Nicht erst seit Donald Trump bewegen sich die Parteiensysteme in Deutschland und den USA in entgegengesetzte Richtungen: Im Zuge asymmetrischer Polarisierung haben sich die US-Republikaner zunehmend radikalisiert, gleichzeitig streben die deutschen Parteien kollektiv in die Mitte. Überparteilichkeit in der transatlantischen Zusammenarbeit wird dadurch zunehmend erschwert.
Ein Beitrag von Robert Fisher
Am 14. Oktober durften wir im Rahmen unserer Reihe „Polis kocht!“ Stefan Liebich willkommen heissen. Die Veranstaltung mit dem außenpolitischen Sprecher der Linksfraktion im Bundestag stand unter dem Titel „Teamwork statt Tweetstorm“ ganz im Zeichen der transatlantischen Beziehungen und der zivilgesellschaftlichen Transatlantik-Kooperation.
Hier offenbarte sich ein hochinteressanter Wandel im Amerikabild der deutschen Linken. Liebich, der in seiner Fraktion ohnehin als weit überdurchschnittlich offen gegenüber den USA gilt, sieht Bernie Sanders oder Alexandra Ocasia-Cortez als linke Identifikationsfiguren, die es zuvor in dieser Form nicht gab.
„Es tut sich eine Menge auf dem Linken Rand der Demokratischen Partei. (..) Wir sind gut beraten, wenn wir diese Entwicklung zur Kenntnis nehmen. Unser politisches Spektrum in Deutschland ist breit und gerade wir als Linke in Deutschland haben ein Interesse daran, progressive Kräfte in den USA zu unterstützen.“ (Stefan Liebich bei “Polis kocht!” am 14.10.)
Diese Erkenntnis ist sehr verständlich: Zwar stand und steht auch Barack Obama sowohl gesellschafts- als auch wirtschaftspolitisch erkennbar links der Mitte, vor allem im Lichte der neu aufgekommenen Bewegung wirkt er jedoch dezidiert moderat und für die deutsche Linkspartei wenig anschlussfähig.
Neben seiner außen- und verteidigungspolitischen Ausrichtungen lässt sich dies gut am Beispiel Obamacare beobachten. Während der (damals zugegebenermaßen bahnbrechende) Affordable Care Act das zuvor bestehende Regime im Wesentlichen durch eine Versicherungspflicht (individual mandate) und ein System von Ausgleichszahlungen für GeringverdienerInnen ergänzt, wollen Bernie Sanders oder Elizabeth Warren eine von Grund auf neue und universal gültige gesetzliche Krankenversicherung einführen.
Die neuen linken Führungsfiguren der Demokraten, die mit den Linken teilweise auch das Bekenntnis zum demokratischen Sozialismus teilen, schlagen damit sowohl inhaltlich als auch diskursiv andere Töne an.
Oftmals wird diese Entwicklung in Kombination mit der zunehmenden Radikalisierung der republikanischen Abgeordneten insgesamt als Polarisierung von Gesellschaft und Parteiensystem verstanden. Hier sollte allerdings dringend differenziert werden: Die stattfindende Polarisierung ist eindeutig asymmetrisch.
Das lässt sich in der ersten Grafik erkennen, in der Eamon Caddigan die Spanne der NOMINATE-Werte beider Parteien zwischen 1931 und 2016 visualisiert hat. NOMINATE ist ein von Keith T. Poole und Howard Rosenthal entwickelter Index, der mit Hilfe multidimensionaler Skalierung die ideologische Ausrichtung von Abgeordneten anhand ihres Abstimmungsverhalten abbildet.
Grafik 1: Eamon Caddigan via Rpubs
So ergibt sich in der dynamischen und gerichteten Variante DW-NOMINATE ein Wert zwischen -1 (maximal liberal), 0 (moderat) und 1 (maximal konservativ). Die Abgeordneten beider Parteien bewegen sich in ihrem Wahlverhalten zunehmend auseinander.
