Polisblog
19. Juli 2023

Reagieren oder gestalten? Deutschlands erste China-Strategie

 

von Isabel Billmeier, Lars Feyen, Eva Hager, Etienne Höra & Frederik Schmitz

 

19.07.2023

 

Während die einen betonen, dass es erstmals gelungen ist, eine China-Strategie zu formulieren, geht sie den Kritiker*innen naturgemäß nicht weit genug. Lange mussten wir auf diese Strategie warten, die ursprünglich 2022 hätte kommen sollen. Der Weg dorthin zeigt, dass man sich innerhalb der Ampel-Koalition schwer getan hat, eine einheitliche Linie zu finden. Im Dezember 2022 wurde ein Papier aus dem Wirtschafts- und Klimaschutzministerium veröffentlicht, das ein Herunterfahren der politischen Unterstützung für deutsch-chinesische Wirtschaftsprojekte vorschlug. Auch das Auswärtige Amt erarbeitete eine eigene China-Strategie, um alternative Zukunftsmärkte abseits Chinas stärker zu aktivieren. Auffällig ist, dass beide Ressorts im Zuständigkeitsbereich von Bündnis 90/ Die Grünen liegen und deren Strategien sowohl bei der FDP als auch der SPD wenig Zuspruch fanden. 

In der jüngsten Vergangenheit ist deutlich geworden, dass sich deutsche Chinapolitik strategisch ausrichten muss. Egal, ob es um Lieferengpässe durch die COVID-Pandemie, die verquere Debatte um den angeblichen Verkauf des Hamburger Hafens an China und auch die immer wieder aufflammende Debatte um die Rolle der Konfuzius-Institute ging: Es gab keine gemeinsame Antwort auf die Frage, wie mit einem autoritär regierten System wie China umzugehen ist – während die Volksrepublik ihre Interessen strategisch und unter Einsatz aller Ressourcen des Parteistaates verfolgt. Um nun eine erste Einschätzung der gerade veröffentlichten China-Strategie der Bundesregierung vorzunehmen, haben sich die Autor*innen mit den einzelnen Kapiteln der Strategie auseinandergesetzt. 

 

Die China-Strategie im Rahmen der gemeinsamen EU-Chinapolitik

Die Ausrichtung der deutschen Chinapolitik wurde in Einklang mit den Zielsetzungen der EU entwickelt, um eine einheitliche Strategie der gesamten EU zu ermöglichen. Bilaterale Gespräche zwischen Deutschland und China sollen durch EU-Partner ergänzt und unterstützt werden, um europäische Wirtschaftsinteressen konsequenter zu schützen und durchzusetzen. Deutschlands Solidarität mit Ländern, die durch China in verschiedenen Formen unter Druck gesetzt werden, soll ausgeweitet werden. Sie soll sich nicht nur auf EU-Mitgliedstaaten beschränken, sondern auch für die Länder der Welthandelsorganisation oder der Vereinten Nationen gelten. Was dies im Detail für Deutschlands Maßnahmen bedeutet, wird in der China-Strategie jedoch nicht weiter spezifiziert – dabei könnten konkrete Ankündigungen eine Abschreckungswirkung entfalten und weitere chinesische Zwangsmaßnahmen weniger wahrscheinlich machen. 

Insgesamt soll der Umgang mit China sowie die Zusammenarbeit zwischen der EU und China intensiver koordiniert werden. So soll ein gemeinsames Verständnis der europäischen Interessen, die regelbasierte internationale Ordnung und der Schutz der Menschenrechte sichergestellt werden. Neben der Etablierung eines neuen EU-China-Gipfelformats wird  ein Fokus auf EU-Beitrittskandidaten gelegt, welche ihren Umgang mit China an den europäischen Interessen ausrichten sollen.

Bilaterale Beziehungen zu China

Die bilateralen Beziehungen seien für die deutsche Seite weiterhin bedeutsam,  man sieht hier aber eine stetige Verschlechterung, vor allem durch neue Prioritäten  der chinesischen Seite. An hochrangigen Regierungskonsultationen möchte man auch zukünftig festhalten, um völkerrechtliche Themen  ebenso wie strategisch-politische Fragen zu thematisieren. Die Ziele der feministischen Außenpolitik sollen im Umgang mit China zwar verfolgt werden, finden aber nur an einer Stelle im Dokument eine kurze Erwähnung.

