Deutschland ist in der Arktis nicht nur ein Zaungast, der sich für Forschung und Klimaschutz einsetzt. Tatsächlich besteht ein Anspruch auf aktiveres außenpolitisches Engagement. Doch wie ist der Wunsch nach „mehr Verantwortung“ zu verstehen?
Ein Beitrag von Stephan Hoare und Janus Keck
Die durch den Klimawandel bedingte Eisschmelze eröffnet der Weltwirtschaft neue Schifffahrtswege in der Polarregion und legt große Erdöl- und Erdgasreserven frei – geschätzt 20 bis 30 Prozent der weltweit verbliebenen Energiereserven. Deshalb ist die Arktis nicht nur für ihre fünf Anrainerstaaten Dänemark, Kanada, Norwegen, Russland und die USA, sondern auch für Drittländer von großer geopolitischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Sieht man einmal von den Gefahren für Klima und Natur ab, könnte die Arktis zahlreichen Ländern Energie- und Rohstoffsicherheit sowie die Kontrolle über wichtige maritime Verkehrswege verschaffen.
Obgleich seit 1998 als permanenter Beobachter im Arktischen Rat vertreten, hat die Bundesregierung lange die Entwicklung einer vorausschauenden Arktispolitik vernachlässigt. Erst die 2013 veröffentlichten Leitlinien deutscher Arktispolitik skizzieren eine ganzheitliche Arktis-Strategie und plädieren für eine gewichtigere Rolle Deutschlands im Rat.
Schwergewicht in der Arktisforschung
Gerade für Drittländer wie Deutschland ist der Zugang zu Forschungsstätten in der Arktis unabdingbar. Nirgendwo sonst sind die Folgen des Klimawandels so unmittelbar messbar, wie in dieser Region – besonders hier lässt sich der dramatische Wandel tatsächlich untersuchen. Dank einer der modernsten Forschungsflotten weltweit und Einrichtungen wie dem Alfred-Wegener-Institut (AWI) genießt die deutsche Arktisforschung international einen exzellenten Ruf. Doch der Konflikt zwischen den Anrainerstaaten um territoriale Ansprüche könnte die international anerkannten Seegrenzen auflösen und somit die deutsche Arktisforschung behindern oder gar ganz unterbinden. Dabei stellen eine Intensivierung der Wissenschaftskooperationen und die gemeinsame Nutzung von Forschungsergebnissen einen bedeutenden Anreiz für alle Parteien dar, die Arktis auch in Zukunft konfliktfrei zu halten.
Wirtschaftliche Chancen in der Arktis
Neben der Forschung heben die Leitlinien der Bundesregierung das große wirtschaftliche Potenzial hervor. In den geostrategischen Überlegungen tragen Öl und Gas aus der Arktis auch in Zukunft zur Energiesicherheit Deutschlands bei. Metalle wie Kupfer, Nickel oder Zink und Seltene Erden sollen den Rohstoffbedarf der heimischen Industrie decken. Im Gegenzug bietet Deutschland den Anrainerstaaten Technik und Know-how, die für die regionale Erschließung der Rohstoffe und für die Forschung benötigt werden. Schon heute ist die deutsche Wirtschaft eng mit den arktischen Regionen Norwegens und Russlands verflochten. Ähnlich verhält es sich mit der Schifffahrt. Für die Exportnation Deutschland bieten neue, eisfreie Schifffahrtswege handfeste wirtschaftliche Vorteile: Absatzmärkte in Asien können schneller erreicht und dabei Zeit sowie Treibstoffkosten gespart werden. Wie in der Forschung würden die territoriale Aufteilung und die dazugehörige Verstaatlichung mancher Seewege Deutschlands Handlungsspielraum in der Arktis beschränken.
Potenzieller Krisenherd Arktis
Wenngleich die multilaterale Zusammenarbeit nach Ende des Kalten Krieges insbesondere mit dem Arktischen Rat stets gut funktionierte, hat sich dieser Modus mit der Ukraine-Krise grundlegend verändert. Bereits 2014 wurden sämtliche bilateralen Militärübungen zwischen Nato-Mitgliedsstaaten und Russland abgesagt. Sowohl Russland als auch der Westen haben 2015 umfangreiche Militärmanöver durchgeführt und die Modernisierung von Teilen ihrer Streitkräfte im Hohen Norden angekündigt. Auch zeichnete sich unter dem Vorsitz Kanadas der Versuch ab, Russland im Arktischen Rat stärker zu isolieren. Angesichts des geostrategischen Anspruchs Russlands, des Ausmaßes seiner militärischen Kapazitäten, seiner überlegenen Eisbrecher-Flotte sowie seiner neuen Rolle im Syrien-Konflikt kann Russland in der Arktis aber nicht ignoriert werden.
Deutschland als Vermittler
Unter Berücksichtigung der derzeit allerorten schwelenden Krisenherde scheint die Arktis in den Hintergrund des weltpolitischen Geschehens zu rücken. Gleichwohl verdichten sich in der Polarregion zahlreiche internationale Herausforderungen wie durch ein Brennglas. Aufbauend auf den Erfahrungen aus der Ukrainekrise, den Iranverhandlungen oder dem Syrienkonflikt könnte die Bundesrepublik auch in der Arktis Verantwortung als Vermittlerin übernehmen. Gerade als allseits anerkannte Triebkraft für die Bereiche Forschung und Technologie hat Deutschland die Möglichkeit und Chance, als entscheidendes Bindeglied im Rat zu agieren und für eine nachhaltige Entwicklung der Region einzutreten. Denn eine konfliktfreie Polarregion ist auch im Interesse Deutschlands.
Du interessierst Dich für Arktis-Politik und möchtest mitdiskutieren? Dann nimm an unserer interaktiven Veranstaltung mit Eivind Vad Petersson (Norwegische Botschaft Berlin) und Stefan Steinicke (Stiftung Wissenschaft und Politik) am 26. November um 19 Uhr in der Schwarzkopf-Stiftung teil! Anmeldung unter: http://bit.ly/1Qjf7PT.
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Bildquelle: “Icebreaker, 50 Years of Victory in Franz Josef Land” von Christopher Michel, Flickr: https://www.flickr.com/photos/cmichel67/19602790630. Lizensiert unter Creative Commons license 2.0: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.en.
Stephan Hoare arbeitet als Juniorberater bei einer Berliner Kommunikationsagentur und beschäftigt sich mit Themen aus den Bereichen International Relations, Corporate Communications und Energie. Stephan hat Politik, Geschichte und Völkerrecht in München, Bergen und Quito studiert. Bei Polis180 verantwortet er die Projektgruppe Klima & Energie.
Janus Keck hat Politikwissenschaften in Aarhus, Bath und Berlin mit einem Schwerpunkt auf deutsch-nordische Beziehungen und nordische Zusammenarbeit studiert. Bei Polis 180 beschäftigt er sich insbesondere mit energie- und klimapolitischen Themen.