von Frederik Schmitz
In der öffentlichen Debatte um den nächsten Präsidenten spielen zwar nur drei Parteien und Terry Gou als unabhängiger Kandidat eine Rolle, aber in Taiwans Parlament, den Legislativ-Yuan, wollen noch eine Reihe anderer Parteien. Sie kämpfen um einen oder mehrere der 113 Plätze, die die gesetzgebende Gewalt formen und den Exekutiv-Yuan, das Regierungskabinett, überwachen. Diese Plätze setzen sich wie folgt zusammen:
- 73 Plätze gehen an Direktkandidat*innen, die nach dem relativen Mehrheitswahlrecht direkt gewählt werden.
- 6 Plätze werden von den indigenen Völkern direkt gewählt
- 34 Plätze werden über die Zweitstimme vergeben, die dem Verhältniswahlrecht folgt.
Nichts für schwache Nerven
Dass es im Legislativ-Yuan zuweilen hoch hergeht, zeigen verschiedene handgreifliche Auseinandersetzungen in den vergangenen Jahrzehnten. Die Älteren unter uns mögen sich an die Zeit Wehners und Strauß‘ im Deutschen Bundestag erinnert fühlen, auch wenn dort die Fäuste in der Tasche blieben. Faustkämpfe sind im taiwanischen Parlament hingegen keine Seltenheit, sei es bei der Debatte um eine erneute Stimmauszählungen nach der Präsidentschaftswahl 2004 oder 2017 als die Opposition der regierenden DPP vorwarf, die eigene Anhänger*innenschaft bei Infrastrukturmaßnahmen zu bevorzugen. Ergänzt um geworfene Schweine-Innereien „diskutierten“ die Abgeordneten 2020 den vereinfachten Import von Schweinefleisch aus den USA, für das die Tiere mit dem umstrittenen Ractopamin gefüttert worden waren.
Von Umweltschutz bis Vereinigung
Hier werden nun ein paar der Klein- und Kleinstparteien Parteien sowie eine Gruppierung vorgestellt – ohne natürlich repräsentativ sein zu wollen, da es sich um eine sehr subjektive Auswahl handelt. Losgelöst von der Wahrscheinlichkeit, in das Parlament einzuziehen, gehen sie auf die Straßen, um für ihre Positionen und Unterstützung zu werben.
Die Taiwanischen Grünen wurden 1996 gegründet und streiten seitdem für soziale Verbesserungen und mehr Umweltschutz. Sie sind nicht mit dem pan-grünen Lager um die aktuelle Regierungspartei DPP zu verwechseln, der traditionell auch die Farbe Grün zugewiesen wird. Die rund 400 Mitglieder kommen aus der taiwanischen Zivilgesellschaft, Wissenschaft und der jungen Wähler*innenschaft. Bei den Wahlen zum Legislativ-Yuan konnten sie bisher jedoch weniger reüssieren und haben in ihrer Geschichte noch keinen Platz für sich gewinnen können. Auch auf der lokalen Ebene sieht es nur wenig besser aus.
Nachdem sich die People First Party 2000 aus der KMT abgespalten hat, konnte sie einige Erfolge für sich verbuchen. Bei der Wahl 2001 erhielten sie 46 der damals 225 zu vergebenden Sitze im Legislativ-Yuan und auch 2004 konnten sie 34 gewinnen. Dann ging es jedoch bergab und 2008 war es nur noch ein Sitz von 114, 2012 drei, 2016 ebenfalls – 2020 flogen sie dann aus dem Parlament. Mit ihrem langjährigen Spitzenkandidaten James Soong steht die Partei der KMT nach wie vor nah, fordert eine nationalchinesische Kultur und möchte den wirtschaftlichen sowie kulturellen Austausch mit China fördern. Eine vollständige Unabhängigkeit lehnt die People First Party ab.
Chinese Unification Promotion Party
Von den wenigen Parteien, die eine Vereinigung Taiwans mit der Volksrepublik China wünschen, ist die Vereinigungspartei sicherlich die schrillste. Schrill allerdings eher in dem Sinne, dass es sich hierbei um einen Zusammenschluss mindestens latent mafiöser Personen handelt, die aus den Triaden kommen und beste Beziehungen nach China pflegen. Man schätzt, dass zwischen 30.000 und 60.000 Personen dieser Partei angehören, die 2005 von Chang An-Io gegründet wurde und aus der ein Jahr zuvor in China gegründeten NGO „Defending China’s Great Alliance“ entsprang. Chang An-Io, auch als „Weißer Wolf“ bekannt, ist ein taiwanischer China-Ultranationalist, Geschäftsmann und verurteilter Straftäter. Als gegen ihn in den 1990er Jahren wegen organisierter Kriminalität ermittelt wurde, floh er nach China und kehrte erst 2013 zurück, wurde aber nicht verurteilt. 2019 folgte dann jedoch eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, Unterschlagung und illegaler politischer Spenden. Seine Anhänger*innen demonstrieren regelmäßig für seine Freilassung, vermögen es jedoch nicht, eine breite Unterstützung für die Ziele der Partei zu organisieren.
