Polisblog
28. April 2022

Ukraine-Konflikt: Warum eine Flugverbotszone keine (innen)politische Lösung sein sollte

Eine Flugverbotszone wird immer wieder als Möglichkeit für den Westen ins Spiel gebracht, um auf den russischen Krieg in der Ukraine zu reagieren. Sie wird als (innen)politische Lösung benutzt, um auf innerstaatlichen Druck zu reagieren. Doch anders als im Irakkrieg oder in Libyen 2011 wäre eine Flugverbotszone durch Drittstaaten in der Ukraine folgenschwerer.

Ein Beitrag von Sarah Gehle

 

Mehrfach hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in den letzten Wochen bei seinen Reden in verschiedenen Parlamenten des Westens eine Flugverbotszone gefordert, um die Zivilist*innen in der Ukraine vor russischen Luftangriffen zu schützen. Ebenso plädieren US-amerikanische Sicherheitspolitikexpert*innen oder etwa Tom Enders, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), stark dafür. Sie sehen in ihr nicht nur die Möglichkeit der militärischen Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte, sondern argumentieren auch, dass diese aus humanitärer und logistischer Sicht unumgänglich sei.

Im Kontext des aktuellen Konfliktes jedoch halten andere Expert*innen eine Flugverbotszone in einem zwischenstaatlichen Konflikt für nicht nutzbar und unwirksam zum Schutz der Zivilbevölkerung. Historische Beispiele sollen jede Behauptungen belegen. Doch warum wirkt eine Flugverbotszone mehr wie eine (innen)politische Lösung für Drittstaaten als tatsächliche militärische Strategie? 

 

Ineffektiv zum Schutz 

Erfahrungsgemäß bieten sogenannte No-Fly Zones wenig Schutz für Zivilist*innen, obwohl das Errichten einer solchen Zone durch eine dritte Partei theoretisch allen anderen die Nutzung des jeweiligen Luftraumes untersagt. Um das sicher zu stellen, muss der durchsetzende Staat oder die Koalition eine Lufthoheit in dem jeweiligen Raum erlangen. Dies wird durch Kontrollflüge sichergestellt und wenn nötig militärisch durchgesetzt. In der ultima ratio würde es bedeuten, dass andere Flugzeuge abgeschossen werden müssen. 

1992 konnte eine im Süden des Iraks eingerichtete Flugverbotszone die dortige schiitische Bevölkerung nicht vor weiteren Angriffen beschützen. Da die Bodentruppen von Saddam Hussein immer noch fähig waren zu operieren, erfuhr die Zivilbevölkerung erhöhte Gewalt durch Artillerie. Ähnliches passierte Mitte der 1990er in Bosnien. Auch dort konnte die Flugverbotszone nicht verhindern, dass Zivilist*innen angegriffen wurden. Zudem sind viele Menschen in die von der UNO eingerichteten safe areas geströmt, weil die Flugverbotszone ihnen einen Eindruck von Sicherheit vermittelt hatte. Doch in diesen wurden sie zum Ziel der bosnischen Serben, da diese weiterhin auf dem Boden operieren konnten. 

Ein ähnliches Szenario könnte sich bei der Errichtung einer (limitierten) Flugverbotszone über humanitären Korridoren in der Ukraine ereignen. Die ukrainische Bevölkerung wäre nicht effektiv vor Bodenangriffen der russischen Streitkräfte geschützt.

 

Schwer umsetzbar  

Genauso irrsinnig wäre eine Flugverbotszone aus militärisch-technischer Sicht. Um die Zone erfolgreich durchzusetzen, müsste die Koalition nicht nur den Luftraum kontrollieren, sondern gleichermaßen Gefahren für die eigenen Flugzeuge und Pilot*innen, welche etwa von bodengestützten Flugabwehrraketen ausgehen, eliminieren.

Bei der Entstehung der Flugverbotszone am Anfang der 1990er Jahren im Irak war die Überlegenheit der jeweiligen Koalitionen unter der Führung der USA sichergestellt. Die Vereinigten Staaten waren im damaligen unipolaren System den Gegnern weit überlegen und die von ihnen in den Flugverbotszonen im Irak eingesetzten Tarnkappenflugzeuge (F-117) konnten so gut wie gar nicht von irakischen Radaren erfasst werden. Ebenso hatten die jeweiligen Gegner bei der Errichtung einer Flugverbotszone in Bosnien Mitte der 1990er Jahre und in Libyen 2011 quantitativ als auch qualitativ weniger Ressourcen als die Allianzen.

Doch Russland ist nicht mit den historischen Gegnern vergleichbar. Die Russische Föderation verfügt über Flugabwehrsysteme der Typi S-300 und S-400. Diese Systeme haben eine so große Reichweite, dass sie nicht auf ukrainischen Territorium stationiert sein müssen, um Flugobjekte über der Ukraine abzuschießen. Die NATO müsste dementsprechend Ziele auf russischen und belarussischen Territorium präventiv bekämpfen, um eine Lufthoheit zu erreichen und die eigenen Pilot*innen nicht einer dauerhaften Gefahr auszusetzen. Dazu wäre mit aller Wahrscheinlichkeit auch die Entsendung von Bodentruppen zur Sicherung notwendig, was unausweichlich zu einem direkten Konflikt mit Russland führen würde. 

 

Eher eine politische Lösung 

Im Gegensatz zu anderen militärischen Operationen gilt die Flugverbotszone als vergleichsweise günstig: Eigene Verluste seien gering bis gar nicht vorhanden. Im Irak kostete die Flugverbotszone ein bis zwei Milliarden US Dollar pro Jahr und es waren keine Verluste zu beklagen. In Bosnien wurden beispielsweise nur zwei Flugzeuge abgeschossen und zwei gingen bei Unglücken verloren, aber es gab keine menschlichen Verluste. 

Doch mit so geringen Kosten kann in der Ukraine nicht gerechnet werden, da allein die Tatsache, dass Russlands Flugabwehr moderner ist, die Kosten erhöht. Außerdem müssten durch die Größe der Ukraine sehr viele Flugzeuge gleichzeitig in der Luft sein und auch Tankflugzeuge wären nötig. Schon in Syrien hätte eine Errichtung einer Flugverbotszone laut Expert*innen $1 Milliarde pro Monat gekostet.

Zum anderen wird die Flugverbotszone häufig nur als passiv-defensiv wahrgenommen, da die Eskalation beim Gegner liegt. Sie hört sich semantisch besser an als ein direkter Kriegseintritt, ist aber ein stärkerer Eingriff als Sanktionen. Deswegen wird sie meist auch aus der Bevölkerung in Drittstaaten befürwortet. Gustav Meibauer konnte zeigen, dass im Irak, in Bosnien und Libyen die Flugverbotszonen vor allem installiert wurden, um auf den politischen Druck aus der eigenen Gesellschaft zu reagieren. 

Im aktuellen Fall kann die Flugverbotszone damit nicht als eine militärische Strategie gesehen werden, um den Schutz der ukrainischen Zivilbevölkerung zu erhöhen, da sie eben deutlich mehr impliziert als die Sperrung des Luftraums für kommerzielle Flüge. Vielmehr lässt sich argumentieren, dass sie eine (innen)politische Lösung ist, um auf den innerstaatlichen Druck der Bevölkerung und bestimmter Expert*innen zu reagieren.

Jedoch würde eine (limitierte) Flugverbotszone die NATO-Staaten unausweichlich in einen direkten Konflikt mit Russland manövrieren, was militärisch und gesamtgesellschaftlich gesehen unvernünftig wäre, da die Konsequenzen unkalkulierbar sind. Deswegen sollten die Politiker*innen, auch wenn der Druck durch die anhaltenden Kriegsverbrechen der Russen zunehmen sollte, weiter an ihrem Standpunkt festhalten und dafür Waffenlieferungen intensivieren. Durch diese haben Ukrainer*innen eine realistische Möglichkeit gegen die russische Armee.

 

Polis Blog ist eine Plattform, die den Mitgliedern von Polis180 & OpenTTN zur Verfügung steht. Die veröffentlichten Beiträge stellen persönliche Stellungnahmen der AutorInnen dar. Sie geben nicht die Meinung der Blogredaktion oder von Polis180 e.V. wieder.

Bildquelle via unsplash

 

Sarah studiert Geschichtswissenschaften in Bielefeld und befindet sich aktuell für ein Auslandssemester in Bologna. Zu ihren Interessen zählen vor allen Dingen internationale Konflikte und militärische Strategien. Bei Polis180 engagiert sie sich im Programm Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

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