Polisblog
21. Januar 2021

Angenommen Deutschland tritt dem Atomwaffenverbotsvertrag bei, was dann?

Er ist ein Herzensthema der politischen Linken. Doch was ein Beitritt Deutschlands für die internationale Bündnisfähigkeit des Landes bedeuten würde, wird kaum diskutiert. Zeit für mehr Ehrlichkeit.

Ein Kommentar von Alexander Sorg

 

Wir schreiben den 22. Januar 2022. Die Pandemie ist vorbei, und seit genau einem Jahr ist der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) rechtskräftig. In den letzten Monaten bestimmten nicht die Anzahl der Neuinfektionen, sondern die Zahl der Parlamentssitze die öffentliche Berichterstattung. Nach langen und zähen Koalitionsverhandlungen steht fest: Deutschland ist grün. Zumindest grün regiert. Und eine der ersten Amtshandlungen? Die Unterstützung des AVV. Denn “der Beitritt Deutschlands zum VN-Atomwaffenverbotsvertrag” gehört laut Grundsatzprogramm der Grünen zu den erklärten Zielen der Partei. Zugleich soll auch weiterhin auf die NATO als Garant der Sicherheit Europas gesetzt werden. Beides lässt sich aber kaum vereinen.

Folgt man öffentlichen Diskussionen über den AVV, so drehen sich diese zumeist um die möglichen Auswirkungen auf die weltweite atomare Abrüstung. Das ist logisch, schließlich ist das Ziel des Vertrages eine atomwaffenfreie Welt, und daran soll er gemessen werden. So wurde in den vergangenen Jahren viel über das Verhältnis des Atomwaffenverbotsvetrags zum bereits existierenden Atomwaffensperrvertrag – laut dem eine kleine Gruppe von Staaten Atomwaffen besitzen darf, solange sie “in redlicher Absicht” Verhandlungen zur nuklearen Abrüstung führt – geschrieben. Darüber hinaus wurden Zweifel aufgeworfen, ob der Vertrag auch bei autokratischen Regimen Druck erzeugen kann. In der öffentlichen Debatte allerdings sträflich vernachlässigt, ist die Frage, was ein Beitritt konkret bedeutet, gerade für NATO-Mitgliedsstaaten. 

Die möglichen Folgen können sich gut am Beispiel Deutschlands nachvollziehen lassen. Sollte eine deutsche Regierung unter Vorsitz der Grünen sich also entscheiden, im Jahr 2022 dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten, müssten zunächst alle von Nordamerika in Deutschland stationierten Atomwaffen abgezogen werden. Der Vertrag schließt explizit die Lagerung von Nuklearwaffen anderer Staaten auf dem eigenen Territorium in jeglicher Form aus. Schon dieser Schritt hätte weitreichende Folgen: Man stelle sich beispielsweise als Reaktion neue Stationierungen von amerikanischen Atomwaffen in Ländern Osteuropas vor. Zugleich wird der Abzug von Atomwaffen aus Deutschland bei den Verantwortlichen linker Parteien schon lange diskutiert, und teils befürwortet. 2010 drängte sogar die FDP darauf. Auch würde er sich mit den Wünschen der Bevölkerungen decken, wie eine Vielzahl an Meinungsumfragen nahelegen

Ein Beitritt zum AVV könnte aber noch viel weitreichendere Folgen haben – und diese dürften weit weniger politischen und gesellschaftlichen Rückhalt genießen, als der Abzug der Nuklearwaffen aus Büchel. Zwar verbietet der Vertrag nicht die Mitgliedschaft in einem Militärbündnis, allerdings untersagt er es Vertragsparteien, sich im Ernstfall durch Atomwaffen verteidigen zu lassen, oder diese Verteidigung anzudrohen. So wäre es also möglich, dass Deutschland weiterhin Mitglied der NATO bliebe, wenn es zugleich explizit auf das Versprechen der nuklearen Abschreckung verzichten würde. Soweit die rechtliche Auslegung. Konkret hieße dies aber wohl, dass Deutschland sich aus der nuklearen Planungsgruppe der NATO verabschiedet. Damit wäre die Bundesrepublik der erste Mitgliedstaat in der jüngeren Vergangenheit nach Frankreich, der nicht an dieser Gruppe teilnimmt. 

