Die Zivilbevölkerung im Jemen leidet, während Al-Qaida profitiert. Statt noch mehr Waffen brauche es deshalb Vermittler in der Region.
Ein Interview mit Omid Nouripour
Der Krieg im Jemen wird mit äußerster Brutalität geführt. Mittlerweile sind ähnlich viele Konfliktparteien verwickelt wie in Syrien. Nun jedoch gibt es Hoffnungen auf eine Waffenruhe und erneute Friedensverhandlungen. Polis-Mitglied Eric Schneider hat mit Omid Nouripour, dem außenpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, über die Profiteure des Konflikts und mögliche Auswege gesprochen.
Herr Nouripour, teilen Sie die Einschätzung, dass der derzeitige Konflikt im Jemen nicht sonderlich hoch auf der Tagesordnung der internationalen Öffentlichkeit steht?
Im Angesicht der großen Katastrophe, die dort gerade passiert, ist die Aufmerksamkeit tatsächlich unangemessen. Alle reden über Syrien und zwar zu Recht. Im Jemen aber brauchen täglich 21 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Das zeigt, wie groß die Not dort ist.
Die syrischen Flüchtlinge lenken die Aufmerksamkeit auf die Situation ihres Landes. Aus dem Jemen gibt es nur wenige Flüchtlinge, weil diese aus dem Land gar nicht rauskommen, während es von Saudi-Arabien in die Steinzeit gebombt wird.
Der Krieg wird von außen oftmals als Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten wahrgenommen. Greift dies nicht zu kurz?
Das ist völlig absurd. Natürlich geht es um die Huthis auf der einen Seite, die der zaiditischen Form des Schiitentums angehören. Aber vor allem geht es um Macht. Es geht um Wasserverteilung. Es geht auch darum, dass die Huthis, dass die nördlichen Teile des Landes, für die sie stehen, in den letzten Jahren immer wieder Opfer von Gewalt geworden sind und um ihre Rechte kämpfen mussten. Es geht um den alten Präsidenten, der versucht sich wieder nach vorne zu schieben, indem er die Huthis finanziert und unterstützt.
Eine weitere Dimension ist die Thronnachfolge in Saudi-Arabien. Dort gibt es den jüngsten Verteidigungsminister der Welt, der gerne Kalif anstelle des Kalifen werden will. Deshalb macht er jetzt auf sich aufmerksam, indem er massiv eskalierend in diesen Krieg eingegriffen hat. Und natürlich geht es auch um die riesige gegenseitige Paranoia der Iraner und Saudis, die mittlerweile nicht mehr nur Jemen sondern ganz viele andere Länder in der Region in Brand stecken.
Wer profitiert von dieser Polarisierung?
Es gibt einen Gewinner, und das ist Al-Qaida. Al-Qaida kontrollierte vorher schon Gebiete und Landstriche im Jemen. Mittlerweile ist Al-Qaida gut bewaffnet, auch weil die Saudis Waffen – auch deutsche Waffen – aus der Luft abgeworfen haben, damit sie die Huthis bekämpfen. Und man kann wirklich zuschauen, wie das Reich der Al-Qaida im Jemen Tag für Tag größer wird.
Können die Verhandlungen in Wien zum Syrienkonflikt als Vorbild dienen, um eine Friedenslösung im Jemen herbeizuführen?
Die Friedensverhandlungen in Wien sind bislang nicht dafür bekannt, dass sie die großen Durchbrüche herbeigeführt haben und erst recht nicht dafür, dass sie die Syrer einbezogen haben. Ob und wie das gelingen kann, ist noch offen. Das Format selbst ist als Vorbild vielleicht nicht geeignet. Aber es ist dringend notwendig, sich an einen Tisch zu setzen. Die Iraner, die Saudis und die anderen Golfstaaten auf der einen Seite und die Konfliktparteien im Jemen – vielleicht minus Al-Qaida – auf der anderen Seite.
Nach dem Atomdeal mit dem Iran wurde viel Hoffnung geschürt, dass das Land einen stabilisierenden Einfluss in der Region haben kann. Sind diese Erwarten überzogen?
Es gibt für Euphorie keinen Grund. Der Westen denkt, die Iraner sind an den Verhandlungstisch gekommen, um ein Atomabkommen abzuschließen, weil sie ökonomischen Druck hatten und mussten. Die Iraner denken, dass der Westen aufgrund der regionalen Stärke des Iran an den Verhandlungstisch gekommen ist – weil der Westen also musste. Es sitzen sich also zwei Seiten gegenüber, die sich in ihrer Politik der letzten Jahre bestätigt fühlen und keinerlei Grund sehen, ihr Verhalten zu verändern.
Wie soll daraus jetzt eine konstruktive Atmosphäre entstehen? Richtig ist, dass man natürlich jetzt versuchen muss, die Gesprächsfäden mit dem Iran aufrechtzuerhalten. Richtig ist aber auch, dass die Iraner subjektiv genau so wenig Grund haben, ihre Politik zu verändern, wie die Saudis. Und das verstärkt die gegenseitige Paranoia.