Die Bundesregierung betont zudem die Bedeutung des parlamentarischen und zivilgesellschaftlichen Austausches. Während sie die positiven strukturellen Effekte von Städtepartnerschaften hervorhebt, kritisiert sie die Einreiseverbote, die gegen deutsche Abgeordnete verhängt wurden Auch die Relevanz von wissenschaftlicher Kooperation wird herausgestellt, wobei die zivil-militärische Fusion im chinesischen Bildungswesen kritisch beäugt wird. Besonders problematisch sieht die Bundesregierung die Menschenrechtslage in der Volksrepublik. So befürwortet die deutsche Seite konsequenterweise EU-Sanktionen bei besonders schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen. Dazu gehört Zwangsarbeit, die im Rahmen  bilateraler Wirtschaftsbeziehungen thematisiert wird. Deutschland bedauert, dass die guten Wirtschaftsbeziehungen der letzten Jahrzehnte zunehmend politischen Interessen untergeordnet werden. Deshalb möchte man deutsche Unternehmen zur Seite stehen, um Lieferketten resilienter zu machen und so die Abhängigkeit von China weiter zu reduzieren.

Eine besondere Rolle kommt zudem dem globalen Klimaschutz zu. Hier möchte man mit China weiterhin kooperieren, auch im Rahmen der UN-Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030. Gleichzeitig wird die Volksrepublik aufgefordert, mehr für den Klimaschutz zu tun und die Ziele des Pariser Abkommens konsequenter umzusetzen. Die deutsche Seite bietet hierfür Kooperationsmöglichkeiten an. Auch wenn Möglichkeiten der Kooperation betont werden, sieht Deutschland also eine grundsätzlich negative Tendenz in den unterschiedlichen Bereichen der bilateralen Beziehungen.

Die Stärkung Deutschlands und der EU

Der zunehmende Wettbewerb mit China erfordere neue Anstrengungen in Deutschland und der EU. Es sei Chinas Ziel, wirtschaftliche und technologische Abhängigkeiten zu schaffen, um so seine politischen Ziele durchsetzen zu können. Daher  ist aus Sicht der Bundesregierung nun De-Risking notwendig, um diese Abhängigkeiten der EU von China zu verringern und die eigene Resilienz zu steigern. 

Unter das Konzept des De-Risking fallen mehrere Maßnahmen: die Förderung der Innovations-, Investitions- und Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, die digitale und grüne Transformation der Wirtschaft,  der Ausbau einer europäischen Kreislaufwirtschaft sowie die Diversifizierung von  Lieferketten. Besonders im Technologiesektor sollen Abhängigkeiten in kritischen Bereichen minimiert werden, indem die Forschung, Entwicklung und Innovation europäischer Technologien vorangetrieben werden. Da der chinesische Markt für eine Vielzahl deutscher Unternehmen eine wichtige Rolle spielt, müssen laut der Strategie deren Abhängigkeiten vom chinesischen Markt kritisch berücksichtigt werden. Weiterhin werden Unternehmen dazu aufgerufen, künftig geopolitische Risiken bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Das Wettbewerbsrecht und der Patentschutz in der EU werden als wichtige Werkzeuge zum Schutz europäischer Unternehmen anerkannt. Außerdem sollen chinesische Direktinvestitionen in Deutschland genau geprüft werden, auch um kritische Infrastrukturen besser zu schützen. 

Deutsche Exportkontrollen sollen durch enge Zusammenarbeit mit der EU, den G7 und weiteren Partnern gewährleisten, dass Güter und Technologien aus Deutschland in China nicht Menschenrechtsverletzungen und Repression stärken und ebensowenig der weiteren militärischen Aufrüstung dienen. Dies soll auch für den immateriellen Wissenstransfer gelten. Kritische Infrastrukturen sollen durch eine Minderung von Risiken durch den Hersteller gesichert werden, und die europäische Resilienz gegen Einflussnahme durch China, besonders im digitalen Raum, gestärkt werden.

