Wie in Umfragen vorhergesagt, hat die PiS in den polnischen Parlamentswahlen mit einem großen Vorsprung von knapp 16 Prozent zur Bürgerkoalition die Mehrheit erreicht. Wie wird sie jetzt ihre beträchtlichen Wahlversprechen umsetzen? Und bleibt das Verhältnis zu Brüssel und Berlin weiterhin angespannt?
Ein Kommentar von Ricarda Lindau
Ein kaum überraschender Sieg
Den Wahlsieg der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) haben alle Umfragen vorhergesagt. Weniger entscheidend als Programmatik waren nun Details am Wahltag: die WählerInnenmobilisierung der einzelnen Parteiblöcke sowie die Sitzverteilung im Sejm, die nach polnischem Wahlrecht üblicherweise für große Parteien vorteilhaft ausfällt.
Thematisch spielten die Vorwürfe der EU über einen drohenden Demokratieabbau kaum eine Rolle, viel diskutiert waren hingegen Sozialprogramme und ideologische Themen wie das Bild der traditionellen Familie. Dass die Regierungspartei dafür von verschiedensten Seiten kritisiert wurde, zeigt auch, dass sich polnische Parteien nicht in ein klassisches Rechts-Links-Schema einordnen lassen, was ausländische Medien häufig zu Fehleinschätzungen verleitet.
Nach dem offiziellen Endergebnis erreicht die PiS 43,6 Prozent und kann damit 235 der 460 Parlamentssitze einnehmen. Diese Mehrheit sichert ihr vier weitere Jahre an der Macht, ohne auf einen Koalitionspartner angewiesen zu sein. Für eine verfassungsändernde Mehrheit reicht dies jedoch nicht.
Eine wichtige Nachricht des Abends: Die Wahlbeteiligung hat mit 61 Prozent einen historischen Rekordwert in den drei Jahrzehnten der freien Wahlen erreicht. Junge WählerInnen von 18 bis 29 Jahre machten jedoch mit nur 46 Prozent am wenigsten von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Während das klassische Stadt-Land-Gefälle auch bei diesen Wahlen bestehen bleibt, löst sich die Trennung in das sogenannte Polen A und B (reicher, liberaler Westen und ärmerer, konservativer Osten) auf.
Die Opposition erringt nur noch in einer Wojewodschaft eine Mehrheit. Zeitgleich wurde auch die zweite Kammer, der Senat, gewählt. Hier verlor die PiS ihre Mehrheit und besetzt nun 48 der hundert Sitze. Der Senat verfügt allerdings über weniger Befugnisse als beispielsweise der deutsche Bundesrat.
Was folgt auf die großzügigen Wahlgeschenke?
Die erste Rede auf der Wahlparty der PiS hält Jarosław Kaczyński. Seitdem sein Zwillingsbruder und Mitbegründer der Partei beim Flugzeugabsturz in Smolensk starb, leitet er die Partei allein. Doch einen Regierungsposten hatte er in den vergangenen vier Jahren nicht inne und alles deutet darauf hin, dass er auch in der kommenden Legislaturperiode offiziell nur als einfacher Abgeordneter agieren wird.
Kaczyński wird ein großer Strauß Rosen überreicht, so groß, dass sie ihm fast die Sicht auf seinen Premierminister Mateusz Morawiecki versperren. Dieser darf nach ihm das Wort ergreifen. Morawiecki, der smart und moderat auftritt, verkörpert all die Erfolge und Widersprüche der PiS: Er hat fleißig Wahlkampf auf dem Land betrieben. Dort haben die Leute endlich das Gefühl, dass die wirtschaftlichen Erfolge bei ihnen ankommen (das Wirtschaftswachstum während der Finanzkrise hat noch die Vorgängerregierung verbucht).
Doch kann er ebenso wortgewandt im schicken Anzug auftreten und zerredet dabei die Kritik der EU an den institutionellen Reformen in Warschau. Zensur in den öffentlich-rechtlichen Medien, Verlust der Unabhängigkeit der Justiz, schleichende autoritäre Maßnahmen – was in Brüssel und Berlin mit Sorge betrachtet wird, hat sich die Opposition gar nicht getraut, im Wahlkampf anzusprechen.
Der Opposition fehlt die Strahlkraft
Der größte Block der Opposition war die sogenannte Bürgerkoalition (KO), ein Parteienbündnis unter Führung der Bürgerplattform PO. Die Partei, die vormals von Donald Tusk angeführt wurde, stellte bis 2015 für acht Jahre die Regierung. Ein wirklicher Kurswechsel war in den Jahren der Opposition nicht zu beobachten. Dabei wäre dieser bitter nötig gewesen, denn die sogenannte “Abhöraffäre”, die die PO 2015 zu Fall brachte, machte sie in den Augen vieler Polen zu einer arroganten Machtelite.
