06.12.2023
von Eva Hager und Etienne Höra
Das südchinesische Meer wird derzeit meist durch eine sicherheitspolitische Linse betrachtet. Zu den großen, oft vernachlässigten Opfern der geopolitischen Spannungen gehören die artenreichen, aber auch extrem fragilen Ökosysteme der Region. Diese werden von den konkurrierenden Anrainerstaaten nicht nur unzureichend geschützt, sondern auf der Suche nach strategischen Vorteilen auch aktiv zerstört.
In den heißen Debatten und Streitigkeiten rund um das Südchinesische Meer, auf welches sowohl China, Vietnam, Malaysia, Brunei, die Philippinen als auch Taiwan in Teilen Territorialansprüche erheben, fällt ein wichtiges Thema oft dem politischen Kreuzfeuer zum Opfer: das Meer selbst. Die Ökoregion des Südchinesischen Meers besteht aus mehreren hundert Inseln, Atollen, Archipelen, Sandbänken und Korallenriffen. Mit seinem tropischen bis subtropischen Klima und Landmassen, die oft wenig bis keine Vegetation aufzeigen, ist das Südchinesische Meer für Lebensformen unter dem Wasser, nämlich rund 600 Korallen-, 300 Fisch- und 1500 Schwammarten, eine Heimat. Auch für größere Spezies, wie die Karett- und Grüne Meeresschildkröte, sowie viele Meeresvögel, ist die Region unverzichtbar. Diese beachtliche Vielfalt der Biodiversität ist jedoch in großer Gefahr: sowohl der Klimawandel als auch menschliche Aktivitäten im Südchinesischen Meer bedrohen das einzigartige Ökosystem.
Das Südchinesische Meer ist hierbei ein sogenanntes „Epizentrum“: In diesem Kontext bezeichnet der Begriff Regionen, in welchen der Klimawandel die regionale Sicherheit stark beeinflusst. Die steigende Wassertemperatur zwingt Fischbestände, weiter in den Norden zu migrieren – was wiederum die Fischerei in südlich gelegenen Anrainerstaaten erschwert.
Seit den 1950er Jahren wurden rund 70-95% der Fischbestände in der Region ausgebeutet, welche auch weiterhin durch stark schädliche Praktiken, wie beispielsweise Dynamitfischen, kontinuierlich dezimiert werden. Illegale, unkontrollierte Entnahme von Korallen, Meeresschildkröten, Muscheln, Raubfischen und Meeressäugern verstärken auch die Bedrohungslage für größere Lebewesen, welche bereits massiv unter der Aufschüttung von künstlichen Inseln und dem damit einhergehenden Verlust ihres Lebensraums leiden.
27% der Riffe, sowie große Teile von Fischpopulationen im Südchinesischen Meer sind bereits dauerhaft verloren – das dortige Ökosystem steht vor einem Kollaps, und somit auch die Lebensgrundlage vieler Menschen in den umliegenden Nationen.
Im Rahmen der UN-Ozeankonferenz 2022 in Lissabon, welche sich mit Themen wie Tiefseebergbau, Plastikverschmutzung, Überfischung, sowie deren Implikationen beschäftigte, wurden rund 700 Zusicherungen von 100 der 120 teilnehmenden Länder gemacht. Diese wurden allerdings nicht bindend festgelegt – ein großer Kritikpunkt an den Ergebnissen der Konferenz. Noch im selben Jahr wurde im Rahmen der 164 Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation eine Vereinbarung unterzeichnet, welche Subventionen für Schiffsbetreiber unterbindet, die sich an illegaler Fischerei und Überfischung beteiligen. Auch das 2023 verabschiedete Hochseeabkommen der Vereinten Nationen – welches für die unterzeichnenden Nationen rechtlich bindend ist – zielt darauf ab, die Meeresgebiete außerhalb der nationalen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) vor zerstörerischen Aktivitäten zu schützen. Unterschrieben wurde dieses Abkommen auch von China, welches weiterhin plant, bis 2025 erste Schritte zum Küsten- und Meeresschutz zu unternehmen. Dies ist Teil des Vorhabens “Beautiful China”, das bis 2035 die Schönheit der Natur des Landes schützen soll. Doch sieht die Realität in der Region oft anders aus – und das hat viel mit Geopolitik zu tun.
Kontrollverlust und künstliche Inseln
Die geopolitischen Spannungen im Südchinesischen Meer verschärfen die Bedrohungen der marinen Ökosysteme doppelt: sie schaffen einen quasi rechtsfreien Raum, der Umweltzerstörung begünstigt, und gleichzeitig sind militärische und paramilitärische Aktivitäten massive Treiber dieser Zerstörung.
Kooperation zum Schutz des Meeres scheint kaum denkbar, solange es zwischen den Anrainerstaaten keine Einigung über den territorialen Status gibt. Diese Grauzone erinnert an die imperialen “frontiers” des 19. Jahrhunderts, Grenzregionen mit geringer staatlicher Kontrolle, die einer Reihe illegaler und semi-legaler Aktivitäten Raum bieten. So stellt die Asia Maritime Transparency Initiative fest, dass kriminelle Aktivitäten rund um die Fischerei im Südchinesischen Meer seit Jahren auf dem Vormarsch sind. Diese reichen bis hin zum Drogen- und Menschenhandel, beinhalten aber auch Umweltverbrechen mit massiven Auswirkungen auf die marinen Ökosysteme. Schiffe sind im Allgemeinen dazu verpflichtet, ein sog. Automatic Identification System zu verwenden. Dieses dokumentiert Name, Nationalität, Größe und Position des Gefährts – und wird bei illegalen Aktivitäten innerhalb oder außerhalb der eigenen AWZ oft einfach deaktiviert. Hiermit verwischen verantwortliche Nationen ihre Spuren und machen es unmöglich, für ihre Aktivitäten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Diese Praktiken schaden nicht nur den Ökosystemen, sondern auch den Beteiligten; sie sind eng mit Zwangsarbeit und anderen Formen der modernen Sklaverei verbunden, die die Anrainerstaaten auf hoher See kaum bekämpfen, ja teilweise dulden.