Im Gegensatz zu Deutschland besitzt Frankreich aber selbst über Atomwaffen, die auch von der NATO als Teil des gemeinsamen Verteidigungskonzepts begriffen werden. Darüber hinaus spielt die atomare Verteidigung seit Gründung der NATO eine zentrale Rolle in der gemeinsamen Militärstrategie. Die ersten militärischen Konzepte der Allianz im Kalten Krieg definierten sich fast ausschließlich über den Einsatz von amerikanischen Nuklearwaffen. Seitdem hat sich zum Glück viel verändert. Aber auch die maßgeblichen strategischen Dokumente der NATO aus den Jahren 2010 und 2012 stellen klar, dass die NATO ein nukleares Bündnis bleibt, solange es Atomwaffen gibt, und dass die atomare Abschreckung ein essentieller Teil des Gesamtkonzepts der NATO ist. Ähnlich klingt es im letzten offiziellen Kommuniqué der NATO 2019, welches von den Regierungsoberhäuptern der Mitgliedstaaten verabschiedet wurde. 

Es ist schwer vorstellbar, dass Deutschland ein für die anderen Alliierten glaubwürdiges Mitglied der NATO bleiben könnte, ohne solche grundlegenden Dokumente mitzutragen. Zugleich stellt sich auch die Frage, wie viel Wert eine Sicherheitsgarantie beispielsweise der Vereinigten Staaten hätte, wenn diese nicht ihre militärische Strategie umsetzen könnten. Denn die militärischen Planungen der U.S. Amerikaner schließen auch Atomwaffen mit ein. Demzufolge müsste eine Strategie für Deutschland, und eine für den Rest der Verbündeten in Europa und der Welt entworfen werden. Ein denkbar unrealistisches Szenario.

Ein Austritt Deutschlands aus der NATO hätte selbstverständlich schwerwiegende Folgen: Die Allianz würde das wirtschaftlich stärkste Mitglied nach den Vereinigten Staaten verlieren. Zudem würde von nun an eine gewichtige Stimme in der EU fehlen. Und trotz allem Hohn über die deutsche Bundeswehr, stemmt Deutschland immer noch das drittgrößte Militärbudget der NATO. Es würde wohl zwangsläufig zu substanziellen Verwerfungen der Bundesrepublik mit den Staaten Osteuropas führen, in deren Augen die NATO eine Lebensversicherung darstellt. Zudem bräche Deutschland mit einem identitätsstiftenden Mantra, das seit Ende des Zweiten Weltkrieg besteht: Die transatlantische Partnerschaft. Deutschland würde sich fast automatisch ein Stück vom politischen Westen entfernen. Natürlich gibt es auch andere EU-Staaten, die nicht Teil der Allianz sind. Aber keines dieser Länder spielt in der Politik und dem historischen Selbstverständnis der NATO eine so wichtige Rolle. 

In Anbetracht dieser Folgen überrascht es kaum, dass die Grünen, und auch Sympathisanten des Atomwaffenverbotsvertrags in den Reihen der SPD, weiterhin auf das Bündnis bauen. Wie dies mit dem Beitritt zum AVV in Einklang zu bringen sein soll, bleibt unklar. Konsequenter agiert da schon Die Linke. Die fordert neben dem Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag auch eine Auflösung der NATO. 

 

 

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Bildquelle via Pixabay 

Unknown

Alexander ist Doktorand am Centre for International Security der Hertie School. In seiner Doktorarbeit forscht er zu Themen der Nuklearpolitik, insbesondere zur Stationierung von Nuklearwaffen in Allianzen. Bei Polis180 ist er im Programm Sicherheits und Verteidigungspolitik aktiv.

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