KULTURDIALOG ZWISCHEN AFRIKA UND EUROPA:
NARRATIVE ZU KUNST UND INNOVATION
Eine Veranstaltung im Rahmen der „Langen Nacht der Ideen“ des Auswärtigen Amtes.
Im Zentrum unserer ersten Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt für die jährliche „Lange Nacht der Ideen“ – „Artistic Narratives of Africa: A digital event with cultural professionals and digital innovators“ – stand die Frage nach einem zukunftsorientierten Kulturdialog zwischen europäischen und afrikanischen Kulturschaffenden sowie der Rolle, die die Digitalisierung dabei spielen kann.
Als entscheidend erweisen sich die Narrative, auf deren Grundlage wir künftig diesen Dialog führen wollen. So diskutierten wir unter dem diesjährigen Motto „Kulturen der Zukunft – Zukunft der Kulturen“ über den Einfluss, den (im Westen) etablierte Erzählungen auf die Dynamiken des interkulturellen Dialogs haben.
„Change the dynamics by changing the narratives“, sagte Eddy Sebera, der Geschäftsführer von Mara Phone aus Kigali, Ruanda, dem ersten in Afrika produzierten Smartphone, in einem Interview im März diesen Jahres: „The main goal of our smartphone factory is to change the dynamics by changing the narratives. Meaning: away from the mere consumer to the producer and consumer.“
Die Narrative zu verändern, bedeutet manifeste Dynamiken umzukehren, sei es durch die Dekonstruktion westlicher Schönheitsstandards, durch ein spezifisch afrikanisches ,Smart City‘-Konzept, durch das junge Business-Inkubationsprogramm #SiliconVillage oder durch die Forderung nach mehr Diversität in einer stark weiß, männlich und heterosexuell geprägten Filmindustrie. Es geht darum, die Reproduktion diskriminierender Stereotypen in Medien, Kunst und Kultur aufzuzeigen und ihr mit alternativen Erzählungen zu begegnen.
FILMSCREENING UND DISKUSSION
Der von ARTE ko-produzierte Dokumentarfilm „Digital Africa“ (2018) zeigt auf, wie Prozesse der Digitalisierung auf gesellschaftliche und kulturelle Strukturen in afrikanischen Ländern reagieren und ortsspezifische Lösungen entwickeln. Das ermöglicht auch einen neuen Blick auf die Digitalisierung westlicher Prägung. Der Film hinterlässt einen lebhaften Eindruck davon, mit welchem Tempo und welcher Kreativität die digitale Revolution im Rahmen der eigenen Anforderungen und Bedingungen vorangetrieben wird. In unserer Veranstaltung fragten wir danach, welche Rolle dabei künstlerische Stimmen spielen beziehungsweise wie sie davon profitieren können.
Im Anschluss an das Screening von „Digital Africa“ fand eine angeregte Diskussion mit internationalen Gästen statt, die das längst überholte europäische Afrikabild auf den Kopf stellten. Aus sehr unterschiedlichen Perspektiven wurden im Gespräch sowohl die Frage nach alternativen Narrativen beleuchtet als auch künstlerische Produktionen und Innovationen jenseits des kulturellen Mainstreams in den Blick genommen.
UNSERE PANELIST*INNEN
Der togolesische Architekt und Anthropologe Sénamé Koffi Agbodjinou gründete die kollaborative Forschungsplattform L’Africaine d’architecture, die sich mit Fragen der Architektur und der afrikanischen Stadt auseinandersetzt. Darüber hinaus ist er Gründer und Träger von WoeLabs, einem Netzwerk von Grassroots-Techhubs in Lomé, dessen Ziel es ist, allen Menschen die gleichen Chancen im Prozess der technologischen Entwicklungen zu geben. Darüber hinaus war er an der Gründung mehrerer gemeinsamer Unternehmen der #SilliconVillage Group beteiligt. Bei seinem Projekt „W.afate“ entstand der erste 3D-Drucker Afrikas – komplett aus Elektroschrott gefertigt. Sénamé Koffi Agbodjinou ist 2017 in das prestigeträchtige Stipendienprogramm der Ashoka-Stiftung für Sozialunternehmer*innen aufgenommen worden.
Er entwickelt das sogenannte #LowHighTech-Konzept, in dessen Innovationsansatz Personen aus sozial schwachen Strukturen einzubezogen werden. Seine Vision ist eine alternative ,African Smart City‘, in der Probleme wie Abfall durch die Verbindung von moderner Technologie und Tradition angegangen werden. In der Diskussion erklärte er, dass durch gezielte Ausbildungsprogramme technischer Fortschritt und wichtige kulturelle Traditionen des sozialen Zusammenhalts zusammengedacht würden, während die Plattform-Giganten aus dem Silicon Valley einer gesellschaftlichen Vereinzelung und Selbstentfremdung Vorschub leisteten.