Gleichzeitig leiden die Ökosysteme der Region auch direkt unter der zunehmenden Militarisierung der Region. Dass Krieg die menschliche Aktivität mit dem größten Zerstörungspotential ist, ist eine Binse, doch auch unter der Schwelle eines massiven Einsatzes von Waffengewalt sind die Umweltfolgen fatal. Seit Jahren baut die Volksrepublik China Felsen und Riffe im Südchinesischen Meer zu künstlichen Inseln aus. Dies geschieht teils, um Gebietsansprüche zu unterstreichen – im internationalen Seerecht spielt die Unterscheidung zwischen Felsen, Riffen und Inseln eine entscheidende Rolle, da Inseln Ansprüche auf weiter reichende Hoheitsgewässer schaffen als bloße Felsen, die bei Flut teilweise überspült werden. Auf vielen dieser Inseln sind aber auch militärisch nutzbare und genutzte Einrichtungen entstanden, wie etwa Häfen, Flughäfen und Raketenbasen. Die anderen Anrainerstaaten wie Vietnam, Malaysia und die Philippinen ziehen teilweise in kleinerem Umfang nach. Von den ursprünglichen Riffen, etwa der Spratly-Gruppe, bleibt dabei unter Bergen von aufgeschüttetem Sand und Geröll nichts übrig. Aber auch dieser Schutt kommt nicht aus dem Nirgendwo: Riesige Baggerschiffe – Chinas aktuell größtes, die Tian Kun Hao, ist 104 Meter lang und hat eine Nutzleistung von 6600 Kilowatt – graben den Meeresboden in der Region ab und zerstören dessen Ökosysteme unwiederbringlich. Gleichzeitig führt der Einsatz dieser Schiffe zum Abbau von Sand als Baugrundstoff regelmäßig zu Zusammenstößen in der Taiwan-Straße.
China hat mit seinen Aktivitäten im Südchinesischen Meer bereits in der Vergangenheit internationale Verträge verletzt, wie beispielsweise die Convention on Biological Diversity, welche bereits vor 30 Jahren vergleichbare Ziele zu heutigen Abkommen hatte. Angesichts dieser ernüchternden Bilanz stellen sich einige offene Fragen, die nicht unbedingt spezifisch für das Südchinesische Meer sind: Wer zieht Länder, wie beispielsweise China, zur Rechenschaft, wenn Übereinkommen nicht eingehalten werden? Wird sich die Lage mit aktuellen und zukünftigen Deals ändern? Sicher ist, dass sich der Zustand der Umwelt im Südchinesischen Meer durch die Folgen des Klimawandels in den nächsten Jahren drastisch verschärfen wird – auch durch schädliche menschliche Aktivitäten in dieser schützenswerten Region der Biodiversität.
Fast zynisch wirkt es, wenn der Anspruch der Volksrepublik auf eine “ökologische Zivilisation” (shengtai wenming) ins Spiel kommt. Auch in Reaktion auf Kritik an der Umweltzerstörung wurden manche dieser neu gewonnenen oder erweiterten Inseln auf staatliche Initiative aufwändig begrünt und “renaturiert”. Einige, wie etwa die Paracel-Inseln, die eigentlich kaum dauerhaft bewohnbar sind, wurden mittlerweile beliebte Ziele für Kreuzfahrten und Tourismus-Flüge, die auf zivilem Wege territoriale Ansprüche untermauern sollen. Auch die Philippinen und Vietnam nutzen Tourismus zu den Spratly-Inseln, um ihre eigenen Ansprüche zu bekräftigen. Unter anderen Vorzeichen und in engem Rahmen könnten diese Reisen vielleicht dazu beitragen, Bewusstsein für die fragile und schützenswerte Natur in der Region zu schaffen; im aktuellen Kontext können Ausflüge in diese künstlichen Paradiese jedoch kaum über die ökologischen Verluste hinwegtäuschen oder die zerstörerischen Realitäten der Geopolitik grün waschen.
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Bildquelle: Frederik Schmitz
Dieser Blogbeitrag gehört der Reihe „Ocean Talks“ an, mit der der Programmbereich connectingAsia die Region rund um das Südchinesische Meer aus vielfältigen Perspektiven genauer unter die Lupe nimmt. Die Region ist nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Spannungen zwischen China, Taiwan, den Philippinen und anderen Ländern immer wieder in den Schlagzeilen präsent. Durch verschiedene Formate, wie Events, Podcasts und Blogposts möchten wir die Positionen der Anrainerstaaten sowie globale Perspektiven auf die Region beleuchten.
Etienne Höra hat Internationale Beziehungen in Freiburg, Aix-en-Provence, Berlin und Genf studiert und forscht zu Geoökonomik, chinesischer Außenpolitik und den Narrativen, die diese stützen, etwa im Bereich der Umweltnormen der Belt and Road Initiative. Seit Juli 2022 ist er Präsident von Polis180.
Eva Hager studiert International Relations and Management in Regensburg, wo sie bisher einen Schwerpunkt auf sicherheitspolitische Fragestellungen gelegt hat. Ihr verpflichtendes Auslandssemester verbringt sie aktuell in Italien. Bei Polis180 ist sie im Programmbereich connectingAsia involviert.
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