Polisblog
15. März 2025

Impuls von außen – österreichische Erwartungen an die künftige deutsche Bundesregierung

Deutschland ist als aktuell drittgrößte Volkswirtschaft der Welt und bevölkerungsreichstes Land der Europäischen Union ein Schwergewicht auf der Weltbühne. Gerade in den aktuell turbulenten Zeiten sind die Erwartungen an Deutschland und seine regierenden Akteure hoch. Viele Perspektiven beschäftigten sich in den vergangenen Wochen nach der Bundestagswahl mit den Erwartungen der Deutschen an die zukünftige Außen- und Sicherheitspolitik ihres Landes – egal, ob der Ukrainekrieg, die Situation im Nahen Osten oder die Vereinigten Staaten unter Trump. Doch welche Erwartungen werden von außerhalb Deutschlands an eine zukünftige Bundesregierung herangetragen?

Ein Blogbeitrag von Elke Schraik / Redaktionell bearbeitet von Teresa Becher und Robin Haug (Polis180)

Dieser Blogbeitrag gewährleistet einen Einblick, welche Erwartungen nach der Bundestagswahl 2025 von außen an Deutschland herangeführt werden. Konkret widmen wir uns der Perspektive1) unserer Partnerorganisation Ponto aus Österreich. Ponto und Polis180 sind Mitglieder des OpenThinkTank-Netzwerks (OpenTTN).

Österreich im (an)gespannten post-Wahl-Modus

Deutschlands südlicher Nachbar richtet immer wieder den Blick gen Norden und wünscht sich gute nachbarschaftliche Beziehungen, so auch jetzt kurz nach der Bundestagswahl. Dies ist besonders interessant, da die österreichischen Wählerinnen und Wähler (an)gespannt auf die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen in verschiedenen Konstellationen – derzeit im dritten Anlauf – beobachten. Die rechtspopulistische FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) ging als Sieger der Wahlen im Herbst 2024 hervor, dicht gefolgt von der konservativen ÖVP (Österreichische Volkspartei). Nicht mehr ganz so dicht folgt die SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs), und mit etwas Abstand folgen die liberale Partei der NEOS sowie die Grünen. Hier die Ergebnisse im Detail:

ParteiErgebnis in ProzentErgebnis in Mandaten
FPÖ28,25 %57 (+26)
ÖVP26,27 %51 (-20)
SPÖ21,14 %41 (+1)
NEOS9,14 %18 (+3)
Grüne8,24 %16 (-10)
  183

Wie aus der Tabelle ersichtlich, würde eine Koalition aus ÖVP und SPÖ – eine Koalition mit langer Tradition – über eine knappe Mehrheit von nur einem Mandat verfügen. ÖVP und SPÖ waren daher auch im Gespräch mit anderen Parteien, die als dritter oder vierter Partner in Frage gekommen sind. Letztlich einigten sich ÖVP, SPÖ und die liberalen NEOS auf eine Koalition im zweiten Anlauf. Soweit die Ausgangssituation beim südlichen Nachbarn Deutschlands, der nun erwartungsvoll nach Norden blickt. 

Um die Erwartungen junger österreichischer Wählerinnen und Wähler in den Blick zu nehmen, habe ich 16 qualitative Interviews mit Studierenden der Politikwissenschaft (als Haupt- oder Ergänzungsfach) geführt. Es handelt sich hier um junge Menschen, die überdurchschnittlich politisch interessiert sind, und deren Meinung und Ansichten daher nicht unbedingt jene der breiten Bevölkerung widerspiegeln, sondern jene eines jungen und sehr interessierten sowie gut informierten Teils der Wählerschaft.

Der Wunsch nach einem selbstsicheren Deutschland als Vorbild

Der am häufigsten und mit stärksten Nachdruck ausgedrückte Wunsch an die deutsche Bundesregierung bezüglich Außenpolitik ist eine starke Kooperation innerhalb der EU. In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder die Relevanz der Zusammenarbeit mit Frankreich hervorgehoben. Generell wird die Bedeutung der globalen und europäischen Vorbildfunktion Deutschlands und die damit verbundene Verantwortung betont.. Dies ist im Einklang mit der deutschen Perspektive. Auch dass sich der Blick Österreichs mitunter nach Deutschland richtet und der deutschen Politik mitunter gefolgt wird, steht in Zusammenhang mit dieser wichtigen Rolle Deutschlands. Diese frommen Wünsche werden nicht von allen interviewten Personen als realistisch eingeschätzt. Es gibt Befürchtungen, dass sich eine künftige Regierung möglicherweise mehr nach innen orientiert und außenpolitische Themen – trotz deren Zusammenhang mit der Innenpolitik – eher vernachlässigt. Diese Sorge der Vernachlässigung betrifft auch die europäische Zusammenarbeit.

Der Wunsch nach verstärkter Sicherheitspolitik

Sicherheitspolitisch steht die Unterstützung der Ukraine im Vordergrund der Erwartungen junger Österreicherinnen und Österreicher. Gleichzeitig besteht die Befürchtung, dass diese Unterstützung für sowie das Interesse an dieser Herausforderung abnimmt. In diesem Zusammenhang wird von der Bundesregierung mehr Mut gefordert. Nicht nur im Zusammenhang mit dem Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine, sondern auch generell wird eine verstärkte weil notwendige Sicherheitspolitik und Aufrüstung Deutschlands, sowie eine engere europäische Zusammenarbeit im sicherheitspolitischen Bereich gewünscht, teilweise verbunden mit einer Fokussierung explizit friedenspolitischer Maßnahmen. Allerdings schätzen die befragten Österreicherinnen und Österreicher diese Wünsche nach einer stärkeren sicherheitspolitischen Ausrichtung der deutschen Außenpolitik als unrealistisch ein und rechnen mit einer Enttäuschung ihrer Erwartungen.

