Polisblog
13. Januar 2025

Wahlen in Japan – Das Ende der Stabilität?

Während es in vielen demokratischen Staaten vergangenes Jahr aufgrund der Unzufriedenheit mit Amtsinhabern zu Regierungswechseln gekommen ist, war bis zur Unterhauswahl im Oktober 2024 unklar, ob diese Welle auch das in den vergangenen Jahrzehnten überaus stabile japanische Parteiensystem erreichen würde. Die Antwort auf diese Frage: Es ist kompliziert. 

Ein Beitrag von Lars Feyen

Die konservative Liberaldemokratische Partei (LDP) konnte als klassische Catch-All-Partei seit dem Regierungswechsel von 2012 mithilfe des kleinen buddhistischen Koalitionspartners Komeito mehr oder weniger durchregieren. Ein Wahlsystem, das vor allem die von der LDP dominierten ländlichen Wahlkreise bevorteilte, und eine seit dem Zusammenbruch der Demokratischen Partei (DP) heillos zerstrittene Opposition sorgen verlässlich für Mehrheiten. Obwohl die LDP, mit der Ausnahme von insgesamt vier Jahren, seit den 1950ern ununterbrochen in der Regierung und zuletzt wenig beliebt war, konnte sie sich mit einer so einfachen wie effektiven Formel durchgehend an der Macht halten: Die innerparteiliche Wahl eines neuen Vorsitzenden, der dann automatisch Regierungschef wird, geht einer von diesem neuen Regierungschef ausgerufenen vorgezogenen Neuwahl voraus. Die neue Regierung hat, so die herrschende Logik, in Umfragen grundsätzlich einen „Neuheitsbonus“ und genießt relativ gute Zustimmungsraten, die für ein stabiles Ergebnis an den Wahlurnen sorgen. Eine zerstrittene Opposition tut ihr Übriges.

Zuerst sah es im Frühherbst auch so aus, als ob diese Rechnung erneut aufgehen könnte: Bei der Wahl zum LDP-Vorsitz sollte ein Nachfolger für den außenpolitisch erfolgreichen, aber in der Bevölkerung unbeliebten Premier Kishida Fumio gefunden werden. Die beiden aussichtsreichsten Kandidierenden: Die erzkonservative politische Ziehtochter des ehemaligen Langzeitpremiers Abe Shinzo, Takaichi Sanae, und der gemäßigte, durch seine unprätentiöse Art scheinbar beliebte Ishiba Shigeru. Ishiba, bekennender Otaku und Zug-Enthusiast, konnte sich letztendlich durchsetzen und rief für Ende Oktober Neuwahlen aus. Zudem war nicht erkennbar, dass die Oppositionsparteien im großen Stil Allianzen für bestimmte Wahlkreise schmieden und so vom Unmut über Inflation und andere Verfehlungen der LDP-Regierung profitieren würden.

Doch spätestens am Wahlabend war klar: Die LDP-Regierung würde eine eigene Mehrheit verfehlen. Nicht einmal mit den Sitzen der Komeito war eine Mehrheit in Sicht (Komeito musste sogar einen neuen Parteichef wählen, weil der kurz zuvor gewählte Vorsitzende seinen Sitz im Unterhaus verlor). Die größte Oppositionspartei, die Konstitutionell-Demokratische Partei (KDP), konnte gerade in ehemaligen Hochburgen der alten DP stark hinzugewinnen. Große Erfolge konnte auch die zentristische Demokratische Volkspartei (DVP, wie die KDP ehemals Teil der alten DP) verzeichnen.

Die Niederlage konnte Ishiba jedoch auch dank der zerstrittenen Opposition in ein für Japan erstaunlich innovatives Modell umwandeln: LDP und Komeito regieren nun mit einer Minderheit der Sitze, dafür gibt es für Abstimmungen eine Absprache mit der DVP. Letztere kann so eine ungeahnte Kontrolle über den Haushalt und andere strategische Fragen ausüben, ohne offiziell Teil der Regierung zu sein. Andere Oppositionsparteien, etwa die in Osaka beheimatete populistische Nippon Ishin no Kai, könnten der Regierung ebenfalls Stimmen für relevante Abstimmungen zur Verfügung stellen.

Das Ergebnis zeigt: Auch in Japan wurde die Regierung abgestraft. Dennoch bleibt die LDP weiterhin die dominierende politische Kraft. Gerade außenpolitisch ist weiterhin mit einem harten Kurs gegenüber China zu rechnen. Eine noch engere Kooperation mit den USA, NATO und anderen gleichgesinnten Partnern in strategischen sowie eine intensive Rüstungspolitik könnten auch in den kommenden Jahren fortgesetzt werden. Wie lange das derzeitige Arrangement funktionieren wird, bleibt die große Frage, die die japanische Politik in den kommenden Monaten, und eventuell Jahren, dominieren dürfte.

Lars Feyen hat Internationale Beziehungen, Romanistik und East Asian Studies in Erfurt, Tokyo und Groningen studiert und anschließend als Journalist gearbeitet. Danach hat er bei der Europäischen Kommission ein Blue Book Traineeship absolviert und ist derzeit als Referent im Auswärtigen Amt in Berlin tätig. Bei Polis180 ist er im Vorstand für die Bereiche Podcasts und Vereinsrecht zuständig.

Bildquelle via Unsplash

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