Polisblog
6. Dezember 2023

Taiwan hat die Wahl (3): Gleiche Partei, neues Gesicht – die DPP

06.12.2023

 

von Isabel Billmeier

 

Die Gründung und Anfangszeit der DPP

Im September 1986 gründete sich die Demokratische Fortschrittspartei (DPP) aus der Demokratiebewegung heraus als erste – zunächst noch illegale – Oppositionspartei in Taiwan zur autoritär regierenden Kuomintang. Mit der Aufhebung des Kriegsrechts 1987 schritt die Liberalisierung und Demokratisierung im Land voran. Nicht nur die Versammlungs-, Pressefreiheit und freie Parteiengründung wurde garantiert, sondern auch freie Wahlen. 

 

Die DPP vertritt seit ihrer Gründung demokratische Werte und steht für eine gerechte Gesellschaft ein. Sie sieht Taiwan als Teil der internationalen Gemeinschaft und möchte hierbei die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit vor allem mit den Ländern der asiatisch-pazifischen Region weiter ausbauen.

 

Im Jahr 2000 überzeugte die DPP erstmals die Wähler*innenschaft und stellte den Präsidenten Chen Shui-bian, dessen Bestätigung im Amt direkt durch Wiederwahl in der darauffolgenden Legislaturperiode folgte. Chen prägte seine zweite Legislaturperiode mit der „Vier Nein und ein Nicht“-Politik (四不一沒有). Nach anfänglicher Übereinkunft mit China und den USA, die Unabhängigkeit Taiwans nicht zu erklären, änderte sich seine Strategie. Er forderte, dass die Republik China offiziell Taiwan heißen solle, eine neue Verfassung, die offizielle Unabhängigkeit und damit einhergehend eine Aufnahme in die Vereinten Nationen. Mit der amtierenden Präsidentin Tsai Ing-wen, ebenfalls von der DPP, wird die Republik seit zwei Legislaturperioden erstmals von einer Frau regiert. Ihre politischen Schwerpunkte lagen in der Stärkung der taiwanischen Identität und Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Die Gesprächskanäle zwischen China und Taiwan froren aber in ihrer Amtszeit aufgrund der Ablehnung des Konsenses von 1992 ein. Der Konsens von 1992 ist die Übereinkunft Chinas und Taiwans darüber, dass es nur ein China gibt, beide Staaten aber eine eigene Interpretation des ‘einen Chinas‘ haben. Die damalige KMT-Regierung unterzeichnete das Abkommen gemeinsam mit der Volksrepublik China nach intensiven Gesprächen. Als Gegenentwurf legten die DPP und Tsai den “Taiwan-Konsens” vor. Nach der zweiten Amtszeit muss Tsai jedoch aus dem Amt scheiden, eine erneute Kandidatur ist ihr nicht mehr möglich.

 

Als Nachfolgekandidat der DPP für das höchste Amt im Staat wurde der Mediziner Lai Ching-te ausgewählt. Bevor er seine derzeitige Position als Vizepräsident Taiwans antrat, war er Bürgermeister von Tainan 2010-2017 und bis 2020 Premierminister Taiwans.

 

Lai Ching-te: Tsais Vizepräsident

Lai Ching-te hatte in seiner politischen Karriere mit einigen Kontroversen zu kämpfen. So wurde seine Aussage von 2017 im Rahmen einer neuen Arbeitsreform kritisiert. Er schlug damals vor, Pfleger*innen sollten über die niedrige Bezahlung hinwegsehen und „Taiwan mit ihren tugendhaften Handlungen segnen, indem sie gute Taten vollbringen“.

 

Auch seine Haltung zur Unabhängigkeit Taiwans hat sich im Laufe der Jahre offensichtlich verändert. 2017 sprach er noch davon, dass er die Unabhängigkeit Taiwans unterstützen würde. Kurz darauf relativierte er seine Aussage und gab an, er würde die Unabhängigkeit Taiwans als „pragmatisch“ ansehen, er liebe China ebenso sehr wie Taiwan. 2023 sagte er in einem Interview, Taiwan sei schon unabhängig. Später relativierte er aber auch diese Aussage wieder und sprach davon, er würde Taiwans Unabhängigkeit nicht erklären. Eine Unabhängigkeitserklärung würde die Spannungen in der Taiwanstraße noch weiter anfachen und dies sei zu vermeiden.

 

Vorwürfe der Misswirtschaft könnten zu einem größeren Hindernis auf dem Weg zur Macht werden. Seit 2023 hat Taiwan etwa mit einem Eierskandal zu kämpfen. Das Land leidet schon seit Jahren unter einer Knappheit an Eiern. Zu Beginn des Jahres wurde aus diesem Grund ein Programm zum Import von Eiern aufgesetzt. Der Preis von Eiern wurde staatlich reguliert und nationale Unternehmen bekamen Subventionen für ihre finanziellen Einbußen. Ein nationales Unternehmen wurde dabei beschuldigt, von Subventionen profitiert zu haben, da sie einen außergewöhnlich hohen Anteil an staatlichen Subventionen erhielten. Die importierten Eier mussten schließlich aufgrund falscher Angaben des Mindesthaltbarkeitsdatums vernichtet werden, was letztendlich zum Rücktritt des Agrarministers Chen Chi-chung führte. Der Eierskandal führte zu einer allgemeinen Unzufriedenheit der DPP-Regierung und somit auch zur Unzufriedenheit über den noch amtierenden Vizepräsidenten.

