13.12.2023
von Moritz Lohmann und Jonas Nitschke
Präsidentschaftskandidat Ko Wen-je erscheint auf dem Papier aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Bürgermeister von Taipeh als äußerst geeignet für das Amt. Ähnlich wie der ehemalige taiwanische Präsident Chen Shui-Bian, der von 2002 bis 2008 im Amt war, und anderen Präsidenten der KMT-Partei, darunter Lee Teng-Hui, hatte er ebenfalls als Bürgermeister der Hauptstadt gedient.
Ko Wen-je zeichnet sich jedoch in taiwanischen politischen Kreisen als recht unorthodoxer und unkonventioneller Politiker aus. Im Gegensatz zu einer traditionellen politischen Karriere ist er ein Arzt, der einen Großteil seiner Berufslaufbahn im nationalen Krankenhaus der National Taiwan University (NTU) verbrachte, wo er für Organtransplantationen verantwortlich war. Während dieser Zeit erlebte er hautnah einen AIDS-Skandal in Taiwan aufgrund politischen Missmanagements bei nationalen Transplantationskontingenten.
Seine politische Bühne betrat Ko im Jahr 2014 mit einer medienwirksamen Rede bei den Bürgermeisterwahlen in Taipeh. Obwohl er parteilos war, entschied er sich, an der parteiinternen Vorwahl der DPP teilzunehmen und überraschte alle, indem er alle anderen Kandidaten besiegte. In der eigentlichen Bürgermeisterwahl setzte er sich gegen den amtierenden KMT-Bürgermeister Taipehs, Sean Lien, mit einem Stimmenanteil von 57:43% durch und wurde vier Jahre später mit ähnlichem Erfolg wiedergewählt.
Vor der Präsidentschaftswahl 2020 gründete er die taiwanische Volkspartei (TPP), die darauf abzielt, den Einfluss der beiden großen Parteien in Taiwan zu begrenzen und deren technokratische Regierungsweise einzudämmen. Ko genießt besonders bei jungen Wählern Popularität und erreicht mit medienwirksamen Aktionen wie Livestreams und Instagram-Interviews eine breite Wählerschaft. Auch bei anderen Altersgruppen in ländlichen Regionen kommt er mit seinen PR-Aktionen relativ gut an. So machte der damals 56-jährige im Jahr 2017 große Schlagzeilen damit, dass er die 520 km lange Strecke entlang der westlichen Küstenlinie von Taiwan in weniger als 30 Stunden mit dem Rad zurücklegte. Trotz seiner Erfolge hat er jedoch mit den typischen Herausforderungen eines Drittkandidaten zu kämpfen, insbesondere in einem von zwei großen Parteien dominierten System vergleichbar mit dem US-amerikanischen Parteiensystem.
Die Aussichten von Ko Wen-je bei den Wahlen im Januar sind dennoch vielversprechend. Er verfügt über substanzielle Regierungserfahrung, eine charismatische Persönlichkeit und eine starke mediale Präsenz. Allerdings stehen ihm auch Herausforderungen wie begrenzte Ressourcen für den Wahlkampf und überraschende politische Allianzen im Weg. Ein Beispiel war die kurzzeitige Ankündigung einer Kooperation mit der KMT. Zur großen Überraschung der Öffentlichkeit folgte jedoch ein rascher Sinneswandel – wohl weil seine Mutter ihm eine solche Allianz verboten hatte.
Weiterhin dürfte die Person Ko selbst das wahrscheinlich größte, möglicherweise auch einzige Argument für die Wahl der taiwanischen Volkspartei TPP sein, weitere Punkte des Wahlprogramms stechen nicht übermäßig heraus. Da seine Partei noch klein und neu ist, hat sie nicht die Möglichkeit, überall in Taipeh in der großen Präsenz aufzutreten, die andere Parteien vor Ort zeigen können. Umfragen zeigen eine Zustimmung von etwa 20 Prozent, was besser ist als die meisten anderen Drittkandidaten – aber immer noch weit entfernt von einer realistischen Chance auf das Präsidentenamt.
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Bildquelle: Frederik Schmitz
Moritz Lohmann studiert China-Wissenschaften an der Freien Universität Berlin und ist im Vorstand von Polis180 für Programme und Community zuständig. Er studierte 2019 für ein halbes Jahr an der National Taiwan University.
Jonas Nitschke arbeitet derzeit für eine politische Stiftung in Brüssel und ist Mitorganisator des Young Indo-Pacific Forum 2022 gewesen, das junge Menschen aus Asien und Europa zusammenbringen soll. Darüber hinaus engagiert er sich als Vorstandsmitglied und im Regionalprogramm connectingAsia bei Polis sowie als EU-Delegierter für den Y20 Summit on Youth in Democracy and Governance.
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