Polisblog
9. November 2024

Veranstaltungsbericht | Strategien gegen Rechtspopulismus und -extremismus: Lehren aus den Zivilgesellschaften Europas 

Am 17. September 2024 veranstaltete das Programm „(Un-)Making Democracy“ von Polis180 eine virtuelle Podiumsdiskussion zum Thema Strategien gegen Rechtspopulismus und -extremismus in Europa, moderiert von Sophia Carlotta Dimer. Die Veranstaltung bot eine Plattform für den Austausch über die unterschiedlichen Ansätze, die Zivilgesellschaften in Deutschland und in Polen entwickelt haben, um dem Aufstieg der extremen Rechten entgegenzuwirken. Dabei standen insbesondere die Strategien zur Mobilisierung und zum Protest gegen diese Entwicklungen im Fokus. 

In vielen europäischen Ländern sind Parteien der extremen Rechten auf dem Vormarsch, und ihre Diskurse verschieben die Grenzen des Sag- und Machbaren. Besonders betroffen sind Akteur*innen der pro-demokratischen Zivilgesellschaft, die sich für Vielfalt, Teilhabe und gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit einsetzen. In Deutschland verdeutlichte eine Studie des Dezim-Instituts von 2022, dass die Handlungsspielräume zivilgesellschaftlicher Organisationen zunehmend eingeschränkt werden – ein Phänomen, das als „Shrinking Spaces” bekannt ist. Dies erlebt die Zivilgesellschaft in Polen, beispielsweise dadurch, dass die PiS-Regierung die Gewaltenteilung unterminiert. Die Veranstaltung war Teil der Reihe „Zivilgesellschaft gegen Rechtsaußen – Lehren für und aus Europa“, die sich mit der Frage nach Handlungsstrategien von Zivilgesellschaften in den Ländern Europas beschäftigt. 

Die Speaker*innen waren:

Dr. Teresa Völker ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und forscht zu politischer Kommunikation, Parteien und Protest in Demokratien. Zuvor arbeitete sie im WZB Protestmonitoring des Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung und am Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG). In ihrer Dissertation an der Freien Universität Berlin beschäftigte sie sich mit der Normalisierung der extremen Rechten und den Auswirkungen von islamistischer und rechtsextremer Gewalt auf die öffentliche Meinung und politische Debatten. Sie absolvierte ihren Master in Sozialwissenschaften an der Humboldt Universität zu Berlin und ihren Bachelor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit Auslandsaufenthalten am King’s College London, der Università degli Studi di Milano und der University of Oslo.

und

Paul Naumann studierte Internationale Organisationen und Krisenmanagement, Völkerrecht, Soziologie und Slawistik in Deutschland, Polen und Frankreich. Als Programmleiter für Demokratie und Menschenrechte bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau koordiniert Paul Forschungsarbeiten, Berichte und die Zusammenarbeit mit Projektpartnern. In seinem Engagement für die deutsch-polnischen Beziehungen konzentriert sich Paul Naumann darauf, die Verbindungen auf zivilgesellschaftlicher Ebene zu stärken.

Dr. Teresa Völker diskutierte die beispiellose zivilgesellschaftliche Mobilisierung gegen Rechtsaußen im Frühjahr 2024. Im Januar 2024 habe es bereits mehr Proteste gegeben als in jedem anderen Monat seit den 1950er Jahren. Völker erklärte, dass die Wirksamkeit solcher großen Demonstrationen von mehreren Schlüsselfaktoren abhänge. Diese umfassten Trigger-Ereignisse, konkrete Forderungen und eine klare Erzählung als entscheidend, um öffentliche und mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Weitere wichtige Faktoren seien die Sichtbarkeit und Reichweite des Protests, die es ermöglichten, breite gesellschaftliche Bündnisse zu mobilisieren und in den Alltag vieler Menschen hineinzuwirken. Auch die Dauer der Mobilisierung sei wesentlich für die Nachhaltigkeit des Engagements, bis hin zur Entstehung sozialer Bewegungen. Dies sei im Frühjahr 2024 nicht gelungen, da konkrete gemeinsame Forderungen gefehlt hätten. Sie betonte, dass wirksame Proteste durch Stabilität von Bündnissen und durch deren Fähigkeit zur Überwindung interner und externer Herausforderungen charakterisiert seien, etwa durch Solidarität in und zwischen Organisationen.

Paul Naumann beleuchtete die Strategien der polnischen Zivilgesellschaft. Er unterstrich, dass die Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen in Polen 2023 einen historischen Höchststand erreicht habe, was teilweise auf intensives bürgerschaftliches Engagement zurückzuführen sei. Naumann hob hervor, dass die effektive Nutzung sozialer Medien eine Schlüsselrolle gespielt habe, um populistischen Narrativen und gezielt verbreiteten Unwahrheiten mit Fakten entgegenzuwirken und Themen zu setzen. Zudem sollten sozioökonomische und klimapolitische Herausforderungen sowie Ziele stärker adressiert und öffentlich diskutiert werden. Die Bildung breiter Koalitionen unter den Oppositionsparteien, bei der ideologische Differenzen zugunsten einer starken gemeinsamen Plattform zurückgestellt würden, erwies sich in Polen als entscheidend. Großveranstaltungen wie Campus Polska und Polandrock sowie Großdemonstrationen seien weitere wichtige Elemente zur Stärkung der Zivilgesellschaft und Demokratie. Darüber hinaus betonte Naumann die Bedeutung grenzüberschreitender Solidarität, um internationale Unterstützung zu mobilisieren, gemeinsame Strategien zu entwickeln und frühzeitig vor negativen Entwicklungen zu warnen, die in anderen Ländern bereits fortgeschritten seien. Diese Ansätze könnten auch in Deutschland von Nutzen sein, insbesondere um die Rechtsstaatlichkeit vor Angriffen zu schützen.

In der Diskussion wurden die Erkenntnisse aus den Erfahrungen in Deutschland und Polen zusammengeführt. Teresa Völker betonte die Notwendigkeit, die Debatte zu erweitern und nicht nur auf nationale Besonderheiten zu fokussieren. Deutschland betrachte sich noch zu sehr als Sonderfall, was das Lernen aus anderen Kontexten verhindere. Sie wies darauf hin, dass Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit entscheidend für politische Veränderungen seien. Paul Naumann ergänzte, dass die Vernetzung und Zusammenarbeit in apolitischen Kontexten im Alltag, etwa Sportvereinen, wichtig sei, um politische Themen offen zu diskutieren. Beide Referent*innen stellten fest, dass eine transnationale Vernetzung der demokratischen Bewegungen erforderlich sei, um gemeinsame Herausforderungen effektiver zu bewältigen.

Veranstaltungsbericht: Lara Franken & Etienne Höra

Veranstaltungsorganisation: Sophia Carlotta Dimer, Etienne Höra & Lara Franken

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