Während historisch gesehen viele Entscheidungen überparteilich getroffen worden sind, und es in der Vergangenheit durchaus konservative Demokraten und liberale Republikaner gab, sind die Berührungspunkte mittlerweile gänzlich verschwunden. Trotzdem sollte betont werden, dass die Abweichung der republikanischen Abgeordneten erkennbar stärker ist.
Dies ergibt sich vor allem aus Grafik 2, in der neben der gesamten Reichweite auch die Entwicklung des jeweiligen Medianwert der Abgeordneten beider Parteien abgebildet ist.
Grafik 2: Eamon Caddigan via RPubs
Auf qualitativer Ebene ist der Unterschied in der relativen Radikalisierung beider Parteien offensichtlich. Während die progressiveren Demokraten sich vor allem durch das Eintreten für eine stärkere sozialpolitische Umverteilung, eine größere Distanz zum Privatsektor und ein entschlossenes Eintreten für Antidiskriminierungsmaßnahmen auszeichnen, sind unter Republikanern mittlerweile offene Bekenntnisse zum Nationalismus oder die öffentlichkeitswirksame Diffamierung von ganzen Organen der eigenen Regierung oder Qualitätsmedien salonfähig.
Im Vergleich mit dem deutschen Parteiensystem ergibt sich durch die asymmetrische Polarisierung ein völlig anderes Gesamtbild als noch vor 10 Jahren. Während die US-Republikaner zunehmend radikaler geworden sind, ist die CDU durch Entscheidungen wie die Aussetzung der Wehrpflicht, dem Atomausstieg, der Einführung des allgemeinen Mindestlohns oder zuletzt der Ehe für Alle merklich moderater geworden und regiert in mehreren Bundesländern vergleichsweise reibungslos mit den Grünen.
Mit den Republikanern unter Donald Trump eint sie kaum mehr etwas. Neben erkennbaren Unterschieden in der innenpolitischen Ausrichtung trennt sie allen voran das zunehmend unsichere Verhältnis der Republikaner zur kollektiven Verteidigung im Rahmen der NATO, zum Freihandel und zur multilateralen Kooperation im Allgemeinen. Eine Kooperation der beiden Parteien – wie beispielsweise als 2015 der damals aussichtsreiche Präsidentschaftsaspirant Jeb Bush den Wirtschaftstag der CDU besuchte – wäre heute kaum denkbar.
Die gegenläufigen Polarisierungsbewegungen führen zu der paradoxen Situation, dass sich zwischen Bernie Sanders und Alexandra Ocasio-Cortez auf der einen, und Joe Biden oder Pete Buttigieg auf der anderen Seite nahezu das gesamte demokratische Parteienspektrums der Bundesrepublik wiederfinden könnte. Gleichzeitig ist die Entsprechung des republikanischen Mainstreams in der deutschen Parteienlandschaft heute nicht mehr die CDU, sondern allenfalls die AfD.
Für transatlantische Kooperation auf zivilgesellschaftlicher Ebene ergibt sich indes neue Herausforderungen. Ist der Anspruch auf Überparteilichkeit im Angesicht immer neuer Grenzüberschreitungen noch haltbar? Ist die Zurückhaltung im Sinne der Neutralität und Nichteinmischung ein notwendiges Übel im Zeichen der transatlantischen Verbundenheit?
Inzwischen ist die Entfremdung zwischen der US-Administration und der demokratischen Parteienlandschaft auch unausgesprochen deutlich spürbar, dass ein “weiter so” undenkbar scheint. Parteien und zivilgesellschaftliche Organisationen in Deutschland müssen eine neue Position finden, die an den Errungenschaften der transatlantischen Beziehungen festhält, aber – gerade auch deswegen – die zunehmende Radikalisierung der republikanischen Regierung ernst nimmt.
Das ist auch die Sichtweise unseres Gastes Stefan Liebich, der es bereits im November letzten Jahres wie folgt formulierte: „Als LINKE kämpfen wir weiter gegen die extremen Rechten in den USA und gegen die Trump-Regierung. Aber wir sind nicht „gegen Amerika“, sondern stehen weiter an der Seite derer, die für friedlichere und gerechtere Vereinigte Staaten eintreten.“
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Bildquelle: Felix Schulz