28.11.2023
Ein Beitrag von Lars Feyen
Argentiniens neu gewählter Präsident Javier Milei wird nicht nur versuchen, die Fiskal- und Innenpolitik Argentiniens auf den Kopf zu stellen. Auch außenpolitisch wird die Wahl des ultralibertär-rechten Ökonomen Veränderungen bringen. Diese müssen aus europäischer Sicht nicht zwangsläufig negativ sein.
Auch wenn die veröffentlichten Umfragen der vergangenen Wochen vor allem ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen vorhergesagt haben, hatte sich der klare Wahlsieg des „Anarchokapitalisten“ Javier Milei in den vergangenen Tagen bereits abgezeichnet und erscheint in seiner Konsequenz kaum überraschend. Es sagt viel aus über den Zustand Argentiniens, dass ein Fernsehkommentator, der vor allem durch das Klonen seines Lieblingshundes, seine Passion für tantrische Sexpraktiken und seine rockstarähnlichen Wahlkampfauftritte mitsamt Kettensäge Berühmtheit erlangt hat, nun Staatsoberhaupt werden konnte. Sein Gegenkandidat, der ehemalige Wirtschaftsminister Sergio Massa, hatte ihm dabei in die Hände gespielt: Er stand beispielhaft für das Versagen der politischen “Kaste”, die Milei, nicht ganz unberechtigt, für die jährliche Inflation von über 140 Prozent in der Verantwortung sieht.
Die internationalen Reaktionen auf den Sieg Mileis fielen dabei erwartbar aus. Während die ersten Glückwünsche von vergleichbaren Größen der globalen Rechten wie Jair Bolsonaro und Donald Trump kamen, haben sich die linken Regierungen in Südamerika zurückhaltend bis ablehnend gezeigt: Brasiliens Präsident Lula da Silva wünschte, ohne Milei namentlich zu nennen, der neuen argentinischen Regierung „viel Glück und Erfolg“. Kolumbiens Gustavo Petro dagegen konnte nicht verhehlen, dass das Ergebnis der Wahl aus seiner Sicht vor allem „traurig“ sei.
So sehr der exzentrische Milei mit seinen Forderungen, die Hälfte der argentinischen Ministerien zu schließen, seiner revisionistischen Relativierung der brutalen Militärdiktatur des Landes und seiner kategorischen Ablehnung des Rechts auf Abtreibung für verständliche Ablehnung sorgt, so wichtig ist es gleichzeitig, ihn von anderen Figuren der globalen Rechten zu unterscheiden. In keinem Feld erscheint dies so wichtig wie in der Außenpolitik, die die neue Regierung in Buenos Aires verfolgen wird. Mileis Regierung wird sich international vor allem an liberalen Demokratien und der institutionellen Ordnung orientieren.
Um diese Annahme zu begründen, ist ein Blick auf drei Beispiele relevant: Mileis Haltung zur Handelspolitik, seine Position gegenüber Washington und Peking sowie seine Äußerungen zum Krieg in der Ukraine.
Erstens ist Milei ein selbsternannter „Anarchokapitalist“ und so durchaus ein Freund des Freihandels. Allerdings hat er sich in der Vergangenheit negativ über die südamerikanische Freihandelszone Mercosur geäußert und lehnt das mit der Europäischen Union (EU) verhandelte Freihandelsabkommen ab. Jedoch steht genau dieses Abkommen, dessen Abschluss in den vergangenen Monaten immer wieder wegen scheinbar unüberbrückbarer Differenzen verschoben werden musste, kurz vor dem Abschluss und könnte noch vor Mileis Amtsantritt am 10. Dezember ratifiziert werden. Mileis Wahlsieg hat gerade in Brasilien dafür gesorgt, dass das Abkommen wieder ganz oben auf der außenpolitischen Agenda steht. Ein Austritt Argentiniens aus dem Mercosur erscheint aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in Senat und Abgeordnetenhaus in Buenos Aires praktisch unmöglich, da Milei zum Regieren auf die Unterstützung der gemäßigt konservativen Parteien rund um Ex-Präsident Mauricio Macri angewiesen ist.
Zweitens hat Milei immer wieder deutlich gemacht, dass er sich außenpolitisch von China ab- und den USA zuwenden möchte. Das hat durchaus Implikationen für Pekings Rolle in Lateinamerika: Argentinien ist nicht nur Mitglied in der Belt and Road Initiative (BRI), sondern stand nach einer Einladung auch kurz davor, der erweiterten BRICS-Gruppe zu Beginn des kommenden Jahres beizutreten. Die BRICS verstehen sich als Gegengewicht zum “westlichen” Einfluss in internationalen Organisationen und als Vertretung von aufstrebenden Volkswirtschaften, jedoch ist die Gruppe vor allem für die geopolitischen Interessen Pekings und Moskaus relevant und erhält fast ihr Gewicht überwiegend durch die wirtschaftliche Stärke Chinas. Mileis potenzielle Außenministerin, Diana Mondino, äußerte sich bereits dahingehend, dass Argentinien wohl den BRICS nicht beitreten werde. Durch diese Entscheidung, sich von China abzuwenden, könnten weitere Chancen für eine engere Kooperation mit den Staaten der EU, etwa auch im Bereich von Rohstoffexporten und erneuerbaren Energien, entstehen.
Die klare Haltung Javier Mileis zur Unterstützung der Ukraine ist drittens ein Zeichen, dass die neue Regierung in Buenos Aires sich klarer zu ihrer Unterstützung für die regelbasierte internationale Ordnung bekennt, als es andere Länder der Region derzeit tun. Brasilien als wichtigster Staat der Region und als Teil der BRICS versucht dagegen vor allem, eine scheinbare Neutralität in dem Konflikt zu wahren. Die klare Position Mileis wird auch durch die Glückwünsche unterstrichen, die der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bereits am Wahlabend gen Südamerika sendete. Diese Entwicklung bedeutet vermutlich auch ein vorläufiges Ende der durchaus engen Beziehungen zwischen Russland und Argentinien, die vor allem während der Coronapandemie eine wesentliche Rolle für die Lieferung von russischen Impfstoffen gespielt haben.
Die Chancen einer konstruktiven argentinischen Außenpolitik, die sich vor allem den demokratischen Staaten und damit auch der EU zuwenden könnte, sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Javier Milei durch seine regressiven sozial- und umweltpolitischen Positionen und seine im besten Falle irritierenden erratischen Vorschläge zur Wirtschaftspolitik das südamerikanische Land in gehörige Schwierigkeiten bringen kann. Die vergleichsweise klaren Positionen in der Außenpolitik könnten, zumindest aus europäischer Sicht, auch konstruktiv genutzt werden. Wenn auch Milei den Wasserkopf derdie politischen „Kaste“ Argentiniens mit der Kettensäge beseitigen will – eine solche Säge wird er wohl nicht zwangsläufig an die argentinische Außenpolitik ansetzen.
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Bildquelle: unsplash.com
Lars hat Internationale Beziehungen, Romanistik und East Asian Studies in Erfurt und Groningen studiert. Er arbeitet derzeit beim Podcast-Radio detektor.fm in Leipzig und ist im Polis-Programmbereich connectingAsia aktiv.
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