Internationale Zusammenarbeit

Deutschland möchte die regelbasierte internationale Ordnung verteidigen und gute Beziehungen zu allen Ländern pflegen. In diesem Kontext sei China ein wichtiger Partner und eine Herausforderung zugleich. Deshalb sollen Kooperationen gefördert werden, während der Umgang  mit Menschenrechten oder nachhaltiger Entwicklung hingegen kritisch hinterfragt werden müsse

Deutschland und die EU sollen ihre engen Beziehungen mit den USA und anderen demokratischen Staaten weiter ausbauen, um die Bedeutung der EU auf dem internationalen Parkett zu stärken. Bei Verstößen gegen das Völkerrecht erwartet Deutschland eine klare Positionierung und konstruktive Zusammenarbeit in multilateralen Institutionen. Die Stärkung der Welthandelsorganisation, eine vielfältige Handlungspolitik, die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und Technologiepartnerschaften sind weitere Schwerpunkte. Betont wird außerdem die Bedeutung der Stabilität im Indo-Pazifik und die Unterstützung der entsprechenden EU-Leitlinien. Die Sicherheit in der Straße von Taiwan sieht Deutschland weiterhin als zentrale Bedeutung für Frieden und Sicherheit;eine Änderung des Status quo soll nur im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen. Eine vollständige Souveränität Taiwans lehnt Deutschland mit Verweis auf die Ein-China-Politik der EU ab, dafür unterstützt sie  die sachbezogene Mitarbeit Taiwans in internationalen Organisationen. Deutschland setzt sich ebenso für eine Einbeziehung der taiwanischen Zivilgesellschaft in die Aktivitäten der Vereinten Nationen ein.

Chinapolitische Koordinierung und China-Kompetenz 

Übergreifende Querschnittsthemen der Strategie, die auf nur zwei Seiten abgehandelt werden, sind eine verbesserte chinapolitische Koordinierung über die verschiedenen Verwaltungsebenen hinweg und der Ausbau der Kompetenzen, die für einen konsequenten Umgang mit China notwendig sind. Überzeugend ist der koordinative Ansatz, der dem zentralisierten chinesischen Parteistaat entgegengesetzt wird:  Durch  enge Abstimmung innerhalb der Bundesregierung, zwischen Bund und Ländern sowie Wirtschaft und Wissenschaft sollen Nachteile für Deutschland vermieden werden.  

Die Forderung an Schulen, Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen, auf den Umgang mit China vorzubereiten, ist folgerichtig, ebenso wie der Ansatz, den Austausch zwischen deutschen und chinesischen Jugendlichen und Wissenschaftler*innen (wieder) zu stärken. Ermutigend ist zudem das Bekenntnis zur Stärkung unabhängiger Expertise in Wissenschaft und Think Tanks und zur Zusammenarbeit mit festlandchinesischen und taiwanischen Institutionen, wobei die zukünftigen Parameter der Zusammenarbeit unklar bleiben. Die vorgebrachte Forderung nach mehr Chinakompetenz greift aber zu kurz angesichts des allgemeinen Spardrucks im Bildungswesen, der besonders die Regionalwissenschaften betrifft, und des abnehmenden Interesses junger Menschen am Austausch mit China. China-Kompetenz ist für den Erfolg der Strategie zentral, wird aber nicht durch Forderungen allein entstehen; sie erfordert konkrete und langfristige politische Unterstützung und ein angemessenes Budget. Andernfalls werden sich die angestrebten Ziele zur Erhöhung der China-Kompetenz innerhalb der Bundesregierung nicht erreichen lassen. 

Fazit

Die Strategie folgt dem Motto “China hat sich verändert, also müssen wir unsere Politik ändern”. Hier wird jedoch verpasst, proaktive Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, um die Beziehungen zwischen beiden Ländern wirklich gestalten zu können.

Ein prominentes Beispiel hierfür ist die Belt Road Initiative (BRI), mit der China dem weltweiten Bedarf an infrastrukturellen Projekten nachkommen möchte. Aufgrund mangelnder sozialer und ökologischer Standards erteilt die Bundesregierung einer möglichen Teilnahme eine klare Absage. Unklar bleibt hingegen Deutschlands Position in Hinblick auf die von China initiierte Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) und den hier gelebten sozialen und ökologischen Standards. Mit der Global Gateway Initiative der EU beinhaltet die Strategie zwar eine “nachhaltige und qualitativ hochwertige” Alternative zur BRI. Bei einem Investitionsvolumen von 300 Mrd. Euro (2021-2027) wird diese Initiative alleine aber kaum in der Lage sein, den weltweiten Bedarf an Infrastrukturinvestitionen von jährlich 1,3 Billionen USD auch nur ansatzweise zu bedienen. Zudem stellt sich die Frage, wie zielführend eine Denkweise ist, die sich auf reine Gegenentwürfe zu chinesischen Initiativen beschränkt – viele Staaten im Globalen Süden lehnen dies ab.

