Polisblog
15. März 2025

Von innen und außen unter Druck: Populismus und seine Auswirkungen auf die deutsche Außenpolitik

Ein Blogbeitrag von Teresa Becher

Die Krise der liberalen Weltordnung

Schon kurz vor dem Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 wurde von Francis Fukuyama als das „Ende der Geschichte“ ausgerufen. Doch anstelle einer stabilen demokratisch-liberalen Weltordnung folgte eine Phase politischer Umbrüche. Spätestens seit dem Brexit und der Wahl Donald Trumps, dem Aufstieg populistischer Parteien in Europa und Amerika sowie die zunehmende Konfrontation zwischen demokratischen und autokratischen Staaten hat sich gezeigt, dass die liberale Weltordnung unter Druck steht. Populistische Strömungen stellen internationale Institutionen infrage, lehnen multilaterale Strukturen ab und betonen nationale Interessen. Besonders internationale Organisationen, das Menschenrechtssystem sowie die Entwicklungszusammenarbeit sind Angriffen ausgesetzt, während in Europa insbesondere die EU kritisiert wird. Diese Entwicklungen haben erhebliche Auswirkungen auf die deutsche Außenpolitik und stellen sie vor große Herausforderungen.

Strukturelle Ursachen für das globale Erstarken von Populismus

Wirtschaftliche Transformationen

Globalisierung, Digitalisierung und der Klimawandel haben in zahlreichen Ländern traditionelle Industrien geschwächt, Arbeitsmärkte verändert und soziale Ungleichheiten verschärft. In vielen Ländern gehören ehemalige „Blue-Collar“-Arbeiter*innen inzwischen zur Kernwählerschaft populistischer Parteien, da sie Ängste vor einem (relativen) wirtschaftlichen Abstieg haben. Populist*innen nutzen diese Unsicherheiten gezielt für ihre politischen Zwecke.

Kulturelle Unsicherheiten und Identitätsfragen

Migration und gesellschaftlicher Wertewandel werden von Populist*innen als Bedrohung für nationale Identitäten dargestellt. Insbesondere Minderheiten wie LGBTQI+-Personen oder feministische Bewegungen werden gezielt attackiert, um durch eine Abwertung „anderer“ die eigene Gruppenidentität zu stärken.

Psychologische Faktoren und die veränderte Medienlandschaft

Populistische Parteien beeinflussen durch strategische Themensetzung den öffentlichen Diskurs, indem sie Probleme überzeichnen und Desinformationen durch ständige Wiederholung als legitim erscheinen lassen. Algorithmen sozialer Medien verstärken polarisierende Inhalte, während Desinformation gezielt eingesetzt wird, um Ängste zu schüren und Misstrauen gegen etablierte Medien zu stärken. Die Gatekeeper-Funktion klassischer Medien, die früher eine gewisse Kontrolle über den Informationsfluss ausübte, besteht in den sozialen Netzwerken kaum noch.

Krisenwahrnehmung und Politikversagen

Der Umgang mit Krisen wie der Eurokrise, der Flüchtlingskrise oder der COVID-19-Pandemie hat das Vertrauen in etablierte Parteien erschüttert. Fortschrittsversprechen wurden nicht eingelöst, während komplexe globale Zusammenhänge das politische Handeln zunehmend einschränken. Populistische Bewegungen bieten in diesem Umfeld scheinbar einfache Lösungen für hochkomplexe Probleme an.

Die Herausforderungen für die deutsche Außenpolitik

Multilateralismus und die EU unter Druck

Deutschland ist traditionell Verfechter einer multilateralen und regelbasierten internationalen Ordnung. Als Exportnation hat Deutschland ein großes Interesse an stabilen, breit aufgestellten Handelsbeziehungen. Als Zivilmacht legt es den Fokus auf diplomatische Verhandlungen und engagiert sich in internationalen Organisationen und bei internationalen Konflikten. Dabei verfolgt es (noch) eine wertebasierte Außenpolitik. Diese Ansätze sind in einer multipolaren Welt immer stärker unter Druck.

Gemeinsam mit Frankreich gilt Deutschland als Motor der EU. Doch populistische Strömungen schwächen die europäische Zusammenarbeit erheblich. Parteien wie die Alternative für Deutschland, La France Insoumise in Frankreich oder Fidesz in Ungarn erschweren eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Aktuelle Beispiele sind gemeinsame Positionen und Maßnahmen im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, dem Krieg in Gaza oder EU-Erweiterungen.

Wandel der globalen Wirtschaft und geopolitische Abhängigkeiten

Die deutsche Wirtschaft basierte lange auf günstigen Gasimporten aus Russland und stabilen Handelsbeziehungen mit China und den USA. Diese Bedingungen haben sich bereits oder ändern sich derzeit grundlegend, wodurch Deutschland gezwungen ist, neue wirtschaftspolitische Strategien zu entwickeln. Zudem verhindern wirtschaftliche Abhängigkeiten von Staaten wie China, Russland und den USA eine autonome außenpolitische Entscheidungsfindung.