USA & Umweltpolitik: Distanzierung

Mit Blick auf die USA empfehlen die Befragten eine strategische Distanzierung im europäischen Verbund und – soweit möglich – eine Begrenzung der Folgen  eines potenziell erratischen Verhaltens der US-Administration. Insgesamt erwarten die Befragten eine Einschränkung der Beziehungen zwischen Deutschland und den USA. 

Auch die Umwelt- und Klimapolitik wurde als relevantes außenpolitisches Thema hervorgehoben, welches verstärkt in den Blick genommen werden sollte. Die realistische Erwartung der Studierenden ist eher das Gegenteil – eine mangelnde Priorisierung dieses wichtigen Themas in der deutschen Außenpolitik.

Schlussfolgerung

Größtenteils zeigt sich also ein wohlwollender Blick auf Deutschland. Vor allem in wichtigen außen- und europapolitischen Fragen besteht eine  hohe Erwartung an Deutschlands ‚leadership‘, teilweise gemeinsam mit Frankreich. Der Fokus liegt auf dem Wunsch einer pro-europäischen Haltung und einer stärkeren Unterstützung der Ukraine. Leider deckten sich die Wünsche nur teilweise mit den realistischen Einschätzungen, vor allem in Bezug auf den Krieg in der Ukraine. 

Ein aus österreichischer Sicht interessanter Aspekt ist die Relevanz der deutschen Außenpolitik für den Ausgang der Wahlen. In Österreich werden Wahlkämpfe üblicherweise nicht von außenpolitischen Themen getrieben oder dominiert, geschweige denn Wahlen durch außenpolitische Themen entschieden. Auch das dafür notwendige außen- und sicherheitspolitische Wissen der österreichischen Wählerinnen und Wähler ist entwicklungsbedürftig.  

Empfehlungen

Zusammenfassend lassen sich folgende Handlungsempfehlungen für die künftige deutsche Bundesregierung im Bereich der Außenpolitik von den Empfehlungen der interviewten Studierenden der Politikwissenschaft ableiten:

  1. Wahrnehmung der wichtigen globalen und europäischen Rolle Deutschlands als Vorbild und Impulsgeber
  2. Ausbau der Unterstützung der Ukraine
  3. Verstärkter Fokus auf Umwelt- und Klimapolitik.e und schaffen Räume zum Austausch. So machen wir Außenpolitik greifbar und zeigen, wie sie aus der Gesellschaft heraus und inklusiver gestaltet werden kann.

Elke Schraik ist Vorstandsmitglied bei Ponto sowie im OpenTTN. Beruflich ist sie als Lektorin an der Universität Wien, der Diplomatischen Akademie Wien sowie an der Fachhochschule für Europäische Wirtschaft und Unternehmensführung tätig.

Ponto ist der Grassroots Think-Tank für Außen- und Europapolitik in Österreich und Teil des OpenThinkTank-Netzwerks (OpenTTN). Gegründet im Jahr 2018 trägt Ponto durch Veranstaltungen, Publikationen und weiteren Formaten aktiv zur öffentlichen Meinungsbildung in Österreich bei und setzt sich als junge Stimme der österreichischen Europa- und Außenpolitik für ein weltoffenes und pro-europäisches Österreich ein.

Robin Haug ist seit 2021 aktives Mitglied bei Polis180. Seit März 2024 ist er als Programmleitung des Regionalprogramms “The America(n)s” gewählt. Robin studierte Politikwissenschaft mit einem Schwerpunkt auf Internationaler und Europäischer Politik mit einem Schwerpunkt auf den USA und den transatlantischen Beziehungen. Er arbeitet darüber hinaus als Referent zur Planung und Umsetzung politischer Kampagnen.

Teresa Becher ist seit Dezember 2022 bei Polis aktiv und seit Juli 2023 Teil des erweiterten Vorstands (Bereiche Social Media & Public Affairs). Teresa studiert Sozial- und Politikwissenschaft in Berlin. Zu ihren Interessensgebieten gehören die Themen Demokratie, internationale Kooperation und digitaler Autoritarismus. Sie arbeitet in einem Abgeordnetenbüro im Bundestag.

Bildquelle via Pixabay.

1) Hinweis: Der veröffentlichte Beitrag ist ein Gastbeitrag der Organisation Ponto und spiegelt die Positionen, Meinungen und Gedanken derselbigen wider. Polis180 e.V. überarbeitete den Gastbeitrag redaktionell und unternahm darüber hinaus keine inhaltlichen Ergänzungen und Veränderungen innerhalb des organisationseigenen Publikationsprozesses. Polis180 e.V. nimmt auch keine Bewertung der inhaltlich vorgetragenen Positionen vor und bedankt sich bei der Autorin und Ponto für den Beitrag.

Polis Blog ist eine Plattform, die den Mitgliedern von Polis180 & OpenTTN zur Verfügung steht. Die veröffentlichten Beiträge stellen persönliche Stellungnahmen der AutorInnen dar. Sie geben nicht die Meinung der Blogredaktion oder von Polis180 e.V. wieder.

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