Weder in Bangladesch noch in Pakistan haben 2024 freie oder faire Wahlen stattgefunden – und doch haben Gänge zur Urne und Proteste auf der Straße politische Dynamiken in beiden Ländern verändert.
Ein Beitrag von Tadeus Viktor Liebhold
Wahlen, Proteste und Regierungswechsel auf dem indischen Subkontinent: Das Jahr 2024 in Bangladesch und Pakistan
Häufig vom großen Nachbarn Indien überschattet, sind Bangladesch und Pakistan doch zwei bedeutende Länder des Subkontinents. Im Zuge der Unabhängigkeit von der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien und der Teilung im Jahr 1947 entstanden Indien und Pakistan. Letzteres wurde in einen östlichen und einen westlichen Teil gespalten. Trotz signifikanter Unterschiede zwischen den beiden Landesteilen versuchte der Westen, den Osten durch politische und wirtschaftliche Dominanz zu assimilieren. Dies führte zu Spannungen und einem Unabhängigkeitskrieg, den der Osten gewann, wodurch 1971 Bangladesch als eigenständiger Staat entstand.
Trotz autokratischer Tendenzen und einem Mangel an freien und fairen Wahlen, mit denen beide Länder kämpfen, sollte die Stimme des Volkes in keinem der beiden Länder unterschätzt werden. Im Folgenden werfen wir einen Blick auf die Wahlen und andere wichtige Ereignisse in 2024.
Bangladesch: Quoten, Proteste und Flucht
Die bedeutendsten politischen Entwicklungen in Bangladesch im Jahr 2024 waren nicht das Ergebnis der Wahlen im Januar. Der Urnengang am 6. Januar zum neuen Jatiya Sangsad, dem nationalen Parlament Bangladeschs, wurde von der größten Oppositionspartei, der Bangladeshi Nationalist Party (BNP), boykottiert. Die bisher regierende Awami League unter Sheikh Hasina gewann 224 von 300 Sitzen; die übrigen Mandate gingen an „unabhängige“ Kandidat*innen – mit Verbindungen zur Awami League.
Die wirklich entscheidenden Ereignisse spielten sich im weiteren Verlauf des Jahres ab. Am 4. Juli 2024 bestätigte der Oberste Gerichtshof ein Urteil, das die Abschaffung eines Quoten-Systems im Jahr 2018 als illegal erklärte. Dieses System reserviert 30% der Posten im Staatsapparat für Nachkommen von Freiheitskämpfern des Krieges von 1971. Das unbeliebte Quotensystem, schwächelndes Wachstum und die autokratische Regierung führten vermehrt zu Protesten.
Als Reaktion auf die Proteste mobilisierte die Regierung die Bangladesh Chatri League, den bewaffneten Arm der Awami League, sowie das Rapid Action Battalion (eine paramilitärische Elitetruppe der Regierung). Diese Gruppen griffen wiederholt Protestierende an, wobei schätzungsweise 266 Menschen (hauptsächlich Student*innen) ums Leben kamen. Die Proteste und Repressalien führten zu einer Spirale der Gewalt, die am 5. August mit der Flucht Hasinas, der Auflösung des Parlaments und der Bildung einer zivilen Übergangsregierung endete. Die neue Interim-Regierung wird von Dr. Muhammad Yunus, Friedensnobelpreisträger und Ökonom, geleitet. Dr. Yunus und sein Team müssen nun eine heikle postrevolutionäre Lage meistern, die von dringend benötigtem Wirtschaftswachstum über die Organisation von Neuwahlen bis hin zu kommunaler Gewalt und geopolitischen Spannungen reicht.
Pakistan: Ein Cricket-Star und das Militär
Die Wahlen in Pakistan im Februar 2024 fanden in einer schwierigen Phase für das Land statt. Eine wichtige Rolle spielt der ehemalige Cricket-Star Imran Khan, welcher 2018 mit seiner Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) zum Premierminister gewählt wurde. Nach einer zunächst engen Zusammenarbeit mit dem Militär verlor Khan im März 2022 durch ein Misstrauensvotum im Parlament sein Amt. Ein Jahr später folgten Festnahme, Freilassung, erneute Festnahme und schließlich eine Verurteilung im August 2023, welche allerdings weiterhin rechtlich nicht vollends geklärt ist. Im Wahlkampf 2023/24 wurde seine Partei eingeschränkt und Khan durfte nicht kandidieren. Darüber hinaus untersagte der Oberste Gerichtshof der Partei ihr Symbol, den Cricket-Schläger, auf Wahlzetteln darzustellen – ein schwerer Rückschlag in einem Land mit einer Analphabetenrate von 40 %.
Es schien, als stünde dem Wahlsieg der bevorzugten Partei des Militärs, der Pakistan Muslim League (N), kurz PML-N, nichts mehr im Weg. Doch am 8. Februar und in den folgenden Tagen wurde klar, dass sich das Militär verkalkuliert hatte. Von der PTI unterstützte Kandidat*innen gewannen 93 von 266 Parlamentssitzen und wurden zur stärksten Kraft vor der PML-N und der Pakistan People’s Party (PPP), die dem Militär näher stehen.
Obwohl PTI-Kandidat*innen viele Stimmen erhielten, blieb ihnen die parlamentarische Mehrheit verwehrt, sodass das Mandat zur Regierungsbildung an die PML-N und die PPP ging. Trotz der letztlich militär freundlichen Regierung ist dieses Wahlergebnis von großer Bedeutung. Es zeigt, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung durch PTI-unterstützte Kandidat*innen gegen den Status quo und gegen die Macht des Militärs gestimmt hat.
Unerwartete Dynamiken und die Stimme des Volkes
2024 war als Jahr der (versuchten) Selbstbestimmung sowohl für Pakistan als auch Bangladesch wegweisend. Obwohl die Wahlen in beiden Ländern weder fair noch frei waren, führten politische Bewegungen an der Urne und auf der Straße zu unerwarteten Ergebnissen, die viele Fragen für die Zukunft beider Nationen aufwerfen und gleichzeitig viele Chancen bieten. Im Jahr 2025 werden Yunus Reformen und angesetzte Neuwahlen sowie Polarisierung und Gewalt in Pakistan politische Dynamiken in beiden Ländern weiter prägen.
Tadeus Viktor Liebhold ist Bachelor Student der Politikwissenschaften an der Sciences Po Paris mit einem Schwerpunkt auf den Indo-Pazifik und Europa. Er ist momentan Austauschstudent an der Thammsasat University in Bangkok und zeitgleich Ko-Programmleitung von connectingAsia.
Bildquelle via Lara Jameson auf Pexel
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