- Deutschlands internationale Verantwortung wird jetzt größer. Es braucht Debatten über seine Gestaltungsspielräume.
- Die aktuellen Krisen können Veränderungen anstoßen. Dies geschieht jedoch nicht ohne Impulse.
- Inneres und Äußeres müssen in der aktuellen Lage mehr zusammengedacht werden.
- Inklusivität macht Außenpolitik resilient.
Ein Blogbeitrag von Etienne Höra und Lena Wittenfeld
In weniger als 70 Tagen ist Bundestagswahl. Wie Weltpolitik in Zukunft aussieht, steht dabei nicht zur Wahl – wohl aber, wie Deutschland sich in dieser Welt verhält, und wie es versucht, die Welt durch seine Außenpolitik zu gestalten. In Zeiten, in denen die Grundfesten internationaler Ordnung erschüttert werden, ist eine breite, informierte und inklusive gesellschaftliche Debatte hierzu notwendiger denn je: um neue, bessere Lösungen zu finden, aber auch, um eine möglichst breite gesellschaftliche Unterstützung zu ermöglichen und Außenpolitik resilient zu machen. Gleichzeitig verkürzen sich mit der Wahlkampfphase die Argumentationen, und wichtige außenpolitische Themen wie Frieden und Sicherheit werden als polarisierende Buzzwords instrumentalisiert. Außenpolitik muss um- und neu gedacht werden – auch, aber bei weitem nicht nur im Wahlkampf.
- Deutschlands internationale Verantwortung wird jetzt größer. Es braucht Debatten über seine Gestaltungsspielräume.
Genau wie Demokratie auf Demokrat*innen angewiesen ist, die sie erhalten und verteidigen, braucht die regelbasierte multilaterale Ordnung Staaten, die sie stützen. Deutschland will und soll einer dieser Staaten sein; diese Aufgabe wird aber in den nächsten Jahren größere Anstrengungen erfordern, ob in Bezug auf Sicherheit, Klima, Gerechtigkeit oder Gleichheit. In diesem internationalen Umfeld ist Deutschland ohnmächtig und mächtig zugleich: Allein wird es globale Trends nicht umkehren können. Jedoch gilt trotz aller Probleme im Inneren und Äußeren weiterhin, dass Deutschland als weiterhin wichtiger globaler Akteur Koalitionen zusammenbringt sowie mit Wissen und Ressourcen zur Lösung internationaler Herausforderungen beitragen kann, insbesondere im multilateralen System. Diese Rolle und die Verantwortung, die sich daraus ergibt, sollten im Wahlkampf nicht zum blinden Fleck werden – nicht zuletzt, weil sich auch die für Deutschland so wichtigen Partnerschaften, in Europa und darüber hinaus, darauf stützen.
Deutschlands außenpolitische Rolle wurde auch in früheren Bundestagswahlen sichtbar, etwa in der 2002 intensiv geführten Debatte um eine mögliche Beteiligung Deutschlands am Krieg gegen den Irak. Und doch war Außenpolitik noch nie so entscheidend für den Ausgang einer Bundestagswahl wie heute. Diverse internationale Krisen und Kriege verschärfen sich, die Sicherheit in Europa muss nach den Präsidentschaftswahlen in den USA und vor dem Hintergrund der andauernden Aggression Russlands neu organisiert werden; die Klimakrise und ihre Auswirkungen schweben bedrohlich über allem. All das beeinflusst den Wahlkampf, die Rhetoriken und die umliegenden Diskussionen – wie es etwa in der Verhandlung der ‘Kanzlerkandidatenfrage’ der SPD sichtbar wurde. Im Wettbewerb der Parteien geht aber eine Erkenntnis unter: Der internationale Gestaltungsspielraum der nächsten Bundesregierung wird begrenzt sein. Wie etwa Russland im Krieg gegen die Ukraine agiert, wird in Moskau entschieden, und auch eine “besonnene” Politik ist keine Garantie gegen eine weitere Eskalation. Es ist gefährlich, mehr zu versprechen, als Außenpolitik leisten kann und Hoffnungen zu wecken, die nicht erfüllt werden können. Damit deutsche Außenpolitik unter den neuen Bedingungen erfolgreich sein kann, ist es entscheidend, ein breit geteiltes Verständnis für die Möglichkeiten und Grenzen dieser Außenpolitik zu entwickeln und Richtungsdebatten auf dessen Grundlage zu führen.
