Alle vier Jahre blickt die Welt gespannt auf die Wahlen eines Landes. So auch dieses Jahr, wenn in den USA wieder knapp 240 Millionen Wahlberechtigte zur Wahl des nächsten Präsidenten, des Repräsentantenhauses sowie 1/3 aller SenatorInnen aufgerufen sind. Ein Rückblick auf die US-Wahlnacht 2020 und ihre Bedeutung für die deutsche Außenpolitik.
Ein Beitrag von Esther Kern und Julius Kerkhoff
Die USA stehen noch mehr als vor vier Jahren an einem Scheideweg. Eine zutiefst gespaltene Gesellschaft, ein stark polarisierendes Parteiensystem sowie wegweisende Entscheidungen zum Umgang mit der aktuellen Pandemie, den wirtschaftlichen Folgen aber auch Klimafragen prägen die Wahlen dieses Jahr. Diese wird von vielen AnalystInnen als “Schicksalwahl für das demokratische System der USA bezeichnet.”
Die Ausgangslage
Vor der Wahlnacht war der Ausgang der Wahl so ungewiss wie schon lange nicht mehr. Zwar führte in nationalen Umfragen Herausforderer Joe Biden durchschnittlich mit etwa sieben Prozentpunkten vor dem aktuellen Amtsinhaber. Doch die ErstellerInnen von Umfragen kämpften auch in diesem Jahr damit, den Anteil von Donald Trump WählerInnen richtig einzuschätzen.
Darüber hinaus kommt es aufgrund des besonderen Wahlsystem der USA auf die Werte in den einzelnen Bundesstaaten an wie u.a. Florida (vor der Wahlnacht durchschnittlich 1 Prozent Vorsprung für Biden), Pennsylvania (auch etwa durchschnittlich ein 1 Prozent Vorsprung für den Demokraten) oder auch Wisconsin (durchschnittlich etwa 7 Prozent Vorsprung für Biden). Doch viele der Umfragen waren erneut im Bereich statistischer Fehlerwerte und einige entscheidende Gewinne, insbesondere in einem Staat wie Florida mit 29 Stimmen, können den ganzen Wahlausgang verändern, wie bereits 2016 geschehen.
Schon vor dem tatsächlichen Wahltag am 3. November nahmen über 100 Millionen Wahlberechtigte die Möglichkeit wahr, per Early Voting (also der frühzeitigen Abgabe der Stimme) bzw. per Briefwahl ihre Stimme abzugeben, auch aufgrund der Pandemielage.
Die Wahlnacht
Die Nacht begann zäh. Erste sichere Ergebnisse kamen später als in früheren Wahlen, aufgrund der sehr unterschiedlichen Bestimmungen zum erlaubten Beginn der Stimmenauszählung in einzelnen Bundesstaaten, aber auch Wahlkreisen, speziell bezüglich der bereits vor dem 3. November abgegebenen Stimmen. Gegen 8:00 Uhr deutscher Zeit erklärt sich der aktuelle Amtsinhaber Donald Trump frühzeitig zum Gewinner. US-Medien reagieren entsetzt, denn zu diesem Zeitpunkt ist nicht klar, wer gewinnen wird.
Sein Auftritt ist deshalb definitiv als Angriff auf die Integrität der US-Demokratie zu werten. Insbesondere da Trump ankündigte, die Auszählung der restlichen Stimmen mit Hilfe des Supreme Court zu stoppen. Gegen Mittag des 4. November bleibt weiterhin unklar, wer die zum Sieg benötigten 270 Wahlpersonen des Electoral College gewinnen kann. In entscheidenden Staaten wie Pennsylvania, Wisconsin und Georgia werden wohl noch einige Stunden und Tage Stimmen aus- und nachgezählt, bis ein eindeutiges Ergebnis feststeht.
Die Ereignisse der Nacht und der Tage zuvor legen außerdem die Vermutung nahe, dass einige Wahlergebnisse noch von Gerichten geprüft werden. Insgesamt nahmen mindestens 150 Millionen WählerInnen an den US-Wahlen 2020 teil (ca. 65 Prozent der Wählerschaft). Das ist die höchste Wahlbeteiligung seit über 100 Jahren. Die Hoffnung für das demokratische System der USA bleibt, dass alle Stimmen ausgezählt werden können und dass das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen nicht von Gerichten entschieden wird, sondern von der Wählerschaft.
Nicht nur die Präsidentschaftswahlen werden kritisch beobachtet, sondern auch die Kongresswahlen. Hier gibt es in den Mittagsstunden noch keine klaren Ergebnisse. Aktuell sieht es so aus, dass die demokratische Partei das Repräsentantenhaus wieder für sich gewinnen können. Einige Sitze haben sie aber vermutlich, im Vergleich zu den Kongresswahlen 2018, an RepublikanerInnen verloren.
Außerdem wurde mit Majorie Taylor Greene zum ersten Mal eine offene Unterstützerin der QAnon-Bewegung in den Kongress gewählt. Doch viel entscheidender ist die Verteilung im Senat. Hier haben gerade DemokratInnen wie RepublikanerInnen 47 sichere Sitze. Die restlichen sechs Sitze sind noch offen und es kann wie in vorherigen Wahlen Tage wenn nicht Wochen dauern, bis die Ergebnisse für die SenatskandidatInnen offiziell feststehen. Interessanterweise wurde mit der Demokratin Sarah McBride die erste Transgender-Sentaorin für Delaware in den Senat gewählt.
Was auch nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse bleibt, ist ein zutiefst gespaltenes Land und eine Wahl, die unabhängig vom Wahlausgang dem Vorwurf ausgesetzt ist, nicht legitim zu sein.
Bedeutung für die transatlantischen Beziehungen
Klar ist, die transatlantischen Beziehungen werden nicht zur Situation vor 2016 zurückkehren, daran würde auch ein (potentieller) Sieg von Biden nichts ändern. Deutschland und die USA müssen sich wieder annähern und die transatlantischen Beziehungen neu bewerten: Was bedeuten die transatlantischen Beziehungen für die EU und die USA, welche Forderungen stellen die Akteure aneinander und wollen sie eine gemeinsame Strategie in Bezug auf internationale Konflikte verfolgen?
Am Ende muss außerdem wieder für die Partner der USA klar sein, dass der US-Präsident sein Wort in der Außenpolitik hält. Das wird jedoch schwierig, sollte Trump die Präsidentschaft erneut gewinnen. Es wird dauern, das Vertrauen in die transatlantischen Beziehungen, insbesondere auf der administrativen Ebene, wieder neu herzustellen. Aber es ist notwendig, damit gerade auch in wichtigen Fragen, wie der Sicherheitspolitik oder im Klimaschutz, ein gemeinsamer kohärenter Weg gegangen werden kann.
Trotzdem würde auch die Wahl von Biden als 46. US Präsident bedeuten, dass Deutschland verstärkt in seine außenpolitischen Kapazitäten investieren muss. Das bezieht sich einerseits auf militärische Kapazitäten und das Engagement in der NATO, aber auch auf die Ressourcen sowie auf die strategische Ausrichtung des Auswärtigen Amtes. Nur ein Hoffen auf einen Politikwechsel in den USA und bis dahin banges Warten und nur zögerliche Kritik am US-Verhalten in globalen Fragen, können nicht das Selbstverständnis der deutschen Außenpolitik sein.
Dass die Reaktion deutscher PolitikerInnen auf den Wahlausgang erneut ist, “Wir waren nicht vorbereitet”, ist nicht hinzunehmen. Genauso wenig, dass Slowenien als erster europäischer Staat Donald Trump zum Wahlgewinn gratuliert, während die Auszählung noch im vollen Gange ist. Die deutsche Außenpolitik muss ein starkes Signal für eine gemeinsame Position der EU gegenüber den USA setzen. Nur so können die EU-Mitgliedstaaten einen starken Gegenpol zu US-Positionen bilden und die außenpolitischen Ziele der EU, wie Multilateralismus und eine regelbasierte Weltordnung, in der internationalen Arena voranbringen.
Die Forderungen nach einem stärkeren Engagement Deutschlands und einer ausgeglichenen Handelsbilanz mit der EU stellte außerdem bereits Präsident Barack Obama, auch wenn er sie leiser und diplomatischer formulierte als Donald Trump. Diese Forderungen werden bleiben, unabhängig vom bevorstehenden Ergebnis. Der einzige Unterschied könnten die Maßnahmen und der Ton sein, den die USA ergreifen, um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen.
Der Programmbereich The America(n)s wird zu diesem Thema im November ein PolisPaper veröffentlichen, das den Einfluss Joe Bidens auf die Außenpolitik der Demokratischen Partei genauer analysiert und Handlungsempfehlungen für deutsche und EU-Außenpolitik formuliert.
Der Polis Blog ist eine Plattform, die den Mitgliedern von Polis180 & OpenTTN zur Verfügung steht. Die veröffentlichten Beiträge stellen persönliche Stellungnahmen der AutorInnen dar. Sie geben nicht die Meinung der Blogredaktion oder von Polis180 e.V. wieder.
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Esther ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Brandenburgischen Institut für Gesellschaft und Sicherheit. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit sicherheitspolitischen Fragestellungen, vor allem im Bereich Cybersicherheit. Esther hat einen Master in Nordamerikastudien vom John-F.-Kennedy Institut der Freien Universität Berlin. Sie war bis Juni 2020 Leiterin des Programmbereiches The America(n)s bei Polis180.
Julius studiert Internationale Beziehungen an der Hertie School of Governance in Berlin. Sein Fokus liegt dabei auf die transatlantischen Beziehungen, den Einfluss religiöser Gruppen, auf US-Politik sowie EU-Krisenmanagement. Neben seinem Studium ist er Leiter des Polis180-Programms “The America(n)s” und leitet das Projekt #RoutetoUS2020.