von Frederik Schmitz
Während ich im August bei einer Ausstellungseröffnung auf der Insel Kinmen sitze, füllt sich der sonst eher spärlich besetzte Saal plötzlich. Zwei ältere Männer, einer mit sichtbar gefärbten Haaren, betreten den Saal, gefolgt von einer nicht kleinen Gruppe an Fotograf*innen. Ich habe keine Ahnung, wer die beiden sind. Später finde ich heraus: es sind der dortige Gouverneur und Terry Gou. Viele vermuten schon, dass er ins Rennen um das Präsidialamt einsteigen wolle – verkündet hatte er es aber noch nicht.
Kurze Zeit später ist es dann soweit. Während die Parteien noch nicht wirklich in Wahlkampfstimmung sind, poppen überall violette Läden auf, die Unterschriften für seine Kandidatur sammeln sollen.
Er ist überall: Auf Häuserwänden, Taxis und vielen öffentlichen Bussen. Die Rede ist von Terry Gou. Mit 73 Jahren wollte Guo Taiming (郭台銘) am 13. Januar 2024 zum Präsidenten Taiwans gewählt werden. Nicht zum ersten Mal: Dieses Mal hat er es zumindest bis in die letzte Runde geschafft. Der Foxconn-Gründer gilt zwar oft als reichster Mensch Taiwans, ist aber laut Forbes “nur” auf Platz 6. Unter seiner Leitung ist Foxconn vom Hersteller für Kunststoffprodukte zum weltweit größten Produzenten von Elektronikprodukten aufgestiegen. Nach seinem Rückzug aus der Firma hat er nun politische Ambitionen.
Bereits bei der letzten Wahl wollte Terry für die Kuomintang (KMT) ins Rennen gehen. Dieser Partei trat er 2019 wieder bei, nachdem ihn die Meeresgöttin Mazu im Traum angewiesen hat, für das Präsidialamt zu kandidieren. Wie auch dieses Mal konnte er sich im innerparteilichen Wettbewerb jedoch nicht durchsetzen. Was er damals nicht versuchte, als unabhängiger Kandidat anzutreten, würde er nun 2023/24 wagen – oder zumindest sah es lange Zeit so aus.
Ein Schlag gegen die KMT?
Und das hätte für die KMT zum Problem werden können, denn sowohl er als auch die KMT ringen um das gleiche Wähler*innenklientel, bei einer bisher ausbleibenden Wechselstimmung: vornehmlich ältere Wähler*innen, die aus verschiedenen Gründen gute Beziehungen zur Volksrepublik China wünschen. Und nicht wenige sehen in seiner Kandidatur auch einen Racheakt gegen die Partei, deren Mitglied er von 1970-2000 sowie fünf Monate 2019 war. Daher stellt sich die Frage, was er wollte. Denn trotz seiner unübersehbaren Präsenz waren seine Erfolgsaussichten mehr als fraglich. In allen Umfragen lag er hinter den drei aussichtsreichsten Parteien: KMT, DPP und TPP.
Wie ernst es ihm am Ende war, kann vermutlich nur er beantworten. Das benötigte Quorum von knapp unter 300.000 Unterschriften hatte er seit Oktober erreicht. Gemeinsam mit Lai Pei-Hsia, seiner Kandidatin als Vizepräsidentin, konnte er somit seine Kandidatur erklären. Lai ist eine taiwanische Sängerin, die sowohl die taiwanische als auch die US-amerikanische Staatsbürger*innenschaft besitzt, bzw., besaß – denn den amerikanischen Pass musste sie für die Kandidatur abgeben.
„Good Timing“
Mit seinem Slogan „Good Timing“ kämpfte er um Stimmen, und selbst ihm nicht wohlgesinnte Menschen geben zu: Schlecht war er nicht. Dabei hatte er keinen kleineren Anspruch, als Taiwan zu verändern – doch in welche Richtung? T(a)iming gerierte sich als Macher, als DER erfolgreiche Geschäftsmann mit internationalem Weitblick. Und so zitierte er auf seinem Flyer Forbes und Harvard Business Review, die seine Erfahrung belegen sollten. Aber er wollte auch die Botschaft senden: Ich verstehe die Menschen.
Was hat er vor?
