Junge Menschen sind in der deutschen Politik – sowohl in Ämtern als auch als Wählende – unterrepräsentiert. Da ihre Perspektiven jedoch gerade für die Zukunft von besonderer Bedeutung sind, gilt es, sie sichtbar zu machen und einzubinden. Die Betrachtung verschiedener Studien zeigt teilweise deutliche Abweichungen in den Ansichten junger Wahlberechtigten. Der Artikel arbeitet vor allem die Ansicht zu 1) der EU , 2) dem Umgang mit Migration, 3) internationalem Engagement heraus.
Ein Blogbeitrag von Eliane Hochsprung
Ob Krieg in der Ukraine, die erneute Wahl Donald Trumps in den USA, globale Pandemien wie COVID-19 oder der Klimawandel – Deutschlands Rolle in Europa und der Welt ist hinterfragt und will gefunden werden. Auch wenn die Mehrheit dieser (und anderer) Themen in den letzten Wahlkampfwochen aus dem öffentlichen Diskursraum nahezu in der Versenkung verschwunden sind, werden die Ergebnisse der Bundestagswahl die Weichen für die kommenden Legislaturperiode und darüber hinaus stellen.
Dieser Zukunftsbezug ist vor allem für die junge Wählerschaft von Bedeutung. Zugleich sind gerade einmal 13,9% der Wahlberechtigten unter 30. Sie waren keine Adressaten in den Wahlprogrammen zur aktuellen Wahl. Diese Diskrepanz zwischen zu erwartender Lebenszeit und Mitsprache erklärt eine politische Unterrepräsentation – rechtfertigt sie jedoch nicht. Denn die Perspektiven junger Menschen auf die deutsche und europäische Außenpolitik unterscheiden sich von denen älterer Generationen. Geht es darum, sich neu auszurichten, zu positionieren und Strukturen zu durchbrechen, die weder heute noch morgen für Stabilität, Sicherheit und Frieden sorgen können, dann sind andere Perspektiven nötig.
Es geht also darum, diese Perspektiven zunächst sichtbar zu machen.
Das Fundament: Eine starke EU
Junge Wahlberechtigte sind mit einer hybriden Identität aufgewachsen: Ihrer nationalen und der europäischen. Zu ihrer – oder unserer – Realität gehört die Freizügigkeit und Reisefreiheit ebenso wie internationales Arbeiten und Studieren. Die Bewegung im Raum einer Wertegemeinschaft aus vielen verschiedenen Nationalitäten ermöglicht Vielfalt und Austausch. Die junge Wählerschaft befürwortet ein stärkeres Zusammenwachsen der Mitgliedstaaten. Gerade jetzt, wo die internationale Ordnung in ihrem Status quo derart herausgefordert ist, liegt in der Befürwortung einer geeinten EU der Grundstein für ihre Handlungsfähigkeit und die Entwicklung eines politischen Gegengewichts.
Zwischen diesem Zukunftspotential und der aktuellen Realität klafft jedoch ein Abgrund. Während die USA als stärkste internationale Macht wahrgenommen wird, ist die EU dagegen nahezu unbedeutend, wenngleich sich eine Trendumkehr nach der Münchener Sicherheitskonferenz 2025 und der Haltung der USA im Ukraine-Konflikt abzeichnet und mögliche Maßnahmen ausgelotet werden. Der Angriff Russlands auf die Ukraine, der Überfall der Hamas auf Israel, der Gaza-Konflikt und islamistischer Terror sind ebenso Teil der Lebensrealität junger Menschen wie die Verschiebung politischer Kräfte in den EU-Mitgliedstaaten. Die politische Unfähigkeit, darauf starke Antworten zu geben und Unsicherheiten aufzufangen, hat Auswirkungen auf Werte und Überzeugungen, die sich letztlich an der Wahlurne zeigen. Möchte man die Zustimmung zur EU (und übrigens auch zur NATO) junger Wählerinnen und Wähler bewahren, dann muss sie als solche gehört und in die politische Arbeit integriert werden.