Grzegorz Schetyna (der bisherige Parteiführer der Bürgerplattform, also der größten Oppositionspartei im aktuellen Sejm) galt als profillos und unnahbar, sodass als Kandidatin zur Premierministerin kurz vor den Wahlen die Vize-Sejmmarschallin Małgorzata Kidawa-Błońska aufgestellt wurde. Sie wählte einen gemäßigteren Ton an, aber mit ihrem geringen Bekanntheitsgrad konnten keine Stimmen gewonnen werden.
Traditionell eine typische Partei der Mitte scheiterte die KO an der tiefer werdenden Spaltung der polnischen Gesellschaft, ohne dabei einer Seite eine überzeugende Botschaft vermitteln zu können. Nur in den liberalen Hochburgen der Großstädte siegte sie. Landesweit kommt die KO auf 27,4 Prozent.
Lewica vereinigt alle linken Strömungen – von den neuen LGBTQ-freundlichen Kräften der Wiosna (Frühling) Partei bis hin zu den ehemaligen Kommunisten der SLD. Doch Themen wie gleichgeschlechtliche Partnerschaften begeistern nur eine Minderheit der polnischen WählerInnen. Mit 12,6 Prozent wurde hier wahrscheinlich alles Potenzial ausgeschöpft.
Die als „Bauernpartei” bezeichnete PSL schloss sich mit der Bewegung des Rocksängers Paweł Kukiz zusammen. Doch konkurrierten sie mit der PiS um eine ähnliche Wählerschaft: Landbevölkerung und Konservative. Mit 8,6 Prozent ziehen sie dennoch in den Sejm ein.
Als weiteren Wahlsieger kann sich das nationalistische Lager Konfederacja rund um Janusz Korwin-Mikke wähnen. Bei den Europawahlen im Mai scheiterte die Partei noch an der Fünf-Prozent-Hürde. Seitdem bleiben dem Europaparlament frauenfeindliche Ausfälle des polnischen Politikers erspart. Seine Partei, in Umfragen vorab noch unter 5 Prozent, zieht nun mit knapp 6,8 Prozent ins Parlament ein.
Sozialprogramme für das polnische Volk
Beobachter sind sich uneins, was stärker zu den Erfolgen der PiS beigetragen hat: ihr linkes Sozialprogramm, das nun vielleicht in einen wirklichen Wohlfahrtsstaat ausgebaut wird, oder ihr Patriotismus, der direkt auf Geschichts- und Kulturpolitik einwirkt. Im vergangenen Wahlkampf wurden muslimische Flüchtlinge als Bedrohung inszeniert, nun ist es die „Ideologie des Regenbogens“ gegen die sich die traditionelle polnische Familie verteidigen muss.
Im Ausland kritisierte Maßnahmen wie die Justizreform werden als notwendig dargestellt, um staatliche Institutionen von kommunistischen Seilschaften zu befreien. Tatsächlich existierende Schwächen des Justizwesens gestaltet die Regierungspartei zum eigenen Vorteil um.
Außerdem konnte die PiS 2019 auch damit werben, eine Partei zu sein, die ihre Wahlversprechen einlöst: Das Kindergeld 500+, die Senkung des Renteneintrittsalters und die 13. Monatsrente sind alles Erfolgsmodelle der Partei, die sie aus dem andauernden Wirtschaftswachstum finanziert. Auch die Oppositionsparteien hätten im Falle eines Wahlsieges daran festgehalten.
Mehr Wohlfahrtsstaat, mehr Nationalstaat?
Im nächsten Jahr stehen in Polen Präsidentschaftswahlen an. Noch ist unklar, ob Donald Tusk in die heimische politische Arena zurückkehrt. Dennoch ist zu vermuten, dass die PiS bis zu diesen Wahlen ihre erfolgreiche Taktik der vergangenen Jahre fortsetzt: Unliebsame Reformen werden zurückgehalten, finanziell attraktive Programme rasch umgesetzt.
Die PiS-Regierung setzt auf gute Zusammenarbeit mit Washington D.C. Trump schickt wie versprochen Soldaten nach Polen. Gegenüber Brüssel und Berlin werden wohl weiter kritische Töne zu hören sein; die Vertragsverletzungsverfahren von Seiten der EU laufen weiter. Gegenüber Deutschland gibt es nicht nur Reparationsforderungen, auch könnte die PiS nun gegen unabhängige Medien vorgehen, von denen viele deutschen Verlagsgruppen gehören.
Der Mord am Danziger Bürgermeister Paweł Adamowicz auf offener Bühne in diesem Jahr galt vielen als der hässlichste Ausbruch der gegenseitigen Verachtung, die Polen inzwischen spaltet. Versöhnliche Töne sind auf allen Seiten nur selten zu hören. Olga Tokarczuk, frisch gekürte Literatur-Nobelpreisträgerin, widmete ihre Auszeichnung dem polnischen Volk. Es wäre ihm zu wünschen, dass sich seine PolitikerInnen ihren Aufruf zu mehr Demokratie zu Herzen nehmen.
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Ricarda hat Internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Osteuropa in Krakau, Berlin und Tartu studiert. Seit Kurzem unterstützt sie bei Polis180 den Programmbereich Perspektive Ost.