- Die aktuellen Krisen können Veränderungen anstoßen. Dies geschieht jedoch nicht ohne Impulse.
Die internationale Politik Deutschlands steht vor dieser Bundestagswahl unter einem enormen Veränderungsdruck, insbesondere durch die Wiederwahl Donald Trumps, welche die transatlantische Zusammenarbeit nicht nur in der Sicherheitspolitik grundlegend in Frage stellt. Aktuelle Herausforderungen sind kaum mit einem punktuellen Nachbessern entlang der bisherigen Politik zu bewältigen; sie erfordern transformative Veränderungen in den Institutionen, aber auch in der breiten Gesellschaft und in deren Zusammenwirken. Wie diese Transformationen aussehen können, muss gemeinschaftlich und wertebasiert verhandelt werden.
Die Erfahrungen der letzten Jahre haben aber auch deutlich gezeigt, dass das Aufmerksamkeitsfenster, in dem diese Veränderungen stattfinden können, begrenzt ist. Vom anfänglichen Momentum der “Zeitenwende” ist fast drei Jahre danach wenig übrig geblieben. Auch aktuelle Diskussionen, die Verteidigungsausgaben gegen den Sozialstaat abwägen, laufen an der historischen Frage vorbei, die sich jede zukünftige Bundesregierung stellen wird: Wie kann eine freie, offene und demokratische Gesellschaft für ihre Sicherheit sorgen, ohne dabei ihren Zusammenhalt und ihre Menschlichkeit zu verlieren? Und wie kann Sicherheit im Hinblick auf existenzielle Krisen wie die Klimakrise als ‘menschliche Sicherheit’ gedacht werden? Sicher ist: Dies kann nur gelingen, wenn die Gestaltungschancen der Krise tatsächlich genutzt werden.
- Inneres und Äußeres müssen in der aktuellen Lage mehr zusammengedacht werden.
Äußere Ereignisse wie der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Energiekrise haben immer stärkere Auswirkungen auf den Alltag vieler Menschen – bis hin zum Kassenzettel im Supermarkt. Gerade hier wird deutlich, dass globale Krisen, Auseinandersetzungen und Entwicklungen nicht nur zunehmend Einfluss auf außenpolitische Entscheidungen Deutschlands haben, sondern auch auf innenpolitische Entwicklungen und Entscheidungsprozesse. Dieses Ineinandergreifen von Innen und Außen verändert die politische Landschaft in Deutschland. Diese Veränderung nicht proaktiv zu begleiten und zu gestalten birgt erhebliche Risiken. Dass hier lange eine künstliche Trennung bestand, schadet aktuellen Debatten: Wer eine Welt gewohnt ist, in der internationale Politik in (unerreichbar wirkenden) Silos stattfindet, entwickelt nur selten ein Interesse, konstruktiv mitzugestalten, wird getroffene Entscheidungen weniger verstehen oder annehmen und ist besonders anfällig für populistische Narrative, die zusätzlich auch aus dem Ausland angeheizt werden. In einem immer komplexeren internationalen Umfeld sind außenpolitisch mündige Bürger*innen eine entscheidende Ressource für Demokratien. Genauso entscheidend wird es deshalb sein, die Dynamik von Desinteresse und Lethargie mit neuen Visionen umzukehren.
- Inklusivität macht Außenpolitik resilient.
