von Lars Feyen
Nicht nur in den USA oder Europa wird Taiwan immer stärker zum Politikum – sondern auch in den ostasiatischen Nachbarländern, die sich immer größere Sorgen um Chinas Einfluss in der Region machen. Auch wenn der Ausgang der Wahlen Anfang 2024 die grundsätzlichen Positionen Japans und Südkoreas nicht verändern wird, setzen beide Länder vor allen Dingen auf eines: Stabilität.
Japan: Taiwan als neuer Schwerpunkt der Außenpolitik
Bis zum Beginn der weltweiten COVID-19-Pandemieim Frühjahr 2020 war das nahe gelegene Taiwan in japanischen Regierungskreisen zwar Teil außenpolitischer Überlegungen, jedoch nahm die Unterstützung Taipehs als demokratischer Partner in der Region nur eine untergeordnete Rolle in den außenpolitischen Überlegungen Japans ein.
Dies lässt sich am diplomatischen Bluebook erkennen, dem jährlich erscheinenden Bericht über die außenpolitische Lage und Entwicklung Japans. Taiwan ist bis zum vorletzten Jahr dort nicht erwähnt worden. Seit 2021 fallen die Begriffe Taiwan oder Taiwan-Straße jedoch zahlreich – im aktuellen Bluebook finden die Begriffe zusammen 67 Mal Erwähnung und fallen oft in Zusammenhang mit dem Wunsch nach „Stabilität“ und der „Einhegung der Interessen Chinas“. Zugleich wird mehrfach betont, Japan setze sich für einen Beobachterstatus Taiwans in internationalen Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation ein.
Die wachsende Besorgnis über Pekings zunehmend selbstbewusstes politisches Handeln in seiner maritimen Nachbarschaft hat sich bereits einige Jahre vor der aktuellen Rhetorik entwickelt. Ein wesentlicher Grund dafür sind die Konflikte, die sich 2012 um die unbewohnten, aber aufgrund ihrer Lage in Bezug auf den Kontinentalsockel und die Wirtschaftszonen strategisch wichtigen Pinnacle-Inseln (auf Japanisch Senkaku-Inseln, auf Chinesisch Diaoyu-Inseln) ereignet haben
Die zunehmend gewichtige Rolle, die Taiwan in der strategischen Ausrichtung Tokyos in den letzten drei Jahren gewonnen hat, findet sich auch in den Positionierungen prominenter Politikerinnen und Politiker wieder. So reiste Ex-Premierminister Abe nach Ende seiner Amtszeit selbst nach Taipeh, um Taiwans Präsidentin Tsai persönlich zu treffen. Seine politische Ziehtochter Takaichi Sanae unterhielt sich zudem per Video-Call mit Tsai, als sie sich 2021 um den Parteivorsitz der regierenden LDP bewarb. Und Kurzzeit-Premierminister Suga unterlief – bewusst oder unbewusst – bei einer öffentlichen Äußerung die diplomatisch heikle Charakterisierung Taiwans als „Land“, welches die Pandemie gut gemeistert habe. Die Freiheit und Autonomie Taiwans sind inzwischen fast unumstrittener Teil der japanischen Staatsdoktrin.
Insgesamt wird diese Annäherung durch die signifikanten sub-staatlichen Beziehungen und die grundsätzlichen Sympathien füreinander unterstützt. Die taiwanische Bevölkerung blickt, trotz der japanischen Kolonialgeschichte, überwiegend positiv auf den nordöstlichen Nachbarn. In Japan wird vor allem die Unterstützung durch Taiwan nach der Dreifachkatastrophe von 2011 geschätzt, ebenso wie die Aufhebung von Einfuhrverboten landwirtschaftlicher Produkte aus Fukushima und anderen Präfekturen.
Trotz ihrer politisch unterschiedlich ausgelegten Programme haben so die in Taiwan seit 2015 regierende, links-zentristische DPP und die größtenteils streng konservative LDP in Japan in ihrer gemeinsamen Ablehnung Chinas und Unterstützung einer engeren Kooperation mit Washington in den vergangenen Jahren gemeinsame Anliegen aufgebaut. Gleichzeitig würde ein Regierungswechsel in Taipeh auch Tokyo nicht in Aufruhr versetzen, solange die neue Regierung vor allem auf Stabilität setzt – und darauf, China nicht zu sehr zu einer Eskalation zu provozieren.
Sympathie, aber auf Distanz: Südkoreas Umgang mit Taiwan
Deutlich distanzierter gestaltet sich der Umgang Südkoreas mit Taiwan. Südkorea war 1992 das letzte Land auf dem asiatischen Festland, welches seine diplomatische Anerkennung von Taipeh zu Peking wechselte. Dieser Schritt hat die bilateralen Beziehungen zu dem Inselstaat über Jahre belastet. Gleichzeitig ist Südkorea noch stärker von guten Beziehungen zu China abhängig als Japan: Schließlich ist die Volksrepublik nicht nur der größte Handelspartner, sondern auch ein Akteur, der einen gewissen Einfluss auf das Regime in Nordkorea hat und daher eine Rolle im Verhältnis der beiden koreanischen Staaten spielt. Zudem gilt die Überlegung, dass ein militärischer Konflikt um Taiwan Nordkorea dazu bewegen könnte, den Süden anzugreifen – oder zumindest die militärische Drohkulisse zu verstärken.
So überrascht es also nicht, dass die konservative Regierung von Yoon Seok-yeol den eher chinafreundlichen Kurs der linksliberalen Vorgängerregierung korrigierte und verstärkt auf eine Annäherung mit den USA und Japan setzte. Yoon äußerte sich auch internationalen Medien gegenüber kritisch zu Chinas Taiwanpolitik.
Gleichzeitig sind auch Yoon und sein Kabinett streng darauf bedacht, den Bogen nicht zu überspannen. Der südkoreanische Präsident hat so etwa die damalige Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, nicht persönlich empfangen, nachdem sie im Anschluss an ihre umstrittene Reise nach Taiwan in Seoul einen Zwischenstopp einlegte. Eine formale Mitgliedschaft in der sicherheitspolitischen Quad-Gruppe wird derzeit ebenfalls nicht mehr offiziell verfolgt. Yoon scheint sich mittlerweile auch mit einer eher informellen Partnerschaft zufrieden zu geben.
Wie sich Seoul in Zukunft gegenüber Taipeh positionieren wird, hängt zudem weniger von den Wahlen in Taiwan ab, als vielmehr von den im April anstehenden Parlamentswahlen in Südkorea selbst. Im Parlament hält die oppositionelle Demokratische Partei derzeit mit ihrem Lager die Mehrheit. Der außenpolitische Spielraum wird für Yoon auch davon abhängen, ob er und seine Partei trotz zahlreicher Skandale und schlechter Umfragewerte eine Mehrheit erlangen kann.
Die Sicht der demokratischen Nachbarn: Alles auf Harmonie gesetzt
So lässt sich sagen, dass sowohl Japan als auch Südkorea die Wahlen und die Entwicklung Taiwans durch das Prisma ihrer eigenen Sicherheitspolitik betrachten. Dabei ist zu vermuten, dass Tokyo sich stärker an die Seite des Nachbarlandes stellen könnte als Seoul. Beide Staaten eint jedoch der klar formulierte Wunsch, eine militärische Eskalation in direkter Nachbarschaft unbedingt vermeiden zu wollen.
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Lars hat Internationale Beziehungen, Romanistik und East Asian Studies in Erfurt und Groningen studiert. Er arbeitet derzeit beim Podcast-Radio detektor.fm in Leipzig und ist im Polis-Programmbereich connectingAsia aktiv.
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