 

Präsidentschaftskandidat

Lai Ching-tes Umfragewerte lagen in den letzten Monaten immer um die 37%, im Oktober sackten die Werte zwischenzeitlich auf 31,8% ab, konnten sich aber für den November wieder auf 36,6% erholen. Der Einbruch in den Werten liegt an dem Eierskandal, aber auch die Desinformationskampagnen Chinas haben einen negativen Einfluss auf die Umfragewerte.

 

Wie alle Präsidentschaftskandidaten ist Lai Ching-te auf Social Media stark vertreten und wirbt auch über seine Website eifrig für sein Wahlprogramm, unter anderem mit eigenen Wahlsongs und einer Lofi Playlist. Sein ‚National Hope Project‚ lässt sich an sieben Punkten festmachen:

 

  1. „Drei Pfeile“-Konzept: Bezahlbares Wohnen, Änderung der Wohnungssteuer und ein Darlehen für junge Menschen zu Vorzugskonditionen.
  2. „4-Säulen-Plan“ für die Taiwanstraße: Streitkräfte stärken, wirtschaftliche Sicherheit verbessern, Zusammenarbeit mit demokratischen Partnern ausbauen sowie den Status quo erhalten.
  3. Energiepolitik: Weiterführung der aktuellen Politik mit dem Ziel der nationalen CO2-Neutralität bis 2050.
  4. Finanzpolitik: Senkung der Ausgaben, Bewahrung der stabilen Finanzlage und Beschleunigung von Fintech-Innovationen.
  5. „0-22 Investing in Future Generations“-Politik: Förderung im Bildungsbereich, Erlass der Gebühren und Gleichstellung der Berufsausbildung in den schulischen Oberstufen, Subventionen für private und öffentliche Hochschulen, psychologische Beratungsdienste für junge Menschen.
  6. Sozialstaat: Pläne für die Langzeitpflege und Betreuungsdienste, Entlastung der Pflegekräfte, Sozialhilfen für Kinder, Jugendliche und geistig und körperlich beeinträchtigte oder ältere Menschen.
  7. Arbeitsrechte: Mindestlohngesetz, Förderung von Investitionen junger Menschen.

 

Außerdem möchte er die Forderungen der Protestaktion „Return the Roads to the People“ weiterführen und die Zahl der Verkehrstoten verringern. Zudem plant er die Einrichtung eines neuen Ministeriums für Sport und Sportentwicklung, das sich sowohl um die taiwanische Sportindustrie als auch um die Förderung von Athleten und internationale Sportwettkämpfe unter der Marke Taiwan kümmern soll. Dafür ist eine Aufstockung des Sportbudgets um 20 Milliarden Taiwan-Dollar vorgesehen.

 

Wird Lai Präsident?

Die Volksrepublik China betreibt zu der anstehenden Wahl in Taiwan aktive Desinformationskampagnen. Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums nannte Lai einen „Unruhestifter“ und behauptete, dass er gegen die „Ein-China“-Politik verstoßen würde, als er Mitte August zu einem Besuch in die USA aufbrach. Auch gegen Tsai Ing-wen wurden Deepfake-Videos produziert und über die Meerenge nach Taiwan versendet.

 

Trotz der zuletzt schwankenden Umfragewerte liegt Lai Ching-te in allen Umfragen vor seinen Konkurrenten. Als Vizepräsidentin wurde Hsiao Bi-khim, die aktuelle Repräsentantin Taiwans in Washington, D.C., nominiert. Sie ist außerdem eine enge Vertraute von Präsidentin Tsai Ing-wen, die sie 2020 zur Vorsitzenden des taiwanischen Sicherheitsrats ernannte.

 

Das Duo Lai Ching-te und Hsiao Bi-khim hat gute Chancen, die Wahl am 13. Januar 2024 zu gewinnen. Die Amtszeit könnte aber beschwerlicher werden, die TPP und KMT verbündeten sich erst kürzlich und können somit eine Parlamentsmehrheit stellen.

 

Polis Blog ist eine Plattform, die den Mitgliedern von Polis180 & OpenTTN zur Verfügung steht. Die veröffentlichten Beiträge stellen persönliche Stellungnahmen der AutorInnen dar. Sie geben nicht die Meinung der Blogredaktion oder von Polis180 e.V. wieder.

 

Bildquelle: Frederik Schmitz

 

Isabel Billmeier studiert Sinologie und Osteuropastudien an der Universität Hamburg. Sie ist seit Dezember 2022 Mitglied im Polis180-Programm connectingAsia.



 

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