Polisblog
7. April 2023

Wie die georgische Zivilgesellschaft für eine demokratische Zukunft kämpft

Bereits Ende 2022 sorgten das von der parlamentarischen Mehrheitsbewegung „Volksmacht“, initiierte Gesetz „Über die Transparenz ausländischer Einflussnahme“ und die Registrierungspflicht „ausländischer Agenten“ für große Meinungsverschiedenheiten und Unzufriedenheit in der Bevölkerung Georgiens. Am 6. März 2023 folgten auf die Verabschiedung des Gesetzentwurfs in erster Lesung im Rechtsausschuss des georgischen Parlaments Massendemonstrationen in der Hauptstadt Georgiens, mit der Forderung „No to the Russian law“. Der Artikel analysiert die Ereignisse, die sich in den darauffolgenden Tagen in Georgien abgespielt haben, die Bedeutung und Auswirkung des Gesetzes im Land und warum georgische Zivilist*innen dagegen protestieren.

 

Eine Analyse von Nina Abashidze

 

 

Massenproteste in Georgien: „No to the Russian law“.

Gemeinsam mit der Ukraine und der Republik Moldau stellte Georgien 2022 ein Beitrittsgesuch für die Europäische Union, erhielt jedoch, anders als die beiden anderen Länder, eine Absage. Die Bedenken der Union und ihrer Mitglieder bezüglich der georgischen Demokratie wurden noch verstärkt durch einen kürzlich von der Regierungskoalition hervorgebrachten Gesetzesentwurf, durch den die Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft mit europäischen Partnern stark eingeschränkt würde. Seither demonstrieren vor allem junge Georgier*innen auf den Straßen von Tiflis für die europäische Zukunft ihres Landes. Am 6. März 2023 fand eine Sitzung des Rechtsausschusses des georgischen Parlaments statt, auf deren Tagesordnung die erste Lesung des Gesetzentwurfs zur „Transparenz ausländischer Einflussnahme“ und des Gesetzentwurfs „Über die Registrierung ausländischer Agenten“ stand. Diese Entwürfe wurden von den Ausschüssen für auswärtige Beziehungen und Verteidigung und Sicherheit des Parlaments geprüft und unterstützt. Die Gesetzesinitiative wurde von  Abgeordneten der „Volksmacht“ eingebracht, die in einem Bündnis mit der Regierungspartei „Georgischer Traum“ sind.

Dies löste am 6. März in Georgien Massenproteste aus, mit der Forderung „No to the Russian law“. Die zentrale Forderung der Bevölkerung war, diesen Gesetzentwurf aus dem Parlament zurückzuziehen. Begründet wurde dies damit, dass dieses Gesetz die euro-atlantische Integration Georgiens verhindern würde. Am Abend des 7. März entwickelte sich der Protest zu einer Konfrontation zwischen Zivilist*innen und Polizeibeamt*innen, die Behörden errichteten Barrikaden gegen die Demonstrierenden vor dem Parlamentsgebäude in Tiflis und setzten Pfefferspray, Wasserwerfer und Tränengas ein, um die Demonstration aufzulösen. Diese Zusammenstöße führten zur Festnahme von 134 Personen. Während drei Tagen voller Konfrontationen und Auseinandersetzungen gab die Regierungspartei nach der Parlamentssitzung nur eine Erklärung ab: Der Vorsitzende der Regierungspartei in Georgien, Irakli Kobachidse, warf der Opposition in seiner Rede Provokation vor. Er erklärte, dass dies kein russischer Gesetzentwurf sei und dass der Gesetzentwurf auch in der US-Verfassung zu finden sei. Die US-amerikanische Kommission über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (Helsinki-Kommission)  wies diese Aussage zurück, kritisierte dabei die georgische Führung und sprach über die negativen Auswirkungen der Gesetzgebung nach russischem Vorbild auf sogenannte ausländische Agenten. 

Am 9. März kündigte die Regierungspartei „Georgischer Traum“ zusammen mit der „Volksmacht“ an, den Gesetzentwurf aus dem Parlament zurückzuziehen. Laut der Erklärung sei es ein Etikettenschwindel gewesen, diesen Gesetzentwurf als „russisches Gesetz“ zu bezeichnen. Außerdem hätten radikale Kräfte es geschafft, einige Jugendlichen in illegale Aktivitäten bzw. in gewalttätige Aktionen gegen die Polizei zu verwickeln. Die Regierungspartei lobte die Strafverfolgungsbeamten für ihre Geduld bei der Reaktion auf die Gewalt. Des Weiteren werde die Regierung nach der  Unterdrückung dieser Rebellion aktiv auf die Bevölkerung zugehen, um die Bedeutung dieses Gesetzes für das Land zu erklären. Gleichzeitig fand die zweite Lesung für das „Russische Gesetz” statt. Der von der Volksmacht initiierte Gesetzentwurf wurde ohne Diskussion zur Abstimmung gestellt. 35 Abgeordnete stimmten dagegen, einer unterstützte ihn. Dimitri Khundadze, einer der Autoren des „russischen Gesetzentwurfs”, sagte, dass die Gesellschaft „eine Chance verpasst hat“, indem sie dieses Gesetz nicht angenommen hat.