Die Richtung: Mehr internationales Engagement
Wie oben bereits angemerkt, unterscheiden sich die Ansichten junger Menschen in Deutschland in manchen Fragen deutlich von allen übrigen Generationen. Auffällig ist, dass sich unter 30-Jährige mit einer deutlichen Mehrheit ein höheres Engagement Deutschlands bei internationalen Konflikten wünschen (60%). Das weicht nicht nur von den anderen Altersgruppen, sondern auch von fast allen anderen demographischen Gruppen ab, die in der Umfrage der Körber-Stiftung gesondert erhoben wurden, etwa nach Geschlecht, Wohnort in Ost- oder Westdeutschland oder Größe des Wohnorts; einzig der Bildungsgrad (Abitur/FH-Reife) hat einen ähnlichen Effekt (58% für mehr internationales Engagement. Mit dem Wunsch nach höherem Engagement werden vor allem diplomatische Tätigkeiten und finanzielle Unterstützung verbunden. Unter älteren Wahlberechtigten ist auf der anderen Seite eine höhere Zustimmung zu militärischem Engagement auszumachen.
Interessant ist zugleich, dass junge Menschen zwar keine zusätzlichen militärischen Einsätze befürworten, jedoch fordern, dass Deutschland eine stärkere militärische Führungsrolle innerhalb Europas einnimmt. Nahezu widersprüchlich dazu mutet an, dass deutsche Investitionen in die europäische Sicherheit weniger junge Unterstützung finden und Deutschland seltener in der Führungsrolle des Westens gesehen wird. Mit Blick auf die Ukraine sind junge Menschen eher für Waffenlieferungen und für Rückeroberungen des gesamten Staatsgebietes.
Wie sich dies zusammendenken lässt, muss geklärt werden. Sicherlich spielt dabei eine Rolle, dass sich diese Antworten aus der Betrachtung verschiedener Studien ergeben, die jeweils einen eigenen Fokus haben. Deutlich wird allenfalls: Militärisches Engagement wird je nach Situation unterschiedlich bewertet. Dies gilt auch im Hinblick auf den Israel-Hamas-Konflikt.
Durch Social Media sind individuelle (Kriegs- und Gewalt-)Erfahrungen in einem anderen Maße zugänglich, als dies vor einigen Jahren noch der Fall war. Physische Distanzen werden hier überwunden, eine Vielzahl verschiedener Stimmen hörbar. Junge Wahlberechtigte sind damit aufgewachsen und nutzen es als Informationsmedium. Diese Zugänglichkeit und Nähe zum Geschehen wirkt sich auf Konfliktwahrnehmung und -bewertung aus. Der dadurch entstehenden Komplexität sollte Rechnung getragen werden. Wie dies konkret aussehen kann, lässt sich am besten mit denjenigen gestalten, die über die nötige Expertise verfügen: Der jungen Wählerschaft.
Mehr internationales Engagement beinhaltet neben Diplomatie und Militär auch humanitäre Hilfe und den Ausbau von Partnerschaften. Nach der Trump-Wiederwahl in den USA stellt sich die Frage, ob die USA noch als verlässlicher Partner angesehen werden können (allenfalls für die kommende Legislaturperiode). Junge Menschen sprechen sich für den Ausbau von asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Partnerschaften wesentlich höher aus als ältere Generationen. Neben der Unsicherheit “USA” gilt diese auch für China und Russland. Junge Menschen nehmen Russland häufiger als militärische Bedrohung wahr als ältere; das Gleiche gilt, auf deutlich niedrigerem Niveau, für China.
Was wirklich zählt: Eine lebenswerte Zukunft gestalten
Entgegen der thematischen Agenda der vergangenen Wahlkampfwochen, ist “Migration” nicht das Thema Nummer eins, welches die Gesellschaft beschäftigt und wo sich die Mehrzahl der Menschen Veränderung wünscht. Das gilt auch und gerade für junge Menschen. Studien, wie The Berlin Pulse von der Körber Stiftung, TUI: Junges Europa (2024), oder die Shell Jugendstudie (2024) zeigen, dass vor allem Krieg und Frieden, aber auch Umweltschutz und Klimawandel priorisiert werden.
Wenn es nun aber tatsächlich um Migration gehen soll, dann um die Unterschiede in den Positionen junger und älterer Generationen.
Junge Menschen befürworten den Ausbau legaler Migrationswege und Maßnahmen zur Integration stärker als ältere Generationen. Sie sprechen sich für humanitäres Engagement aus. Ihre Zustimmung zu strengen Grenzkontrollen fällt gleichzeitig niedriger aus.
