Anerkennung, Vertrauen und Autorität sind wichtige Attribute der politischen Führung. Gleichzeitig ist das Misstrauen der Bevölkerung längst zur Normalität geworden. Doch inwiefern sind Hillary Clinton und Donald Trump davon betroffen?
Ein Beitrag von Kaloyan Halachev
Politische Führung und politisches Vertrauen: Zwei Seiten der Medaille?
In ihrem viel beachteten Buch Thinking About Leadership schreibt Nannerl O. Keohane, „leadership has something to do with power, but it cannot simply be a synonym for holding power”. Die renommierte US-Politikwissenschaftlerin verweist dabei auf die Bedeutung von jenen wichtigen Eigenschaften, die Führungspersönlichkeiten ausmachen. Immerhin, so Keohane, ‘leaders determine or clarify goals […], make decisions […] and bring energies together to accomplish those goals’. Doch neben der Legitimität ist die feine Ausgewogenheit zwischen Misstrauen und Vertrauen gegenüber den politischen Führungseliten eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Funktionieren der Demokratie. Und was passiert, wenn das nicht der Fall ist? Die Demokratie büßt an Wahlbeteiligung ein und die Souveränität im Staat verliert an Bedeutung.
„Die Imperative der Marktwirtschaft haben die Politikgestaltung durchdrungen, was dazu führt, dass der Bürger und die Bürgerin heute zwar eine neue Regierung, aber keine neue Politik wählen kann.“
Im Würgegriff des Misstrauens
In einer Umfrage des führenden Markt- und Meinungsforschungsinstituts ‚Gallup‘, platzierten im Juni 2015 AmerikanerInnen unter mehreren US-Institutionen ausgerechnet den Kongress auf den letzten Platz, das heißt weniger als 9% betrachten diese Institution als vertrauenswürdig. Viel erstaunlicher aber ist es, dass den US-BürgerInnen Banken und Konzerne glaubwürdiger erscheinen als die demokratisch gewählte Legislative. Etwas paradox oder?
Nicht unbedingt, meint Ivan Krastev. In seinem Buch In Mistrust We Trust: Can Democracy Survive When We Don’t Trust Our Leaders?, sinniert der bulgarische Philosoph und Politikwissenschaftler über die Vertrauenskrise zwischen BürgerInnen und Führungseliten und stellt eine radikale Transformation der Demokratie fest: „The nature of dependency has changed„. Die Politik hat sich der Wirtschaftslogik untergeordnet. Die Imperative der Marktwirtschaft haben die Politikgestaltung durchdrungen, was dazu führt, dass der Bürger und die Bürgerin heute zwar eine neue Regierung, aber keine neue Politik wählen kann. Demnach ist es logisch, dass das Vertrauen gegenüber politischen Führungskräften und Regierungsinstitutionen schwindet, meint Krastev. Die Frage des Vertrauens ist eine Frage der Macht. Auch wenn bürgerliche Rechte und Freiheiten weiterhin unberührt bleiben. „We have lost our power to influence decision making„, fasst der Autor zusammen. Pessimismus und Verärgerung dominieren die politische Landschaft. Die Konsequenzen zeigen sich ganz aktuell in den USA.
Flucht statt Widerstand
In der auch heute noch sehr lesenswerten Abhandlung über Exit, Voice and Loyalty, diskutiert der US-Soziologe und Volkswirt Albert O. Hirschman die Reaktionsmöglichkeiten auf einen Leistungsverfall im politischen System. Eine der interessantesten Schlussfolgerungen von Hirschman ist, dass BürgerInnen entweder durch Abwanderung bzw. Flucht (exit) oder Protest (voice) auf Missstände im politischen Leben reagieren. Die Wirkungsweise der Exit-Option im gesellschaftspolitischen Sinne erfolgt, indem ein großer Anteil der WählerInnen bei Unzufriedenheit die Parteipräferenz wechseln oder zu NichtwählerInnen konvertieren, um eine oder mehrere etablierte Parteien dazu zu bewegen, ihr ‚Angebot‘ zu verbessern. Dadurch wird zwar ein stilles Signal ausgesandt, das das Vertrauensverhältnis zerstört, jedoch bleibt weiterhin offen, woran das liegt und was genau stattdessen wünschenswert wäre. Die Voice-Option, im Sinne von kollektivem Widerspruch und aggregierter politischer Handlung würde zwar den geschilderten Gordischen Knoten durchschlagen, aber gerade diese Option bleibt häufig ungenutzt.