Aktuell hat sich die Lage in Georgien beruhigt. Die Bürger*innen konnten durch ihren Protest demokratische Werte und den Weg zur europäischen Integration verteidigen. Die oben genannten Aussagen in der Erklärung der Regierungspartei geben den Bürger*innen jedoch leider kein Gefühl des endgültigen Sieges – sie sehen immer noch die Gefahr, die von dieser Initiative ausgeht.

 

Der Inhalt der Gesetzentwürfe:

 

1. Gesetzentwurf : „Zur Transparenz fremden Einflusses“

Um „Transparenz zu gewährleisten“, sieht der genannte Gesetzentwurf vor, nicht-unternehmerische (nicht kommerzielle) juristische Personen und Medienunternehmen, deren Einkünfte (zu mehr als 20%) aus dem Ausland stammen, als Agent*innen ausländischer Einflussnahme zu registrieren und verpflichtet sie außerdem, die Erklärung jedes Jahr aufs Neue auszufüllen. Dieser Gesetzentwurf gibt den bevollmächtigten Beamt*innen des Justizministeriums das Befugnis, über den Beginn des Monitorings zu entscheiden. Der Zweck besteht darin, den Einfluss des ausländischen Agent*innen zu identifizieren. Die Beamt*innen können die gesetzlich vorgeschriebenen Informationen einholen, einschließlich persönlicher Informationen, wenn ein „angemessener Hinweis auf einen bestimmten ausländischen Agenten“ vorliegt. Wenn eine Organisation  die Registrierung als Agent unter ausländischem Einfluss verweigert oder die Erklärung nicht ausfüllt, wird sie mit einer Geldstrafe von 25.000 GEL (ca. 9.050 €) belegt. Der Entwurf sieht auch die folgenden Arten von Geldbußen vor: – 10.000 GEL (3.600€), wenn die Organisation das Antragsformular nicht innerhalb von 10 Arbeitstagen nach dem Eintrag auf der Website des Justizministeriums ausfüllt; im Falle der Nichtbehebung von Mängeln in den Dokumenten innerhalb der angegebenen Frist – 10.000 GEL; Begehen einer Straftat innerhalb von einem Monat – 20.000 GEL (7.200€)).


2. Gesetzentwurf: „Über die Registrierung ausländischer Agenten“

Was den zweiten Gesetzentwurf „Über die Registrierung ausländischer Agenten“ betrifft, so ist unter Berücksichtigung des besagten Gesetzentwurfs jede natürliche und juristische Person, die Finanzmittel aus dem Ausland erhält, verpflichtet, sich als ausländische Agent*in zu registrieren. Die Nichterfüllung oder nicht ordnungsgemäße Erfüllung der im Gesetz „Über die Registrierung ausländischer Agenten“ festgelegten Verpflichtung führt zu einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit und wird mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren geahndet. Dem Projekt zufolge sind Körperschaften, die laut Gesetzentwurf die Kriterien erfüllen, ein Vertreter einer ausländischen Macht zu sein, verpflichtet, sich an den Generalstaatsanwalt zu wenden und die Registrierung als Vertreter einer ausländischen Macht zu beantragen. Das genannte Gesetz gilt nicht für Diplomat*innen, Konsul*innen sowie Angestellte eines diplomatischen Dienstes und konsularischer Einrichtungen. Das Gesetz gilt auch nicht für Beamt*innen eines fremden Landes und Personen, die sich an gemeinnützigen, religiösen, erzieherischen, wissenschaftlichen, akademischen oder künstlerischen Aktivitäten beteiligen.

 

Gesetz über „Agenten mit ausländischem Einfluss“: Europäische Praxis und Georgien

Bereits Ende 2022 reichte die parlamentarische Mehrheitsbewegung „Volksmacht“ die Initiative zum Gesetz „Zur Transparenz fremden Einflusses“ und zur Registrierungspflicht von “ausländischen Agenten” ein. Als Zweck dieses Gesetzes wurde die nationale Sicherheit genannt. Daraufhin führte „The Institute for Development of Freedom of Information (IDFI)“ eine Studie zu den voraussichtlichen Auswirkungen dieses Gesetzes durch. Diese Feststellungen orientieren sich am Beispiel der Prüfung von ähnlichen Gesetzesentwürfen in Ungarn.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in der Entscheidung ECOFENCE AND OTHERS v. RUSSLAND erklärt, dass das Gesetz, das im Land einen „dämpfenden Effekt“ auf die Aktivitäten der Zivilgesellschaft entfalte, in seiner ungerechten Auslegung den von der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierten Rechten widerspreche. Gesetze in Bezug auf „ausländische Agenten“ verstoßen nicht nur gegen die Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsäußerung, sondern auch gegen die Grundprinzipien der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Die 10-jährige Anwendung dieses Gesetzes in Russland ist ein klares Beispiel dafür, wie die Behörden  mit dem Vorwand von „Transparenz“ gegen politische Gegner vorgegangen sind. Die negativen Auswirkungen dieses Gesetzes auf das Land und dessen demokratische Entwicklung haben sich deutlich in der Schwächung der Zivilgesellschaft manifestiert.

Wie bereits angedeutet, ist die Initiative dieses Gesetzes in der europäischen Praxis am Beispiel Ungarns zu finden. Dieses Gesetz folgte dem russischen Weg durch die Einführung der Verpflichtung zur „Transparenz“ am 18. Juni 2020. Allerdings befand der Europäische Gerichtshof (EuGH) nach einer Klage der Europäischen Kommission diesen Rechtsakt für unvereinbar mit den Grundprinzipien der Europäischen Union. Infolgedessen war Ungarn aufgrund der Aktivierung des Rechtsstaatsmechanismus’ der Europäischen Kommission gezwungen, den Entwurf zurückzuziehen. Der Europäische Gerichtshof erklärte, dass das Gesetz über ausländische Agenten gegen Artikel 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verstoße, der sich auf den freien Kapitalverkehr innerhalb der EU bezieht, sowie auch gegen Artikel 12 der EU-Charta der Grundrechte, der sich auf die Vereinigungsfreiheit konzentriert. Darüber hinaus zwangen die EuGH-Entscheidung und das von der Europäischen Kommission eingeleitete Verfahren Ungarn dazu, die obligatorische Registrierung und Kennzeichnung von NGOs abzuschaffen. Hinzu kommt die Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: Das Gesetz über ausländische Agenten, am Beispiel der Russischen Föderation, verstoße gegen Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der die Vereinigungsfreiheit schützt. An dieser Stelle sei angemerkt, dass der EuGH neben der rechtlichen Seite die Vergabe des Titels „ausländischer Agent“ an Nichtregierungsorganisationen und deren Registrierungspflicht unter diesem Titel als besonders problematisch erachtet.

Gemäß der Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 17. Juni 2022 bezieht sich von den 12 vorrangigen Aufgaben insbesondere die 10. vorrangige Aufgabe auf die Stärkung von Nichtregierungsorganisationen und die Sicherstellung ihrer Beteiligung auf allen Entscheidungsebenen . Wenn wir nun alle oben aufgeführten Faktoren sowie die Tatsache berücksichtigen, dass es in keinem EU-Land Gesetze gibt, die Nichtregierungsorganisationen den Status eines „ausländischen Agenten“ verleihen, wird es offensichtlich, dass ein solches Vorhaben ein Hindernis für Georgiens Status als EU-Beitrittskandidat bedeutet.

Auch wenn die Abstimmung im georgischen Parlament für ein erstes Aufatmen unter den Demonstrierenden und ihren lokalen wie ausländischen Partnern gesorgt hat, ist klar, dass der Kampf noch lange nicht gewonnen ist. Die politische Dauerkrise des Landes ist ein Machtkampf alter Eliten, bei denen das Volk als Verlierer dasteht. Seit Beginn des russichen Angriffskrieges auf die Ukraine gewinnen zudem die engen Verbindungen georgischer Oligarchen nach Russland eine neue Relevanz für die politische Ausrichtung des Landes. Für die pro-demokratischen Demonstrierenden derweil steht fest – die Proteste werden weitergehen.




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Bildquelle via unsplash.com

 

Nina ist in Georgien geboren und aufgewachsen. 2016 kam sie nach Berlin und hat 2021 ihr Studium der Politikwissenschaften (Bachelor of Arts) an der Freien Universität Berlin abgeschlossen. Sie ist aktuell als Team-Assistentin bei Republic Affairs GmbH tätig.




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