Der frisch inaugurierte US-Präsident Donald Trump hat (mal wieder) per Dekret den Rückzug seines Landes aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) besiegelt. Trotz der medienwirksamen Inszenierung vor tausenden seiner AnhängerInnen stellt dieser Schritt weniger einen epochalen und überraschenden Bruch, als einen ohnehin schon über Jahre andauernden Schwächungsprozess globaler Gesundheitsgovernance dar. Die kommende Bundesregierung muss daher neue Realitäten anerkennen und gemeinsam mit willigen internationalen Partnern zumindest einen Grundstock an globalem Gesundheitsschutz aufrecht zu erhalten.
Ein Beitrag von Maximilian Schranner
War da was?
Donald Trumps Dekret, die USA nun endgültig oder zumindest für die nächsten vier Jahre aus der WHO zurückzuziehen, wird für einige wie ein unangenehmer Ruf aus vergangenen Zeiten gewirkt haben. Weltgesundheitsorganisation, Pandemie – war da was? Nachdem der internationale Gesundheitsnotstand 2023 aufgehoben und die Pandemie offiziell für beendet erklärt wurde, wurde sie schnell aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt – wie so viele Gesundheitskrisen zuvor. Bei der sogenannten „Spanischen Grippe“ zum Ende des Ersten Weltkriegs sprechen Autoren von „un-remembered but unforgettable.
Globale Gesundheitskrisen und die WHO: Wie ist die Bilanz?
Es ist auch nicht der Fall, dass sich internationale Strukturen von Gesundheitsversorgung, Infektionsüberwachung und Prävention in der Vergangenheit stetig bewährt oder sich auf einem Pfad andauernder Verbesserung befunden hätten. Schon bei den Influenzaausbrüchen in den 2000er Jahren (H5N1/H1N1) und der Ebola-Epidemie in Westafrika 2014-2016 wurden Schwächen internationaler Antworten auf Gesundheitsbedrohungen offenbar und Reformen über die WHO hinaus gefordert. Die jüngste Pandemie wird gar als „system failure“ beschrieben. Das Gegenteil kollektiver globaler Zusammenarbeit materialisierte sich: medizinische Güter wurden gehortet, Grenzen geschlossen, Staaten mit Ausbrüchen oder auch nur schnelleren medizinischen Informationen über Coronavarianten stigmatisiert, China obstruierte die WHO und die USA zogen sich unter Donald Trump bereits damals vollständig zurück. Hoffnungen, aus der globalen Gesundheitskrise zu lernen, ein „build back better“, wurden enttäuscht. Verhandlungen zum von EU-Ratspräsident Charles Michel angestoßenen, ambitionierten internationalen Pandemievertrag konnten vor Zusammentreten des 77. World Health Assembly nicht abgeschlossen werden. Die WHO ist seit Jahren chronisch unterfinanziert. Und im derzeitigen Wahlkampf taucht die Vorbereitung auf mögliche Pandemien kaum auf.
Der Verlust einer Säule: USA und die WHO
Nichtsdestotrotz ist der Aufschrei angesichts von Trumps Schritt groß – mit einiger Berechtigung. Die Umsetzung wird zwar erst in einem Jahr abgeschlossen sein. In Trumps erster Amtszeit stoppte er die Finanzierung der WHO und leitete den Rückzug ein. Doch noch bevor die Einjahresmarke erreicht war, trat Joe Biden sein Amt an und änderte den Kurs sofort. Die Folgen sind gravierend. Die USA stellen den Großteil der Finanzierung der WHO, sind mit zahlreichen Partnerschaften und ExpertInnen bspw. aus dem US Center for Disease Control (US CDC) oder dem United States Army Medical Research Institute of Infectious Diseases (USAMRIID) in der Welt globaler Gesundheitsgovernance vertreten und führend. Ihr fehlt ohne den Vereinigten Staaten ein Pfeiler, wie auch der NATO im Falle einer begrenzten Beteiligung der USA. Darüber hinaus wird der Rückzug der USA Staaten wie China sicher nicht motivieren, sich nun robust und konstruktiv einzusetzen. Umgekehrt könnte die Folge sehr wohl sein, das Politikfeld zur Durchsetzung eigener Vorstellungen und Interessen zu nutzen. Immer wieder taucht aus Peking die Forderung auf, Taiwan aus Gesundheitsstrukturen auszuschließen.
Klimawandel und Gesundheit: Schatten zukünftiger Krisen
Die Herausforderungen werden ebenfalls nicht kleiner. Erwiesenermaßen hat der Klimawandel gravierende gesundheitliche Auswirkungen und macht Epidemien in der Zukunft wahrscheinlicher. Die Welt hat noch mit den sozioökonomischen und -politischen Langzeitsymptomen der scheinbar vergangenen Pandemie zu kämpfen: Polarisierung in Gesellschaften, Umkehr des Globalisierungstrends, erstarkende globale Machtkonflikte und verschärfte Konflikt- und Migrationsursachen wie Armut und Nahrungsmittelunsicherheit.