Die als Fotografin, Installationskünstlerin und DJ aktive Uganderin Darlyne Komukama ist mit ihrem künstlerischen Selbstverständnis tief in den kulturellen Praktiken ihres unmittelbaren Umfelds in Kampala verwurzelt. Sie arbeitet meist im Kollektiv, um ihre zentralen Themen zu untersuchen: „femininity, blackness and connectedness”. In ihrem Projekt „The Salooni“, einer multimedialen Wanderinstallation, erforscht und zelebriert sie zusammen mit drei weiteren ugandischen Frauen „Schwarzes Haar“, dessen traditionelle Frisiertechniken über Generationen hinweg als kulturelle Praxis weitergegeben wurden und das stark mit der Identität afrikanischstämmiger Menschen verbunden ist.
Mit „Penthouse“ installierte Darlyne Komukama einen Wutraum auf einem Dach mitten in der Innenstadt von Kampala, in dem Frauen ihre Wut sicher äußern und offen demonstrieren konnten. Ihre Arbeit wurde u.a. im Southbank Centre in London, beim Chale Wote Festival in Jamestown in Accra und an mehreren Orten in Kampala, Uganda, gezeigt. Mit ihrem Ansatz des „Making (things)“ – im Gegensatz zu einem „Making art“ –, versteht sie künstlerisches Schaffen als Alltagspraxis und stellt mit ihrer von Institutionen unabhängigen Produktionsweise etablierte Künstler*innenbilder sowie gängige Vorstellungen von der Konsumierbarkeit und Verwertung von Kunst in Frage.
Der US-amerikanische Filmjournalist Girish Shambu betreibt seit 2004 seinen Film-Blog und veröffentlichte Texte im Film Quarterly, Framework, Film Comment und in der Criterion Collection. Kürzlich erschien sein Manifest „For a New Cinephilia“, in dem er schreibt, dass die bisherigen 75 Jahre Filmgeschichte nur eine eingeschränkte Perspektive widergespiegelt hätten, nämlich die einer Minderheitengruppe: eine Perspektive ,heterosexueller weißer Männer‘. Mit seiner „New Cinephilia“ fordert Girish Shambu eine Diversifizierung filmischer Narrative, die die Vielfalt unserer Gesellschaften tatsächlich reflektieren.
Das Manifest erschien bei Film Quarterly, wo er die Online-Kolumne „Quorum“ herausgibt. Eine neue und erweiterte Auflage seines Buches „The New Cinephilia“ (caboose books) wird 2020 veröffentlicht. In unserer Diskussion äußerte er sich darüber hinaus zu den Handlungsmöglichkeiten, die das Publikum besitzt, und räumte Social Media eine Schlüsselrolle ein: Rein weiße und männliche Filmproduktionen müssten kollektiv in den sozialen Netzwerken als solche entlarvt und angeprangert werden; gleichzeitig könnten sich durch leicht zugängliche Verbreitungswege wie Blogs und andere Social-Media-Kanäle Stimmen unter den Filmkritiker*innen vermehren, die diversen Produktionen zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen.
VIDEOS
Wir wollen unsere Gäste hier mit einigen Statements noch einmal zu Wort kommen lassen:
Die Diskussion weiterführen – mit Dir!
Für das Programm Kulturpolitik von Polis180 war diese Veranstaltung der Beginn einer nachhaltigen Auseinandersetzung mit Narrativen, die den interkulturellen Dialog prägt, fördert oder verhindert. In zukünftigen Veranstaltungen möchten wir diese Debatte fortführen.
Wer unsere Arbeit zu diesem Thema oder unseren anderen Schwerpunkten mitgestalten möchte, ist herzlich willkommen: Meldet Euch und macht mit!
Unser Team
Die Lange Nacht der Ideen – Was verbirgt sich dahinter?
Die Lange Nacht der Ideen fand 2020 bereits zum fünften Mal statt; dieses Jahr unter dem Motto “Kulturen der Zukunft – Zukunft der Kulturen”. Organisiert und gefördert vom Auswärtigen Amt, stellt sie dessen Mittlerorganisationen sowie weitere Partner*innen aus Zivilgesellschaft, Forschung, Wissenschaft und dem privaten Stiftungssektor vor und ihr Engagement in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Am 19. Juni wurden dieses Jahr 19 Veranstaltungen komplett digital durchgeführt.