Während sich knapp zwei Wochen nach den Wahlen eine neue Koalition herausgebildet hat, sieht sich die angesichts der niedrigen Wahlbeteiligung fragile Regierung in der Pandemie vor großen Herausforderungen im Bereich der Korruptionsbekämpfung und Modernisierung des Staates.
Ein Beitrag von Richard Kaufmann
Die Parlamentswahlen am 6. Dezember 2020 wurden unweigerlich von der Covid-19-Krise, aber auch von langen aufgeschobenen struktukturellen Problemen beeinflusst. Besonders die geringe Wahlbeteiligung von lediglich 32 Prozent (2016 waren es acht Prozent mehr) verdeutlicht die Skepsis und zum Teil Ablehnung der Wähler*innen gegenüber den regierenden Eliten. Dies liegt zum Teil an der Unsicherheit der letzten Legislaturperiode, in der sich mehrere Regierungen abwechselten und es zu anhaltenden Anti-Korruptionsprotesten kam.
Als Gewinnerin der Wahlen ging anders als erwartet die sozialdemokratische PSD-Partei hervor, mit 30 Prozent der Stimmen für die Mehrheit. Die regierende nationalliberale PNL-Partei von Premierminister Ludovic Orban wurde nur zweite mit 25 Prozent. Drei weitere Parteien zogen ebenfalls ins Parlament ein – die bürgerlich-liberale Partei USR-PLUS, die nationalistische Partei Vereinigung der Rumänen AUR und der Demokratische Verband der Ungarn UDMR. Noch in den Präsidentschafts- und Kommunalwahlen 2019 konnte die PNL große Erfolge erzielen. Sie hatte mit ihren EU-skeptischen Kurs in einer Regierungskoalition während der letzten Legislaturperiode Streitigkeiten mit EU-Institutionen erzeugt. Gründe waren unter anderem die schlecht vorbereitete EU-Ratspräsidentschaft oder die Uneinigkeit bei Themen der Rechtsstaatlichkeit. Doch was hat zu dem negativem Wandel im Wahlverhalten der Rumänen geführt?
Alles nur Corona…
Während der ersten Welle der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 schien die Regierung um Premierminister Ludovic Orban die Epidemie gut einzudämmen. Besonders in Anbetracht des maroden Gesundheitssystems war das eine große Herausforderung. Der Zustand des Gesundheitswesens ist ein Sinnbild für die seit Jahrzehnten anhaltenden Korruptionsprobleme im Land. In der zweiten Covid-19-Welle haben sich mehr Menschen im Land mit dem Virus infiziert als zuvor (im Schnitt 8.000 Neuinfektionen täglich), woraufhin noch strengere Maßnahmen folgten. Die Bevölkerung spaltete sich zunehmend, wobei das eine Lager die ergriffenen Maßnahmen als nicht ausreichend empfand und die anderen die Existenz des Virus’ anzweifelt oder diesen als weniger ernst empfindet. Daher war die Situation während des Wahlkampfes und unmittelbar vor den Wahlen stark angespannt.
Die Regierung rief zudem im Vorfeld der Wahl dazu auf, möglichst keine Ansammlungen vor den Wahllokalen zu bilden. Ein Teil der Wählergruppe der Regierungspartei folgte dieser Empfehlung und blieb den Wahlurnen gleich ganz fern, während Kritiker*innen der Maßnahmen verstärkt wählen gingen. Das Missverhältnis erklärt jedoch nur zum Teil die geringe Wahlbeteiligung.
Bereits in anderen Wahlen des vergangenen Jahres hatte sich die Covid-19–Pandemie auf die Ergebnisse ausgewirkt. Bezeichnend dafür waren beispielsweise die Präsidentschaftswahlen in Polen. Noch wenige Monate zuvor (vor der ersten Welle) und zu Beginn des Wahlkampfes sah es nach einem deutlichen Sieg für die PiS-Partei aus. Durch die während Corona ergriffenen Maßnahmen und die darauffolgende Politisierung gab es am Ende ein Patt mit Rafał Trzaskowskiund erst nach der Stichwahl konnte Andrzej Duda als Sieger hervorgehen. Ein anderer Fall für die Auswirkungen von Corona waren die Parlamentswahlen in Serbien, bei denen eine Lockerung der Maßnahmen durch die Regierung kurz vor der Wahl zu einem Zuspruch für die Regierungspartei führte.
…oder strukturelle Probleme?
Ein weiterer Faktor, der sich stark auf die Wahl ausgewirkt hat und der auch ohne die Pandemie abzusehen war, ist die politische Agenda der letzten Koalition, einen „Anti-PSD Kurs“ zu propagieren und somit alles zu negieren, wofür Sozialdemokraten einstehen. Dies schloss eine Anti-Korruptions- und eine pro-europäische Politik mit ein. Doch die Regierung sowie Präsident Iohannis konnten ihre konsequenten Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption und der Reform des Justizsystems nicht erfüllen. Enttäuschten Erwartungen trugen daher ebenfalls mit zu dem Wahlverlust bei.
Der Umfang der Korruption kann am ehesten durch die Betrachtung des letzten Transparency International-Berichts nachvollzogen werden. Rumänien liegt bei diesem auf Platz 70 von 180 im internationalen Vergleich, an vorletzter Stelle in der EU. Betrachtet man die Daten des Eurobarometers, fällt zudem auf, dass die rumänischen Bürger zu 83 Prozent der Aussage zustimmen, dass Korruption ein verbreitetes Problem in ihrem Land sei und sich dieses verschlechtere (deutlich über dem EU-Durchschnitt).
Zudem sehen sich 64 Prozent der Bürger von Korruption direkt betroffen. Besonders das Gesundheitssystem, die politischen Parteien sowie die Polizei werden dabei kritisch gesehen. Auch die grassierende Korruption im Gesundheitssystem wirkte sich während der letzten Monate durch die Covid-19-Pandemie verstärkt auf die Allgemeinheit aus.
Und was jetzt?
Doch wie hoch sind die Chancen, dass das neue Parlament auf strukturelle Probleme wie Korruption sowie das schwache Justizsystem passende Lösungen finden kann? Obwohl die PSD die Mehrzahl der Stimmen erlangte, konnten sich ein Bündnis aus der liberalen PNL, der USR-PLUS und die Partei der ethnischen Ungarn in Rumänien UDMR auf eine gemeinsame Koalition einigen. Diese Parteien vertreten einen pro-europäischen Kurs und verfolgen das Ziel, umfangreiche Reformen einzuführen. Die bisherige Regierung PNL und USR-PLUS hielt besonders der Wille, vorgezogene Parlamentswahlen zu vermeiden, zusammen. Seitens der neuen Regierung wurde in einer ersten Erklärung umfangreiche Modernisierungen und Reformen angekündigt. Die neue Koalition bedeutet besonders für die PSD ein Einflussverlust im rumänischen Staat.
Präsident Klaus Iohannis (nominiert eine Partei zur Regierungsbildung) übertrug der PNL die Koalitionsbildung– trotz des Rücktrittes des bisherigen Premierministers und Parteichefs Orban. Mit der kommissarischen Regierungsführung wurde indes der ehemalige Verteidigungsminister Nicolae Ciucă beauftragt. Die Koalition einigte sich jedoch bereits im Dezember, dass der bisherigen Finanzminister Florin Citudas Amt des Premierministers übernehmen solle.
Rumänien und die EU
Während der EU-Ratspräsidentschaft 2019 kamen einige Konflikte zwischen der PSD geführten Regierung und Brüssel ans Licht, die das Verhältnis zwischen EU und Nationalstaat beschädigten. Das 2018 von der regierenden PSD eingebrachte Gesetz, mit dem durch Korruption angeklagte oder verurteilte Politiker*innen wieder in Staatsämter gelangen sollten, wurde stark von der EU-Kommission kritisiert. Damals entzündete sich eine Debatte darüber, wie viel Einfluss die EU in dem jeweiligen Mitgliedsland haben sollte. In der Ratspräsidentschaft verschärfte sich der Streit so weit, dass ein Artikel 7-Verfahren vom Vize EU-Kommissionschef Frans Timmermans angedroht wurde.
Mit der Koalition unter der Leitung der PNL ist nun ein EU-freundlicher Kurs zu erwarten. Entscheidend wird jedoch sein, ob sich die PNL auf einen eindeutigen Reformkurs in Sachen Korruptionsbekämpfung einlässt, der von der USR-PLUS gefordert wird. Ob dieser dann auch umgesetzt wird, bleibt strittig. Mögliche Schritte sollten die Nachhaltigkeit und Effizienz der bereits ergriffenen Antikorruptionsmaßnahmen sein. Demnach müssten vor allem Änderungen im Strafgesetzbuch und der Strafgesetzordnung durchgeführt werden, um nachhaltige Reformen zu gewährleisten.
Hinzu kommt noch, dass die Leiterin der EU-Generalstaatsanwaltschaft, Laura Kövesi, rumänische Staatsbürgerin und ehemalige rumänische Staatsanwältin ist. In dieser Position hatte sie mehrere Korruptionsfälle aufgedeckt, was sie in Rumänien in Verruf brachte (“Verräterin”). Die PSD-Regierung hatte Kövesi 2018 dem Amt enthoben mit der Begründung, dass sie ihre Autorität überschritten habe und Rumänien international in den Schmutz gezogen wurde. Ihre Entlassung brachte eine Reihe neuer Proteste mit sich. Inwieweit sich ihre Kenntnis über die nationalen Korruptionsstrukturen auf ihre Arbeit als europäische Staatsanwältin auswirken wird, bleibt abzuwarten.
Der Weg nach vorne
Unabhängig von der gebildeten Koalition sollte das oberste Ziel der rumänischen Regierung lauten: Versäumte Reformen nachholen, stärker gegen Korruption vorgehen und verloren gegangenes Vertrauen der Bevölkerung wieder herstellen. Die Wahlen haben wieder einmal gezeigt, dass das Vertrauen von Wähler*innen davon abhängt, ob strukturelle Probleme angegangen werden.
Der Wiederaufbau der gebeutelten Wirtschaft wird für die kommende Regierung sicher von größter Priorität sein. Der EU Aufbauplan kann dabei helfen, ist jedoch keine langfristige, für die strukturellen Probleme notwendige Lösung. In beiden Fällen kann die EU als unterstützende Kraft und Kooperationspartnerin wirken. Angesichts der niedrigen Wahlbeteiligung und geringen Mehrheit im Parlament wird das Dreiparteien-Konsortium jedoch zunächst beweisen müssen, dass sie dieser Verantwortung gerecht wird.
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Richard studiert Internationale Beziehungen und European Integration in East Central Europe in Budapest und Leipzig. Er beschäftigt sich mit dem Einfluss von externen Akteuren und demokratischen Entwicklungen in ehemals kommunistischen Ländern Osteuropas. Seit April 2020 ist er im Programm Perspektive Ost aktiv.