Dilemma im Umgang mit autokratischen Staaten

Die deutsche Außenpolitik ringt um eine klare Strategie im Umgang mit autokratischen Regimen. Einerseits hat sich Deutschland demokratischen Werten, dem Völkerrecht und den Menschenrechten verschrieben, andererseits orientieren sich außenpolitische Entscheidungen im transaktionalen Sinn oft an wirtschaftlichen und politischen Interessen. Das führt dazu, dass Deutschland in vielen Fällen einen Balanceakt zwischen einer wertebasierten Außenpolitik und pragmatischen Interessen vollziehen muss, was zu Widersprüchen, Glaubwürdigkeitsverlust und begrenzter Handlungsspielraum gegenüber autokratischen Staaten führt. Darüber hinaus erweisen sich Sanktionen und diplomatische Maßnahmen wie Verhandlungen oder offizielle Erklärungen häufig als begrenzt wirksam.

Vorwurf der Doppelmoral

Mit dem wachsenden Einfluss der BRICS-plus-Staaten sowie anderer Mächte des Globalen Südens gerät die westlich geprägte liberale Weltordnung, auch aufgrund der ihr inhärenten neokolonialen Machtstrukturen, zunehmend unter Druck. Hier sind beispielsweise der internationale Handel, die Vergabe von Krediten, militärische Einsätze oder die Rolle von Leitwährungen zu nennen. Dabei werden Privilegien, von denen Deutschland und andere westliche Staaten profitieren, hinterfragt. Reformbestrebungen innerhalb internationaler Organisationen wie den Vereinten Nationen, der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds, die in Teilen auch von Deutschland unterstützt werden, verdeutlichen diesen Wandel. In Anbetracht seiner eigentlich wertebasierten Außenpolitik sieht sich Deutschland trotzdem immer wieder mit dem Vorwurf der Doppelmoral konfrontiert und verliert international an Glaubwürdigkeit.

Strategische Anpassungen: Handlungsspielräume und Zukunftsperspektiven

Populismus ist seit den letzten 20 Jahren vermehrt auf dem Vormarsch. Das birgt Herausforderungen für die Zivilmacht und Exportnation Deutschland, aber auch für seine traditionellen Verbündeten. Ein Beispiel dafür sind die USA: Nach der Rede von J.D. Vance, in der er mehreren europäischen Staaten Einschränkungen der Meinungsfreiheit vorwarf, und nachdem Trump die Unterstützung für die Ukraine vorerst einstellte, muss die Zukunft der transatlantischen Beziehung grundlegend neu bewertet werden. Um sich in einer von Populismus geprägten Welt zu behaupten, muss Deutschland seine Außenpolitik strategisch anpassen.

Stärkung der EU als globaler Akteur

Deutschland sollte sich für eine handlungsfähigere EU-Außenpolitik einsetzen, auch um nationale Alleingänge zu verhindern. Besonders während der zweiten Amtszeit Trumps könnte dies eine große Herausforderung werden. Notwendig sind Reformen innerhalb der EU, wie die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips im Rat in Bezug auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) oder ein Initiativrecht für Gesetze des Parlaments. Diese sollten dringend umgesetzt werden. Möglicherweise könnte dabei ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ entstehen. Eine gemeinsame europäische Armee, deren Realisierung durch das aktuelle Infragestellen der NATO seitens der USA wahrscheinlicher geworden ist, könnte ein zukunftsweisendes Projekt sein.

Engagement in internationalen Institutionen

Durch freien Handel, multilaterale Institutionen und internationale Sicherheitsstrukturen hat Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten erheblich profitiert. Stabilität, wirtschaftlicher Wohlstand und politische Einflussmöglichkeiten beruhen maßgeblich auf einer regelbasierten Weltordnung. Daher sollte Deutschland diese Strukturen nicht nur bewahren, sondern sich aktiv für ihre Weiterentwicklung und Stärkung einsetzen. Dieser Grundsatz erfordert auch die Achtung internationaler Institutionen wie des Internationalen Strafgerichtshofs, welcher derzeit durch Merz‘ Aussage infrage gestellt wird, wonach der Haftbefehl gegen Netanjahu in Deutschland nicht umgesetzt werden solle. Das seinen Bürger*innen zu vermitteln, ist eine Herausforderung, der sich die kommende Bundesregierung stellen muss.

