Ex-Polizist aus den USA, die ehemalige russische Trollfabrik „Internet Research Agency“ (IRA) und der militärische Geheimdienst GRU sollen in die Operation verwickelt sein.
Wie gefährlich ist die Bedrohung?
Was sich wie die Handlung eines Spionagethrillers liest, ist längst Realität – und stellt die deutschen Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen. Das Bundesministerium des Innern und das Bundesamt für Verfassungsschutz warnen daher eindringlich vor gezielten Desinformationskampagnen im Zusammenhang mit der Bundestagswahl. Ein Blick nach Rumänien zeigt, wie rasch gezielte Falschinformationen die Legitimität einer demokratischen Wahl untergraben können.
Dabei agieren ausländische Akteur:innen mit einem breiten Repertoire an Methoden: Von gefälschten Social-Media-Profilen und manipulierten Websites über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Deepfakes bis hin zu gezielten Cyberangriffen. Auch wenn die Stimmabgabe an der Urne weiterhin als sicher gilt, bleibt die Gefahr bestehen, dass eine langfristige gesellschaftliche Spaltung durch gezielte Manipulation verstärkt wird.
Was wird getan?
Die Bundesregierung verfolgt eine mehrgleisige Strategie, die aus Monitoring, Reaktion und Sensibilisierung besteht. Dazu überwachen das Bundesinnenministerium, das Auswärtige Amt und das Bundespresseamt gemeinsam den Informationsraum, analysieren kursierende Desinformationen und koordinieren Gegenmaßnahmen. Eine zentrale Rolle spielt die 2024 neu gegründete „Zentrale Stelle zur Erkennung ausländischer Informationsmanipulation“ (ZEAM), die Analysekapazitäten bündelt. Zudem wurde bereits 2022 eine Task Force gegen Desinformation eingerichtet, die den Austausch ressortübergreifend koordiniert. Während das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik die Parteien und Kandidierende bei der Informationssicherheit unterstützt, stellen die genannten Institutionen gemeinsam mit der Bundeswahlleiterin und der Bundeszentrale für politische Bildung umfangreiche Informationsangebote zum Thema Desinformation bereit.
Des Weiteren spielen die Verpflichtungen aus dem Digital Services Act (DSA) der EU eine zentrale Rolle: Der DSA ermöglicht die Regulierung digitaler Dienste. Wenn die EU-Kommission einen Verstoß vermutet, kann sie ein Prüfverfahren eröffnen. Wird eine Verfehlung festgestellt, müssen Plattformbetreiber illegale Inhalte rasch entfernen – so die Theorie.
Schwachstellen im System
Fraglich ist aber, ob der DSA ein tragfähiges Instrument im Kampf gegen Desinformation ist. Trotz wichtiger Neuerungen gibt es nämlich Kritik an seiner praktischen Umsetzung. Zu lange Bearbeitungszeiten, eine unzureichende Rechtsdurchsetzung und ein erhöhtes Prozessrisiko für betroffene Nutzer:innen sind die Schwachstellen des Gesetzes. Zudem sind die Melde- und Beschwerdeprozesse für Betroffene häufig umständlich gestaltet und enthalten manipulative „Dark Patterns“.
Auch die Betreibenden der Plattformen geraten zunehmend in die Kritik: Trotz laufender Prüfverfahren handeln sie nicht immer mit der nötigen Konsequenz und Meldungen werden oft nur verzögert bearbeitet. Besonders problematisch: Dem DSA fehlt eine dezidierte Bezugnahme auf Desinformation.
Und in Zukunft?
Die neuen institutionellen Maßnahmen sind ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Desinformation, doch bleibt die rechtliche Durchsetzung oft hinter den Erwartungen zurück. Der DSA schafft zweifellos eine wichtige Grundlage für die Regulierung digitaler Plattformen, doch seine Umsetzung ist nach aktuellem Stand unzureichend. Eine verstärkte Umsetzung und eine präzisere Ausgestaltung sind notwendig, um die Bekämpfung von Desinformation zu verbessern. Gleichzeitig sollten die Plattformen stärker in die Pflicht genommen werden.
Mit der Bundestagswahl rücken die durch Desinformation entstehenden Herausforderungen unweigerlich in den Fokus. Der Staat hat zwar entscheidende Gegenmaßnahmen ergriffen, doch Schwachstellen bleiben bestehen. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob die ergriffenen Maßnahmen genügen, um russische Desinformation im Kontext der Bundestagswahl einzudämmen.
Marvin Naeder studiert Politikwissenschaften im Master und beschäftigt sich mit politischer Kommunikation und Sicherheitspolitik. Im erweiterten Vorstand von Polis180 vertritt er die Bereiche Social Media und Public Affairs.
Bildquellen via Pixabay / Gerd Altmann / Jonah de Graaff. Eigene Zusammenstellung.
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