Polisblog
9. Oktober 2015

TTIP-Serie I: Das Symptom TTIP

Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) stößt weiterhin auf großen Widerspruch. Dabei verkennt die Politik die entscheidenden Fragen, die TTIP aufwirft.

Ein Beitrag von Manuel Tino Heller

Wer am Samstag in Berlin ist, wird nicht zum ersten Mal Zeuge, wie die GegnerInnen des umstrittenen Freihandelsabkommens TTIP tausende Menschen auf die Straßen bringen. Dies zeigt erneut, welch starkes Mobilisierungspotential das Abkommen in sich birgt.

Untersuchungen, wie die kürzlich erschienene Studie des Marktforschungsinstituts YouGov oder die EU-eigene Umfrage Eurobarometer von November 2014 zeigen, dass ein Großteil der Deutschen TTIP ablehnt. Beide Studien belegen jedoch auch, dass die Stimmung in Deutschland nicht auf andere Länder übertragbar ist, denn gemäß Eurobarometer sind 58% der EuropäerInnen für ein Freihandelsabkommen mit den USA. Abgesehen von Luxemburg, Österreich und Deutschland fänden sich in allen Mitgliedstaaten klare Mehrheiten für das Abkommen.

Entscheidend ist die Mobilisierung gegen TTIP

So eindeutig diese Zahlen scheinen, es ist notwendig, genauer hinzusehen. Die Studie von YouGov zeigt, dass Wenige überhaupt Stellung zu TTIP nehmen wollten oder konnten. Zwar positionierten sich in Deutschland 70% der Befragten zum Abkommen, in den anderen Ländern aber waren dies weniger als die Hälfte. Und während in Frankreich ein Drittel und in Großbritannien fast die Hälfte der Befragten erklärten, noch nichts von TTIP gehört zu haben, trifft das in Deutschland auf nur 16% zu. Dies erklärt auch, warum knapp die Hälfte aller für die Kampagne „Stop-TTIP“ gesammelten Unterschriften aus Deutschland kommen.

Es überrascht, dass die Außenhandelspolitik der EU auf ein solches Echo stößt. CETA, das inhaltlich ähnlich heikle Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, war während der ersten vier Jahre der Verhandlungen kaum Gegenstand medialer Aufmerksamkeit und wird erst seit Beginn der TTIP-Verhandlungen zunehmend öffentlich kritisiert.

Der Protest gegen TTIP ist deshalb mehr als eine rein technische Auseinandersetzung um den Außenhandel. So wie ein Infrastrukturprojekt zum Umbau eines Bahnhofs in einer süddeutschen Großstadt zu Massenprotesten und einer deutschlandweiten Debatte geführt hat, wirft auch TTIP grundlegendere Fragen auf. Wie „Stuttgart 21“ ist das Kürzel „TTIP“ inzwischen untrennbar mit einer Protestbewegung verbunden.

Entfremdung zwischen Bevölkerung und Politik

In Stuttgart lebten die Proteste davon, dass die Menschen das Gefühl hatten von Maßnahmen betroffen zu sein, aber gleichzeitig in ihren Anliegen nicht ernst genommen zu werden. Vor diesem Hintergrund verlor das eigentliche Bauprojekt an Bedeutung und der Protest richtete sich vermehrt gegen eine als bevormundend empfundene Koalition aus Wirtschaft und Politik.

Ähnlich wie in Stuttgart ist die inhaltliche Kritik an TTIP zwar zentral, aber weder Chlorhühnchen noch Fracking, Genmais oder die Schiedsgerichte können einen solch lang anhaltenden und breit getragenen Protest erklären. Dieser lässt vielmehr auf ein Unbehagen und eine tief empfundene Entfremdung zwischen Bevölkerung und Politik schließen. Es handelt sich dabei um ein diffuses Gefühl, zunehmend die Kontrolle über alltägliche Lebensbereiche an eine undurchsichtige und uneinsichtige Koalition der Mächtigen zu verlieren. Sturheit und Arroganz der Macht lassen Protestbewegungen dann umso mehr erstarken. Die EU-Kommission mit ihrem Image einer undemokratischen Bürokratiemaschinerie sowie der Mangel an Feingefühl und Einsicht des ehemaligen Handelskommissars Karel De Gucht passen ins Bild.

Dass die Kritik fast nur in Deutschland so laut ist, bedeutet nicht, dass die Problematik einer Entfremdung zwischen WählerInnen und Politik in anderen Ländern nicht ebenso präsent wäre. Denn Aufschrei und Schweigen sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Im einen Fall äußert sich Unzufriedenheit als Protest und Wut, im anderen resultiert sie in Resignation und Passivität.

Zeit, Lehren zu ziehen

Im Jahr 2010 schlossen sich niedersächsische Anti-AKW DemonstrantInnen den Protesten im sechshundert Kilometer entfernten Stuttgart an, um gegen die „politische Klasse“ und „Profiteure“ auf die Straße zu gehen. Dies zeigt, wie weit vermeintliche Auslöser eines Protestes in den Hintergrund rücken können. Auch die GegnerInnen von TTIP protestieren nicht nur gegen ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, sondern gegen ein „Durchregieren über die Köpfe der Menschen hinweg“ (Campact, 23.09.2013). Dies zu erkennen und entsprechende Lehren daraus zu ziehen ist die Herausforderung, der sich die Politik stellen muss. Und das ganz unabhängig davon, ob TTIP kommen wird oder nicht und wie ein solches Abkommen am Ende konkret aussieht. Es ist Zeit, das Phänomen TTIP als das anzuerkennen, was es ist: ein Symptom eines tieferliegenden Problems der repräsentativen Demokratie im Europa des 21. