Spätestens seit dem Scheitern der mangelhaften Abkommen TTIP und CETA wird Freihandel im linken Lager oftmals mit Deregulierung und Hinterzimmerdeals verbunden. Das kann sich ändern: Freihandelsabkommen können dem Gemeinwohl zugutekommen.
Ein Beitrag von Robert Fisher
Seit die Trump-Bewegung in der Republikanischen Partei endgültig die Oberhand gewonnen hat, befindet sich das US-amerikanische Parteiensystem in einer Phase der rasanten Transformation. Die Verschiebung von Konfliktlinien macht selbst vor vermeintlichen Kernthemen der Konservativen nicht halt: Eine im Juli durchgeführte Umfrage des Pew Research Center ergab, dass 77 Prozent der den Demokraten zugeneigten WählerInnen eine Erhöhung von Einfuhrzöllen gegenüber internationalen Handelspartner ablehnen, während 73 Prozent der republikanischen WählerInnen diese unterstützen. Jene Entwicklung scheint das Ergebnis einer Zuspitzung zwischen weltoffenen Idealen und wachsendem Nationalismus zu sein. Sie zeigt vor allem, dass Bewegungen links der Mitte das Thema Freihandel für sich besetzen können.
Freihandel aus dem Hinterzimmer befreien
In Deutschland ist der Begriff Freihandel derzeit von der Debatte um das letztlich gescheiterte TTIP-Abkommen geprägt, welches sowohl inhaltlich als auch in seinem Erarbeitungsprozess erhebliche Schwächen aufweist. Der Versuch der Verankerung privater zwischenstaatlicher Schiedsgerichte in Kombination mit einem – selbst für Parlamentarier der EU-Mitgliedsstaaten – hoffnungslos intransparenten Prozess, erweckte den Eindruck einer undemokratischen Klüngelei. Überwiegendes Ziel der Kritik war allerdings nicht die grundsätzliche Idee des transatlantischen Freihandelsabkommen, sondern seine Ausgestaltung und Kommunikation.
Reduziert man das Bekenntnis zum Freihandel auf seinen ureigenes Ziel (die wechselseitige Schaffung von Marktzugang unter klar vereinbarten Bedingungen), dann bleibt kaum Raum für nur eine klare Bindung an ein politisches Lager. Freihandelsabkommen können vergleichsweise völlig unterschiedlich ausgestaltet werden. Wer sie als Regulierungsinstrument für wirtschaftliche Integration versteht, kann Arbeitsrechts- und Umweltstandards verankern. Zusätzlich ausgeschöpfte ökonomische Potenziale, etwa durch die Angleichung von Industrienormen oder die Vergrößerung des Handelsvolumens, kommen durch faire Steuersystemen der Allgemeinheit zugute.
Offene Märkte heisst nicht gleich entfesselte Märkte
Ein eigenständiges linkes Verständnis von Freihandel ist nur dann vermittelbar, wenn es sich klar von seinem neoliberalen Pendant abgrenzt, das lediglich den Abbau von Handelsbarrieren zum Selbstzweck im Sinn hat. Ziel progressiver Handelspolitik muss anstatt der Schaffung von Infrastruktur zur Profitmaximierung multinationaler Unternehmen die Entstehung eines Mehrwerts für die gesamte Gesellschaft unter sozial verträglichen Bedingungen sein. Denn Handelsabkommen als Instrument grundsätzlich abzulehnen, kostet uns die Chance, sie gemeinwohlorientiert mitzugestalten.
Dies gilt natürlich auch für das TTIP-Abkommen. Die europaweite Initiative “Stop TTIP” besteht aus über 500 Organisationen die “sich zusammengefunden haben, um die Handels- und Investitionsabkommen TTIP und CETA zu stoppen.” Ihre Fundamentalopposition gegenüber dem Abkommen zielt einzig auf eine Zuspitzung zwischen Gegner und Befürwortern ab und lässt keinen Raum für einen progressiven Gegenentwurf. Ein besseres, wertebasierteres Abkommen wäre jedoch im aktuellen transatlantischen Handelsstreit von unschätzbarem Wert. Auch wenn der Weg dorthin sehr weit gewesen wäre, der oftmals unkonstruktive Umgang mit TTIP ist schlussendlich eine vertane Chance.
Deshalb sollte das linke Lager das Potenzial von Freihandel erkennen, sich seine Möglichkeiten zu eigen machen und Bestandteile von Abkommen kritisieren, anstatt sie insgesamt zu torperdieren. Wer weiterhin unsicher ist, ob das Streben nach Freihandel Platz in der linken Gedankenwelt hat, sollte die Gegenprobe machen: Die Abschottung nationaler Märkte gegenüber internationaler Konkurrenz und Kooperation ist ganz sicher nicht links.
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