In Zeiten grundlegender Veränderungen in der internationalen Ordnung wird ein einseitiger Blick auf die Welt zum Sicherheitsrisiko. Ein Beispiel hierfür ist die deutsche Russlandpolitik der 2010er Jahre: Hier entsprach eine Einseitigkeit in den Inhalten – der Fokus auf die Wirtschaftsbeziehungen und das weitgehende Ausblenden von Sicherheitsrisiken und Demokratieabbau – einer Einseitigkeit in den gehörten Stimmen. Warnungen vor einem zunehmend aggressiven russischen Imperialismus, etwa aus Polen, den baltischen Staaten und der Ukraine, aber auch aus der russischen Opposition im Exil, wurden auch nach der Annexion der Krim nicht gehört und Nord Stream II als “wirtschaftliches Projekt” unverdrossen weiterverfolgt. Auch jenseits von Krieg und Frieden ist Außenpolitik auf Wissen, Perspektiven und Verbindungen in der Gesellschaft angewiesen – besonders relevant sind hier die Perspektiven von Personen und Gruppen, die im politischen Diskurs oft marginalisiert werden, etwa wenn es um die Neugestaltung der Beziehungen mit den Staaten im sogenannten Globalen Süden geht. Zu kurz gegriffen wäre es deshalb, Außenpolitik stärker zu politisieren, also stärker an öffentlicher Meinung und am Wettbewerb der politischen Parteien auszurichten. Vielmehr geht es um offene Räume, in denen Deutschlands gesellschaftliche Vielfalt Platz hat, und in denen gerade nicht nur die lautesten und privilegierten Stimmen gehört werden. Zentral hierfür ist die Idee der feministischen Außenpolitik: Auf ihrer Grundlage tritt Deutschland weltweit für die Gleichstellung der Geschlechter und marginalisierter Gruppen sowie für die Überwindung von Diskriminierung ein. Damit geht aber auch einher, historische Machtstrukturen zu hinterfragen und durch inklusive und gerechtere Entscheidungsprozesse eine gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen zu fördern, Ressourcen gerecht zu verteilen und gleiche Rechte für alle Menschen durchzusetzen – und so nach innen wie nach außen zu Gerechtigkeit und Frieden beizutragen. Feministische Außenpolitik ist kein “Zauberstab”, der alle Schwierigkeiten beseitigen kann – wie auch Baerbock betonte – vielmehr macht ihre Implementierung als normativer, rechtsbasierter und intersektionaler außenpolitischer Ansatz (strukturelle) Dynamiken der Marginalisierung von Perspektiven sichtbar und bearbeitbar. Diese Sichtbarmachung ist unumgänglich für die Veränderung der Außenpolitik: hin zu mehr Inklusivität und für die Öffnung von außenpolitischen Räumen, in denen gleichberechtigte Partizipation und Dialoge zwischen diversen Akteur*innen auf Augenhöhe stattfinden können.
Eine wirklich inklusive Außenpolitik, die verschiedene, vielfältige Perspektiven, Gruppen und Interessen einbezieht, ist also nicht nur “nice to have” oder normativ wünschenswert, sie ist auch resilienter und krisenfester und ermöglicht nachhaltigere Lösungen. Eine inklusive Gestaltung der Außenpolitik stärkt darüber hinaus die Legitimität und Akzeptanz politischer Entscheidungen, fördert demokratische Werte und den sozialen Zusammenhalt und macht Außenpolitik greifbar – gerade auch in Krisenzeiten.
Und wie geht es nun weiter?
Die aktuellen Krisen verdeutlichen, dass Außenpolitik neu gestaltet werden muss. Mit der anstehenden Bundestagswahl 2025 wird diese Neugestaltung gleichzeitig auch möglich – aber diese Chance muss auch ergriffen werden. Bei Polis180 machen wir Außenpolitik aus zivilgesellschaftlicher, junger Perspektive sichtbar und zeigen auf, warum außenpolitische Debatten stärker mitgedacht und breiter geführt werden müssen – kritisch-konstruktiv, partizipativ und an den Graswurzeln. Zur Bundestagswahl generieren wir in verschiedenen Teilprojekten Wissen, analysieren Narrative und schaffen Räume zum Austausch. So machen wir Außenpolitik greifbar und zeigen, wie sie aus der Gesellschaft heraus und inklusiver gestaltet werden kann.
Etienne Höra ist Präsident von Polis180. Hauptberuflich arbeitet er an der Schnittstelle von Handel, Sicherheit und europäischer Außenpolitik.
Lena Wittenfeld (sie/ihr) ist Präsidentin von Polis180 und Co-Programmleitung des Programms “Gender und Internationale Politik”. Hauptberuflich ist Lena als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Bielefeld tätig, wo sie u.a. an einer Dissertation zur Feministischen Außenpolitik schreibt.
Bildquelle via Pixabay.
Polis Blog ist eine Plattform, die den Mitgliedern von Polis180 & OpenTTN zur Verfügung steht. Die veröffentlichten Beiträge stellen persönliche Stellungnahmen der AutorInnen dar. Sie geben nicht die Meinung der Blogredaktion oder von Polis180 e.V. wieder.
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