Die atomisierte Gesellschaft
Laut Albert O. Hirschmann sind US-BürgerInnen dazu geneigt, eher die Flucht-Option als die Voice-Option zu ergreifen. Das resultiert aus dem amerikanischen Verständnis für Erfolg. „Success – or, what amounts on to the same thing, upward social mobility – has long been conceived in terms of evolutionary individualism„, erklärt er. Dass das Gemeinwohl nicht so sehr im Fokus steht, sagt auch Ivan Karsten, „now the individual either takes his freedom for granted or believes that he can defend them on his own„. Deswegen konnte eine “progressive economic agenda” wie sie von Bernie Sanders vorgeschlagen wurde, keine ausreichende Mobilisierungskraft entfalten.
Stattdessen gewann Hillary Clinton im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der US-DemokratInnen, auch wenn 21% der AmerikannerInnen ihre Persönlichkeit vor allem mit Eigenschaften wie ‚dishonest, liar and poor character‘ verbinden. Macht nichts! Mehr von Nachteil ist es offenbar, als Sozialist in Erscheinung zu treten. Vor einem Jahr erklärten sich nur 47% der AmerikanerInnen bereit, ihre Stimme für einen Sozialisten abzugeben. Ein Jahr später gelang es Bernie Sanders, 1828 von 4031 Delegiertenstimmen (ausschließlich der Stimmen der Superdelegierten) also genau 45% zu gewinnen.
„Verteidigung nach innen und außen sowie knallharte monetäre Politik sind hoch im Kurs, während sozialpolitische Themen nicht so präsent sind.“
Politische Vertrauenskrise zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Die Vertrauenskrise verhindert einerseits die Entstehung einer starken Führung, ruft aber gleichzeitig radikale politische Plattformen auf die Tagesordnung. Ein Name ist mittlerweile zum Synonym für diesen Trend geworden: Donald Trump. Er verkörpert einen neuartigen politischen Populismus, der als Ventil für das Misstrauen gegenüber den etablierten US-Eliten dient. Sein klar definiertes Ziel Präsident zu werden, ist Teil seiner persönlichen Selbstverwirklichung (was hat dieser Mensch nicht schon alles erreicht) und nun ist die große Politik dran, obwohl er bisher nie eine politische Position innehatte. Die von ihm vorgestellten 7 Prioritäten sind ein politisches Understatement mit Elementen von Minimalismus zugleich. Sie sehen wie eine politische Notlösung aus, können aber das Herz eines/r jeden ÖkonomIn höher schlagen lassen. Verteidigung nach innen und außen sowie knallharte monetäre Politik sind hoch im Kurs, während sozialpolitische Themen nicht so präsent sind. Nach uralter amerikanischer Tradition wird lediglich mehr Fürsorge für die KriegsveteranInnen versprochen.
Seine Kontrahentin, Hillary Clinton, hat sich andererseits mit einer Liste von 112 Prioritäten engagiert, auf der das Nichtzulassen von Donald Trump ins Weiße Haus gleich zweimal auftaucht, am Anfang und am Ende. Beide KandidatInnen haben jedoch das gleiche Problem. Laut Gallup schätzen nur knapp 33% der amerikanischen WählerInnen im Mai 2016 Donald Trump und Hillary Clinton als ‚honest and trustworthy‘ ein. Und lediglich zwischen 36% und 39% sprechen ihnen ‚strong moral character‘ zu. Tja!, würde Ivan Krastev sagen. Ritter von trauriger Gestalt, würde Miguel de Cervantes hinzufügen. Vertrauen und Autorität sehen anders aus. Erfolgsbedingungen für eine starke und reformfähige politische Führung dementsprechend auch. Sehr zutreffend ist daher die Anmerkung des österreichischen Lehrers, Dichters und Aphoristikers Ernst Ferstl, „Misstrauen ist in jeder Beziehung ein äußerst mächtiger Grundstein für einen Trümmerhaufen“.
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