Das Investitionsrecht ist zum schlingernden Beiboot neben dem Kreuzfahrtschiff des nationalen Rechtssystems geworden. Manche möchten es zum Handelsdampfer umbauen, andere möchten es abwracken. Es sollte als Rettungsboot fungieren.
Ein Beitrag von Carl-Philipp Sassenrath
Das Investitionsrecht als schlingerndes Beiboot
Demokratien und deren Rechtssysteme lassen sich als großes Kreuzfahrtschiff beschreiben: Sie sind grundsätzlich stabil, sinken selten und ändern nur behutsam ihren Kurs. Nicht alle Rechtssysteme funktionieren jedoch gleich zuverlässig. Für diese Fälle wurde das internationale Investitionsrecht geschaffen. Es dient ausländischen Investoren als Absicherung, etwa gegen rechtswidrige Enteignungen durch den gastgebenden Staat – und damit als Rettungsboot, wenn das staatliche Kreuzfahrtschiff leck schlägt. Bilaterale Investitionsabkommen (Bilateral Investment Treaties – BIT) zwischen Heimatstaat und Gaststaat beinhalten dafür materielle Schutzklauseln und regeln ein Verfahren zu deren Überprüfung bzw. Durchsetzung. Zu diesem Zweck hat sich das Konzept der Schiedsgerichtsbarkeit (Investor-State Dispute Settlement – ISDS) etabliert. Wird ein Investor durch staatliche Behörden diskriminiert und/oder meint, vor staatlichen Gerichten unangemessen behandelt worden zu sein, kann er ein ISDS-Verfahren initiieren.
Nunmehr wird kritisiert, das Rettungsboot hätte sich über ein vergrößertes Beiboot nahezu bis zu einem kommerzialisierten Handelsdampfer entwickelt. Es diene nicht mehr im Kern der Rechtsabsicherung, sondern ließe sich zu leicht für rein ökonomische Interessen instrumentalisieren. Deswegen werden im Kontext rein westlicher Investitionsbeziehungen und vor dem Hintergrund funktionaler Kreuzfahrtschiffe Legitimitätsprobleme angeprangert. Das Investitionsrecht samt seines Systems der schiedsgerichtlichen Streitbeilegung ist folglich zu einem schlingernden Beiboot geraten.
Der Sinn des Investitionsrechts im westlichen Kontext
Als Rettungsboot hat das Investitionsrecht jedoch auch in den Investitionsbeziehungen rechtsstaatlich geprägter Länder durchaus seinen Sinn: Die westlichen Kreuzfahrtschiffe und ihre Rechtssysteme sind nicht vor diskriminierenden Handlungen gefeit. So gibt es Beispiele, in denen ausländische Investoren in den USA diskriminiert wurden. Vor diesem Hintergrund erscheint es aus europäischer Sicht nicht sinnvoll, auf ein investitionsrechtliches Rettungsboot in TTIP zu verzichten. Umgekehrt ist es verständlich, wenn die europäischen Partner ihrerseits Investitionsklauseln fordern. Die Rechtssysteme der europäischen Länder bieten in unterschiedlicher Weise Rechtssicherheit. Nicht umsonst hat auch Deutschland etwa ein BIT mit Rumänien abgeschlossen.
Ein Blick auf die lange Liste deutscher Investitionsabkommen und Zahl und Ausgang schiedsgerichtlicher Verfahren zeigt, in vielerlei Hinsicht scheint das Investitionsrecht grundsätzlich von großem Nutzen für die deutsche Wirtschaft zu sein. Würde TTIP gänzlich auf ein Investitionskapitel verzichten, ließen sich künftig Verhandlungspartner wohl kaum von der Notwendigkeit investitionsrechtlicher Regeln überzeugen. Im Kontext anderer Abkommen könnten wir aber deutlich dringender darauf angewiesen sein.
Wenn man aktiv die Abwrackung des Rettungsbootes forciert und damit eine Fernwirkung für das System als Ganzes ausstrahlt, schadet man mittelfristig eigenen Interessen. Mehr noch: Andere Länder modernisieren den Investorenschutz und könnten damit Reformen des globalen Investitionsschutzsystems zu ihren Gunsten beeinflussen. Die aktuelle Version der US Trade Promotion Authority bringt eine deutlich zugewandte Einstellung zum Ausdruck und auch die Trans-Pacific Partnership (TPP) enthält ein Kapitel zum Investorenschutz. Man vergäbe eine eigene Gestaltungschance zur Entwicklung eines neuen „Goldstandards“ für das internationale Investitionsrecht, die dann auch künftige Abkommen mit anderen Staaten nach europäischem Interesse prägen könnte.
Als Rettungsboot hat das Investitionsrecht einen Sinn und Zweck – auch im Kontext westlicher Handels- und Investitionsabkommen. Durch eine Modernisierung dieses Rettungsbootes muss dem System wieder zur Legitimität verholfen werden.
Die Modernisierung des Rettungsboots
Die Reparatur muss dabei sowohl an den materiellen Schutzregeln wie auch an der Ausgestaltung schiedsgerichtlicher Verfahren ansetzen. In Bezug auf Letzteres ist zunächst klarzustellen: Die bloße Installation von Schutzstandards ist zwar eine willkommene Entwicklung, würde dem individuellen Investor jedoch noch nicht das Betreten des Rettungsbootes eröffnen. Es wäre ein Rettungsboot ohne Eingangstür. Als Alternative zur Durchsetzung des Investorenschutzes blieben Staat-Staat-Verfahren.
Sie bringen jedoch die Gefahr einer Politisierung der Auseinandersetzungen mit sich, ein lähmender Effekt, der sich an den Streitbeilegungsmechanismen der Welthandelsorganisation studieren lässt. Wer besonders im deutschen Interesse fordert, dass das Investitionsrecht verstärkt kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) geöffnet werden sollte, sollte für die grundsätzliche Beibehaltung des ISDS-Systems plädieren. Dessen Schwächen müssen jedoch behoben werden, um die legitimierte Einsatzfähigkeit des Rettungsbootes herzustellen und ohne dabei das Investitionsrecht über die Eigenschaft als Rettungsboot hinaus zu einem Handelsdampfer auszubauen.
Durch einen Gerichtshof für Investitionsstreitigkeiten, wie er zunächst vom deutschen Wirtschaftsministerium und dann auch von der EU Kommission vorgeschlagen wurde, erhofft man sich, die Unwägbarkeiten und Unregelmäßigkeiten der schiedsgerichtlichen Rechtsprechung zu überwinden. Doch das bleibt nicht ohne Folgen. Ein eigenständiger Gerichtshof entwickelt im Vergleich zu einer nicht ständigen Schiedsgerichtsbarkeit eher noch ein Eigenleben und Machtstreben gegenüber nationaler Gerichtsbarkeit. Das würde dem Zweck eines modernen Rettungsbootes zuwider laufen. Nur am Rande erwähnt sei, dass die Kommission sich mit Blick auf die konkrete Ausgestaltung ohnehin wohl kaum zu mehr als einem Pseudo-Vorschlag durchgerungen hat. Die Berechenbarkeit des Investitionsrechts ließe sich eher durch die Einrichtung einer Berufungsinstanz für ISDS-Verfahren herstellen. Im Übrigen könnten die materiellen Schutzregelungen detaillierter verfasst werden, um den Schiedsgerichten für ihre Entscheidung Richtungen zu weisen. Dabei handelt es sich um einen schwierigen Prozess, dessen Fortschritte bereits in CETA besichtigt werden können.
Schließlich ist insbesondere die Beziehung zwischen investitionsrechtlicher Schiedsgerichtsbarkeit und nationaler Gerichtsbarkeit zu analysieren. Deren Ausgestaltung sichert, dass das Investitionsrecht nicht zu mehr als einem Rettungsboot werden kann. Unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten bieten sich hierfür an. Durch „fork-in-the-road“ Klauseln könnten Investoren der Zugang zu konsekutivem oder sogar parallelem und damit doppeltem Rechtsschutz durch ISDS und nationale Gerichte verwehrt werden. Nachteil dieser Lösung ist, dass der Investor unter Umständen direkt das Rettungsboot betreten könnte, ohne zunächst nationalen Gerichten die Entscheidung zu überlassen. Das könnte wiederum durch eine sogenannte „local remedies rule“ sichergestellt werden, wonach das schiedsgerichtliche Verfahren erst nach dem Betreten des nationalen Rechtsweges als Absicherung zur Verfügung steht. Hierin liegt ein Schlüsselaspekt, gegebenenfalls man möchte das Investitionsrecht für den Einsatz als Rettungsboot bereithalten. Hat man sich den Sinn des Investitionsrechts im Kontext von TTIP und ähnlichen Abkommen vergegenwärtigt, sollten fortan derartige Lösungen zur Modernisierung des investitionsrechtlichen Rettungsbootes konstruktiv debattiert werden.
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Bildquelle: “Dutch freighters or Flutes. State 2” von Wenceslas Hollar/University of Toronto, Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wenceslas_Hollar_-_Dutch_freighters_or_Flutes_(State_2).jpg. The author died in 1677, so this work is in the public domain in its country of origin and other countries and areas where the copyright term is the author’s life plus 100 years or less.