Wirtschaftliche Unabhängigkeit und neue Allianzen

Deutschland sollte seine Handelsbeziehungen diversifizieren, um sich weniger abhängig von einzelnen autokratischen Staaten zu machen. Dies ist besonders im Rahmen der EU zu empfehlen, wie beispielsweise beim MERCOSUR-Abkommen zwischen der EU, Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay, da die Marktmacht der EU so optimal genutzt werden kann. In den Bereichen Energie und Technologie ist dies entscheidend, um langfristig handlungsfähig zu bleiben. Gleichzeitig sollten verstärkte Kooperationen mit demokratischen Partnern weltweit angestrebt werden, insbesondere mit Ländern des Globalen Südens wie Indien, Ghana oder Indonesien. Bei aufkommenden Handelskonflikten sollte Deutschland es möglichst schaffen, die eigenen Interessen unter Berücksichtigung strategischer Partnerschaften zu vertreten.

Resilienz gegen Desinformation und digitale Bedrohungen

Um Desinformation und ausländische Einflussnahme, insbesondere durch Akteure wie Russland, China oder Iran, wirksam zu bekämpfen, bedarf es einer proaktiven Medien- und Digitalstrategie. Eine enge Zusammenarbeit nationaler und internationaler Institutionen ist notwendig, um Desinformationskampagnen frühzeitig zu erkennen und gezielt dagegen zu steuern. Ebenso essenziell ist die Regulierung von Online-Plattformen, um die Verbreitung manipulativer Inhalte einzudämmen. Hierfür ist der Digital Services Act (DSA) der EU ein wichtiger Schritt. Darüber hinaus sollte die digitale Bildung sowohl im schulischen als auch im politischen Bereich verstärkt gefördert werden, um Bürger*innen besser für Desinformation und gezielte Propaganda zu sensibilisieren. Cybersicherheit muss dabei eine kontinuierliche Priorität erhalten – nicht nur im Vorfeld von Wahlen, sondern als integraler Bestandteil einer langfristigen sicherheitspolitischen Strategie. Dafür können europäische Nachbarländer, wie Estland, Dänemark und Finnland, als Vorbilder dienen.

Umgang mit Populismus in Deutschland selbst

Politische Maßnahmen müssen gezielt auf die wachsende soziale Ungleichheit eingehen und nachhaltige Lösungen zur Förderung gesellschaftlicher Teilhabe entwickeln. Der Dialog zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen sollte aktiv unterstützt werden – sei es durch Bürgerdialoge, politische Bildungsarbeit oder den direkten Austausch im persönlichen Umfeld. Gleichzeitig ist es entscheidend, dass sich die öffentliche Debatte weniger von populistischen Reizthemen treiben lässt und stattdessen differenzierte Diskussionen anregt, die komplexe Zusammenhänge sachlich und verständlich erklären. Dazu ist eine verstärkte Aufklärung über Desinformation dringend notwendig, um die Verbreitung einzudämmen. Sowohl Medien als auch politische Akteure müssen populistische Mechanismen entschlüsseln und ein besseres Verständnis für die dahinter liegenden psychologischen Prozesse schaffen. Nicht-populistische Parteien sind gefordert, realistische und überzeugende Alternativen zu präsentieren und ihre Positionen klar, verständlich und nahbar zu kommunizieren. Ebenso wichtig ist es, die Auswirkungen der Globalisierung auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen nachvollziehbar zu machen. Anstatt Komplexität zu vereinfachen, sollte sie anerkannt und konstruktiv in Lösungsansätze integriert werden. Vor allem aber braucht es eine positive, zukunftsgerichtete Vision, die Orientierung gibt, Hoffnung schafft und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt.

Klare Haltung gegenüber populistischen Regierungen auf internationaler Ebene

Anstatt populistischen Regierungen mit einer Politik des Appeasements zu begegnen, sollte Deutschland eine klare Haltung einnehmen und demokratische Werte offensiver verteidigen. Damit würde auch für die Wähler*innen in Deutschland sichtbarer, wofür sich die deutsche Außenpolitik konkret einsetzt.

Fazit

Der Aufstieg des Populismus in Deutschland und global ist eine der größten Herausforderungen für die deutsche Außenpolitik. Statt sich reaktiv an neue Bedingungen anzupassen, muss die Bundesregierung eine vorausschauende Strategie entwickeln, die demokratische Partnerschaften stärkt, wirtschaftliche Abhängigkeiten reduziert und multilaterale Strukturen verteidigt. Ein Blick auf vergangene Krisen und Konflikte kann helfen, aus der Geschichte zu lernen und Deutschland außenpolitisch langfristig zu positionieren.

Teresa Becher ist seit Dezember 2022 bei Polis aktiv und seit Juli 2023 Teil des erweiterten Vorstands (Bereiche Social Media & Public Affairs). Teresa studiert Sozial- und Politikwissenschaft in Berlin. Zu ihren Interessensgebieten gehören die Themen Demokratie, internationale Kooperation und digitaler Autoritarismus. Sie arbeitet in einem Abgeordnetenbüro im Bundestag.

Bildquelle via Unsplash.

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