Dem Lager sozialistischer Parteien zugehörig, tritt auch die Labor Party zur Wahl des Legislativ-Yuan an. Unter den Klein- und Kleinstparteien ist sie eine der älteren und wurde bereits 1989 aus einer Gewerkschaft heraus gegründet. Sie setzt sich für Arbeitsreformen und die Umverteilung sozialer Ressourcen ein. Die Partei unterstützt auch die Vereinigung Taiwans mit dem chinesischen Festland. Dabei fordert sie ein hohes Maß an Autonomie, gleich dem aus Hongkong und Macau bekannten Prinzip „ein Land, zwei Systeme“. Außer bei Kommunalwahlen in der Provinz Hsinchu, wo sie gegründet wurde, konnte sie bisher jedoch noch keine Wahlerfolge verzeichnen.
Aus der Sonnenblumen-Bewegung 2014 ist die New Power Party (NPP) entstanden. Die Partei setzt sich für allgemeine Menschenrechte, die Abschaffung der Todesstrafe und politische Freiheiten sowie Taiwans Unabhängigkeit ein. Ihre Überzeugungen stimmen in weiten Teilen mit der DPP überein und so kommt es auch zu Kooperationen. Die NPP möchte die Verfassung neu schreiben, die seit der Einparteienherrschaft der KMT nicht geändert wurde und noch immer einen Hoheitsanspruch über die Volksrepublik China formuliert. Stattdessen soll ein neue Verfassung nur für Taiwan gelten. Bei den taiwanischen Parlamentswahlen 2016 gewann die Partei fünf Parlamentssitze und 2020 drei Sitze.
Die Taiwan Solidarity Union (TSU) wurde 2001 von Unterstützer*innen des ehemaligen Präsidenten Lee Teng-hui gegründet, zu deren Spiritus Rector Lee wurde. Auch wenn er nie Mitglied der Partei war, wurde der ehemalige Präsident aus seiner damaligen Partei, der KMT, ausgeschlossen, nachdem er sich für die TSU zur Wahl 2001 aufstellen ließ. Sie steht der DPP politisch sehr nah, fordert jedoch aktiv die Schaffung einer De-jure-Republik Taiwan. Konnte die Partei 2001, 2004 und 2012 noch Plätze im Legislativ-Yuan gewinnen, steht sie inzwischen vor der politischen Bedeutungslosigkeit.
„Partei“ der Taiwanischen Volksregierung
Vergleichbar mit Verschwörungsmythen der Reichsbürger*innen tritt diese Organisation auf, die eine Vereinigung Taiwans mit den USA fordert. Sie ist jedoch nicht als Partei registriert und steht somit auch nicht zur Wahl. Eine Wahl, die sie sowieso nicht anerkennt. Ihrem Weltbild zur Folge ist Taiwan von einer Regierung “auf” Taiwan besetzt, die eigentliche Souveränität läge als Folge der Kolonialzeit aber immer noch bei Japan. Die Organisation lehnt eine Unabhängigkeit Taiwans ab und kritisiert den unbestimmten Status quo. Aus der vermeintlichen eigentlichen Zugehörigkeit zu den USA leitet die Vereinigung ab, dass Personen mit einem taiwanischen Pass ohne Visum direkt in die USA reisen können. In jüngerer Vergangenheit sind mehrere führende Mitglieder dieser doch eher wirr erscheinenden und abtretenden Gruppe wegen des Vorwurfs der organisierten Kriminalität und Geldwäsche in Konflikt mit dem taiwanischen Gesetz gekommen.
Man mag die eine oder andere Partei belächeln und ihre Ziele für wahnwitzig und irre halten, aber auch diese Parteien sind ein Ausdruck für die Vielfalt und Stabilität der Taiwanischen Demokratie. Nicht umsonst führt der The Economist Democracy Index Taiwan an zehnter Stelle weltweit, noch vor Deutschland (14.) und den USA (30.). Die meisten dieser Parteien werden auch 2024 keine Chance auf einen Sitz im Legislativ-Yuan haben, aber: Man kann es ja versuchen.
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Bildquelle: Frederik Schmitz
Frederik Schmitz hat Sinologie in Köln und Tübingen studiert und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS) der Universität Bonn. Sein Forschungsschwerpunkt ist Erinnerungspolitik als politische Legitimationsstrategie in China. Im Polis180-Programm connectingAsia organisiert Frederik außerdem den Buchclub.
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