Zwischen Resignation und Gestalten: Was kann die Bundesregierung tun?
Doch was ist nun zu tun? Welche Wege sollte eine neue Bundesregierung beschreiten? Zunächst hilft es wenig, enttäuscht daran zu verzweifeln, dass sich das internationale Gesundheitsregime nicht zum Richtigen fortentwickelt, wie man es Anfang der 2000er gedacht hat. Angesichts vieler Krisen verständlich, aber ebenso schädlich wäre ein Ignorieren und Vergessen der Gefahren von Pandemien. Wie in der Friedensdividende nach dem Kalten Krieg würde die Einstellung „Es ist ja nochmal gut gegangen!“ Deutschland vor der nächsten Pandemie blank dastehen lassen.
Umgekehrt wäre es nahezu nostalgisch, unverändert an alten Modellen und Konzepten festzuhalten, deren Grundlage spätestens durch Trumps medienwirksamen Federstrich nicht mehr existiert. Die Ziele global lückenloser Seuchenüberwachung, wirklicher Epidemieprävention und sich stetig verbessernder Gesundheitssysteme sind in weite Ferne gerückt. Ansätze wie One Health und Planetare Gesundheit, die menschliche und ökologische Sphären verbinden, sind normativ sinnvoll, aber keine praktischen Konzepte, die sich in der aktuellen Weltlage umsetzen ließen.
Im derzeitigen Krisenmoment gilt es, Bestehendes und Errungenes zu bewahren. Die Strategie der Bundesregierung zur globalen Gesundheit bietet hierzu einige Anhaltspunkte, bedarf allerdings Priorisierung. Für 2025 war in ihr ohnehin eine Evaluierung vorgesehen. Die Kernfrage für eine neue Bundesregierung ist: Wer hält die Grundpfeiler globaler Gesundheitssicherheit aufrecht? Wer sind internationale Partner in dieser Frage? Die USA? China? Ein von auf der Impfgegnerwelle surfenden Rechtspopulisten durchzogenes und zerbrochenes Europa?
Afrika als Hoffnungsträger in der globalen Gesundheit
Für manche überraschend können afrikanische Staaten eine bemerkenswert positive Bilanz in der Bekämpfung von COVID-19 ziehen. Voran ging hier das gesamtkontinentale Africa CDC. Der Ansatz für die deutsche Gesundheitsdiplomatie sollte allerdings eben nicht das alte „leading by example“ setzen. Auf dem Nachbarkontinent, dessen Staaten zu großen Teilen noch die Interessen globaler Gesundheitssicherheit teilen, ist in der Vergangenheit viel Porzellan zerbrochen worden. Impfnationalismus, Zurückhaltung im Teilen von Pharmazie-Patenten und schnelle Grenzschließungen und Diffamierungen über vorgebliche südafrikanische Virusvarianten bei gleichzeitig deutlich sichtbareren Pandemiefolgen in Europa bieten Anlass für Demut. Insbesondere Deutschland könnte hier Zusammenarbeit aufnehmen. Nicht als kolonialer Helfer und Geber, sondern als Partner mit Sicherheitsinteressen am Austausch auf Augenhöhe auftreten. Nationale und europäische Strategien der globalen Gesundheit sollten an ein verändertes internationales sicherheitspolitisches Umfeld angepasst und mit ihnen Partner gesucht werden, um Grundlagen der globalen Gesundheitssicherheit aufrecht zu erhalten.
Früher war nicht alles besser: Gesundheitssicherheit im 21. Jahrhundert erhalten
Aufgewacht in der Polykrise ist es im Interesse der Vernünftigen, nicht hinter Fortschritte der Vergangenheit zurückzufallen. 1913 lag die Lebenserwartung bei Geburt nach UN World Population Projections noch bei nur 46,8 Jahren. Zahlreiche Impfstoffe, die gegen tödliche Erkrankungen schützen, sind erst in den letzten 100 Jahren entwickelt worden. Der neue US-Gesundheitsminister der Trump-Administration, Robert F. Kennedy, ist erklärter Impfgegner. Sowohl die „Spanische Grippe“ als auch die „Schweinegrippe H1N1“ sind in den USA ausgebrochen. Globale Gesundheit ist in der Krise. Sie braucht Aufmerksamkeit und realistische Strategien, um nicht eigentlich Selbstverständliches zu verlieren.
Maximilian Schranner ist Politikwissenschaftler und Leiter der Regiogruppe Rheinland. Er promoviert an der Universität Bonn zur Auswirkung von COVID-19 auf Kriege weltweit. Sein Dissertationsprojekt wird gefördert von der Konrad Adenauer Stiftung e.V., wo er Mitglied des internationalen Promotionskollegs „Sicherheit und Entwicklung im 21. Jahrhundert“ ist.
Bildquelle via CR Pixabay Padrinan/geralt. Eigene Zusammenstellung.
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