Hieran zeigt sich einmal mehr: Die Perspektive junger Menschen beinhaltet einen klaren Fokus, welcher über Landesgrenzen hinausgeht und Integration vor Ausgrenzung und Abschottung stellt. Er beinhaltet ein klares Bewusstsein über internationale Bedrohungen und die Vulnerabilität von Bündnissen. Er beinhaltet die Möglichkeit von Neuausrichtung, der Entwicklung anderer Partnerschaften, wenn etablierte zerbrechen und die Stärkung der Bündnisse, die bestehen.
Junge Menschen blicken in eine Zukunft, welche nicht nur mit der internationalen (Un- oder Um-)Ordnung umgehen muss, sondern auch mit dem Wissen darum, wie es um ihre Lebensgrundlage, der Erde, steht. Sie sind spätestens seit der Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens 2015 damit konfrontiert, dass Ziele nicht eingehalten, Maßnahmen zögerlich ergriffen werden und Veränderungen zu langsam Wirkung zeigen. Anhand von Fridays for Future hat sich ihr Engagement und ihre Betroffenheit wohl am deutlichsten gezeigt. Die öffentliche Präsenz dessen mag abgenommen haben, es gilt weiterhin: Sie priorisieren den Klimawandel doppelt so hoch wie andere Altersgruppen.
Worum es also geht in a nutshell
Es entspricht der Natürlichkeit der Dinge, dass junge Generationen andere Erfahrungen machen, als die vorherigen. Hervorzuheben für die aktuelle Generation junger Heranwachsender sind jedoch drei Dinge:
- Die internationale Ordnung ist in einem Ausmaß hinterfragt, wie schon lange nicht mehr. Die Perspektiven junger Menschen bergen das Potential, neue Gleichgewichte zu etablieren: Mit Integration, neuen Allianzen und der Stärkung der Wertegemeinschaft Europäische Union.
- Wir bewegen uns rasant auf klimatische Kipppunkte zu, deren Überschreiten unumkehrbare Folgen nach sich ziehen. Entgegen dem Status quo ist eine Verhinderung dessen nur noch heute möglich – und nicht in unabsehbar weit entfernten Legislaturperioden, was ganz aktuell für das Sondervermögen gilt, in welchem das Klima merkwürdigerweise keine Rolle spielt. Nationales Handeln stellt die Weichen für internationale Aktion. Junge Menschen haben für diese zeitliche Dringlichkeit ein feines Gespür – und die Bereitschaft, sich proaktiv einzusetzen. Sie benötigen ausreichend Spielraum, Gehör und Ressourcen.
- Junge Menschen haben durch die Digitalisierung einen erweiterten Zugang zum Zeitgeschehen und kommen zu anderen Deutungen, wie sich nicht zuletzt an der polarisierten Wahrnehmung des Israel-Hamas-Konfliktes zeigt. Sie machen die Erfahrung zeitlicher Unmittelbarkeit, auf welche die Politik-Maschinerie vergleichsweise langsam reagieren kann. Dieses Spannungsfeld zu gestalten ist die Aufgabe gegenwärtiger und zukünftiger Politik: Sie tut gut daran, diejenigen einzubeziehen, die auf diesem Feld über Expertise verfügen.
Der Anteil junger Wahlberechtigter beträgt aktuell 13,9%. Die Möglichkeit, Wahlen zugunsten ihrer Interessen zu beeinflussen, ist aufgrund ihrer demographischen Unterbesetzung im nötigen Ausmaß unmöglich. Ihre Perspektiven auf deutsche Außenpolitik sind jedoch für die Bewältigung der anstehenden Herausforderungen unverzichtbar. Darum liegt es im Interesse der deutschen (Außen-)Politik, genau hinzusehen und hinzuhören. Langfristig kann es nicht anders gelingen.deutschen (Außen-)Politik, genau hinzusehen und hinzuhören. Langfristig kann es nicht anders gelingen.
Eliane Hochsprung ist seit Oktober 2024 Polis-Mitglied. Sie studierte Philosophie, Politikwissenschaft und Soziologie. Ihr wissenschaftlicher Fokus liegt auf sozialen Diskursdynamiken und den Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Politik.
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