Zudem ist nach wie vor nicht klar, wie das Thema kritische Infrastruktur behandelt werden soll, abgesehen von der Ankündigung eines neuen Gesetzesrahmens. Und auch der mantra-artigen Forderung nach mehr China-Kompetenz fehlt eine durchschlagende Strategie, wie angesichts knapper finanzieller Mittel ein Ausbau überhaupt möglich sein soll. Immerhin ist man sich bewusst, dass auch in (höheren) Bundesbehörden mehr Menschen mit regionaler Expertise nötig sind. Wünschenswert wäre zudem ein Ansatz, der innerhalb der eigenen Möglichkeiten der zunehmenden Polarisierung zwischen China und den USA entgegentritt.

Dennoch: In ihrer China-Strategie benennt die Bundesregierung die Konfliktfelder der deutsch-chinesischen Beziehungen deutlich: Menschenrechtsverletzungen, Hongkong und Taiwan, aber auch Spionage und Cybersicherheit in Deutschland. Gleichzeitig bekennt sich Deutschland aber auch zu wirtschaftlicher Kooperation und einer engen Zusammenarbeit bei internationalen Krisen, wie dem fortschreitenden Klimawandel. Es ist erfreulich, dass die Bundesregierung die Bedeutung der europäischen Koordination hervorhebt und fördern möchte. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Ansatz des DeRiskings, der für mehr Resilienz und weniger Abhängigkeit sorgen soll. Dieser Weg scheint vielversprechender zu sein als die Debatte um ein mögliches De-Coupling, mit massiven Folgen für die deutsche Wirtschaft. Grundsätzlich zeigt sich, dass die Ampel-Regierung dem europäischen Dreiklang Kooperation, Wettbewerb und Rivalität treu bleibt. Die China-Strategie bietet Leitplanken, bei der Umsetzung in konkrete politische Handlungen kommt es nun auf die politischen Akteur*innen der verschiedenen Ressorts an. Erst dann wissen wir, wie ernst es die Bundesregierung mit der China-Strategie meint. Die chinesischen Reaktionen auf die Strategie fallen unterschiedlich, aber insgesamt zurückhaltend aus. Während der chinesische Außenamtssprecher Wang Wenbin die Strategie als “kontraproduktiv” bezeichnet, beschwichtigen chinesische Medien, dass “Olaf Scholz einer Entkopplung eine klare Absage erteilt hat”. Es geht also bei der Strategie um die Frage der Glaubwürdigkeit: Wenn es gelingt, klare Erwartungen zu schaffen und diese auch zu erfüllen, ist die neue China-Strategie eine Grundlage für den erfolgreichen Umgang mit der Volksrepublik China. 

Polis Blog ist eine Plattform, die den Mitgliedern von Polis180 & OpenTTN zur Verfügung steht. Die veröffentlichten Beiträge stellen persönliche Stellungnahmen der AutorInnen dar. Sie geben nicht die Meinung der Blogredaktion oder von Polis180 e.V. wieder.

Bildquelle via pixabay.com

Isabel Billmeier studiert Sinologie und Osteuropastudien an der Universität Hamburg. Ihre Interessen liegen hierbei auf dem chinesischen Nationalismus und Militarismus. Sie ist seit Dezember 2022 Mitglied im Polis180-Programm connectingAsia.

 

Lars Feyen hat Internationale Beziehungen, Romanistik und East Asian Studies in Erfurt und Groningen studiert. Er arbeitet derzeit beim Podcast-Radio detektor.fm in Leipzig und leitet den Polis-Programmbereich connectingAsia

Eva Hager studiert International Relations and Management in Regensburg, wo sie bisher einen Schwerpunkt auf sicherheitspolitische Fragestellungen gelegt hat. Ihr verpflichtendes Auslandssemester verbringt sie aktuell in Vietnam. Bei Polis180 ist sie im Programmbereich connectingAsia involviert.

 

Etienne Höra hat Internationale Beziehungen in Freiburg, Aix-en-Provence, Berlin und Genf studiert und forscht zu Geoökonomik, chinesischer Außenpolitik und den Narrativen, die diese stützen, etwa im Bereich der Umweltnormen der Belt and Road Initiative. Seit Juli 2022 ist er Präsident von Polis180.  

 

Frederik Schmitz hat Sinologie in Köln und Tübingen studiert und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS) der Universität Bonn. Sein Forschungsschwerpunkt ist Erinnerungspolitik als politische Legitimationsstrategie in China. Im Polis180-Programm connectingAsia organisiert Frederik außerdem den Buchclub.

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