Öffentlich existierte nicht viel an Schriftmaterial oder gar ein ausgearbeitetes Wahlprogramm. Bei den Unterstützer*innen, die fleißig Unterschriften sammelten, gab es neben feuchtem Toilettenpapier, Kugelschreiben, Fächern, Taschentüchern und Handyhüllen mit seinem Namen und Gesicht drauf nur sehr wenig inhaltliche Infos. Auf die Frage an drei junge Taiwaner*innen, die in einem der Pop-up-Läden saßen, was er denn verändern wollte, erhielt ich nach einigen Sekunden nur die Antwort: Er will Taiwan verändern. Mehr als einen Zettel mit seinen 10 Themen konnten sie mir dann aber auch nicht geben. Und zwei Kugelschreibern – ein bisschen wie in Deutschland.
- Sozialwohnungen konsequent umsetzen und den Mietmarkt verbessern und für Wohnungsgerechtigkeit sorgen
- Staatliche Betreuung von der Geburt bis zum sechsten Lebensjahr, Aufbau einer weitflächigen medizinischen Versorgung sowie ein solides Langzeitpflegesystem
- Die Insolvenzkrise der Arbeits- und Krankenversicherung lösen und das Verhältnis zwischen Ärzt*innen und Patient*innen
- Schwerpunkt auf wirtschaftlicher Entwicklung: Verdopplung der Wirtschaftswachstumsrate innerhalb von vier Jahren
- Lebensmittelsicherheit verbessern, grüne Energie fördern und ein nachhaltiges Land aufbauen
- Die Kluft zwischen städtischen und ländlichen Gebieten überwinden und eine ausgewogene Entwicklung des städtischen und ländlichen Bauwesens umsetzen
- Strommangel durch neue Energiegeneratoren bekämpfen
- Künstliche Intelligenz in Taiwan fördern
- Kulturindustrie fördern und Taiwan zu einem globalen Exportland für chinesische Kultur ausbauen
- Eine technologische Landesverteidigung aufbauen, geopolitische Differenzen beseitigen und neue Möglichkeiten für den Frieden in der Taiwanstraße schaffen
Hatte es irgendetwas nicht auf diese Liste geschafft? Aber spannend ist doch, dass die Beziehungen zu China erst an letzter Stelle thematisiert wurden. Ein Eindruck, den ich allgemein habe, ist, dass andere Themen wie Wohnungsnot als mindestens genauso wichtig wahrgenommen werden.
Außer Spesen…
Kurz vor dem Ende der Registrierungszeit für die Kandidat*innen zeichnete sich ein zähes Verhandeln über eine alternative Koalition gegen die amtierende DPP-Regierung ab. Das oberste Ziel war es, einen erneuten Wahlsieg der DPP zu verhindern. Die Komplexität dieses Unterfangens kommentierte Terry Gou gleich zu Beginn. Auf diese Entwicklung angesprochen, antwortete Terry Gou süffisant: „[Das ist] zu kompliziert, ich wollte nur schlafen.” Am Ende eines wochenlangen Hin und Her sollte er noch einmal zwischen TPP und KMT vermitteln. Denn: Man konnte den Eindruck gewinnen, dass es den beiden Spitzenkandidaten jeweils um das eigene Amt ging. Die finale Pressekonferenz am Tag vor der Registrierungsfrist verbrachte er zunächst damit, allen ein schönes Thanksgiving zu wünschen und anschließend seinen Unmut darüber auszudrücken, dass sich die KMT nicht an die Spielregeln der Verhandlung halten würde.
In die Nacht verabschiedete er sich noch mit einem Post bei Facebook, auf dem Lai Pei-Hsia und er wohlgelaunt bei einem Heißgetränk in einer Bar sitzen. Darunter der Kommentar:
“Drinnen gibt es einen Statistikkurs und draußen trinken wir Kaffee.
Lai Pei-Hsia
#Registrierungscountdown[noch]22Stunden”
Damit spielte er auf den Knackpunkt in den Verhandlungen zwischen KMT und TPP an, ob man bei den erhobenen Umfragen über die Erfolgschancen der jeweiligen Kandidaten eine 3 oder 6 %-ige Fehlerquote annehmen sollte.
Am nächsten Morgen kamen die ersten Gerüchte auf, er würde seine Kandidatur zurückziehen – wenig später tat er dies dann auch.
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Bildquelle: Frederik Schmitz
Frederik Schmitz hat Sinologie in Köln und Tübingen studiert und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS) der Universität Bonn. Sein Forschungsschwerpunkt ist Erinnerungspolitik als politische Legitimationsstrategie in China. Im Polis180-Programm connectingAsia organisiert Frederik außerdem den Buchclub.
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