Ein weiteres Problem des Jemenkonflikts ist Saudi-Arabiens Kriegsführung mit dem Scheckbuch. Andere Länder wie der Sudan, Mauretanien und Senegal werden in den Konflikt hineingezogen und deren militärisches Engagement wird über großzügige Kredite kompensiert. Sehen Sie das kritisch?
Das ist eine große Katastrophe. Aber man sieht an einem anderen nicht besonders reichen Land, nämlich Pakistan, dass es auch anders geht. Die Pakistanis haben sich einfach geweigert, weil sie gesehen haben, dass das ein großes Problem ist, und weil sie mit sich selbst genug zu tun haben. Aber ja, es ist richtig, dass dort eine Allianz entstanden ist, die nicht in erster Linie auf Werten basiert, sondern auf der Schatzkammer des Königshauses in Saudi-Arabien.
Sie haben im Sommer gesagt, dass die Bundesregierung ihre Rolle als glaubhafter Vermittler aufs Spiel gesetzt hat. Warum?
Weil die Bundesregierung sich nicht klar genug geäußert hat, am Anfang sogar Verständnis für das Vorgehen Saudi-Arabiens geäußert hat. Deutschland hat einen sehr guten Ruf im Jemen. Jemen war jahrelang ein Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, und ist es im Rahmen der Möglichkeiten auch heute noch – das verdient großes Lob. Wenn man aber als glaubhafter Vermittler auftreten will, dann muss man auch benennen, wer die größte Verantwortung für das derzeitige Unheil trägt. Dazu ist die Bundesregierung nicht bereit.
Sie sind also von der Notwendigkeit glaubhafter Vermittler in solchen Konflikten überzeugt? Wer könnte denn – außer Deutschland – ebenfalls eine solche Rolle in der Region spielen?
Das ist zurzeit ganz schwierig. In der Region gibt es kaum jemanden der eine solche Rolle spielen könnte. Wenn dann nur noch der Oman. Der Oman ist zwar Teil des Golfkooperationsrats (GCC), aber nicht beteiligt an den Bombardements im Jemen. Er steht grundsätzlich im Verdacht, was teilweise auch so in Riad ausgesprochen wird, Agent im Auftrag des Iran zu sein. Dies wird natürlich der Unabhängigkeit des Landes nicht gerecht.
Sie haben mehrmals darauf hingewiesen, dass deutsche Kriegswaffen an Saudi-Arabien geliefert wurden, die anschließend über dem Jemen abgeworfen wurden. Wieso findet in der deutschen Waffenexportpolitik kein Umdenken statt, wenn man solche Beispiele bedenkt?
Glücklicherweise hat mittlerweile, wie wir seit einigen Wochen wissen, ein kleines Umdenken stattgefunden, indem man Heckler & Koch die Genehmigung verweigert hat, um Material für die Lizenzfertigung deutscher Kleinwaffen nach Saudi-Arabien zu liefern. Dorthin hat man noch vor weniger als zehn Jahren eine Fabrik geliefert, mit denen das Land selbst Gewehre produzieren kann. Der jetzige Schritt war unabwendbar, denn die Bundesregierung hat schwarz auf weiß bestätigt, dass eine physische Verbleibskontrolle der dort hergestellten Waffen nicht möglich ist.
Was heißt das denn eigentlich, wenn ich sowieso nicht weiß wo die deutschen Waffen am Ende landen? Wissen Sie, ich habe Riesensympathie für die Peschmerga und für deren Kampf gegen ISIS, den sie auch für uns mitführen. Wir haben denen nicht nur Panzerabwehrraketen vom Typ Milan geliefert, sondern auch 20.000 Handfeuerwaffen. Ich war vor Ort, und niemand weiß wo die Waffen sind – niemand!
Nach den Anschlägen von Paris reden wir darüber, ob es die nächste Marge gibt. Ich bin nicht sicher, ob dies so klug ist: weiter überall Waffen hinliefern, wenn ich nicht weiß, wo die Gewehre am Ende landen werden. Es gibt verschiedene Waffenlieferungen in die Region, etwa die Panzerfahrzeuge an die VAE und die Panzerhaubitzen an Katar. Die Bundesregierung kann nicht ausschließen, dass diese Waffen im Krieg im Jemen eingesetzt werden, aber sie liefert munter weiter.
Hier geht’s lang zu Eric Schneiders Analyse der Lage im Jemen, die ebenfalls auf dem Polis Blog erschienen ist.
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Bildquelle: Bildquelle: “Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen), MdB” von Gerd Seidel, Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:WLP14-ri-0371-_Omid_Nouripour_(B%C3%BCndnis_90-Die_Gr%C3%BCnen),_MdB.jpg. Lizensiert unter Creative Commons license 3.0: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode.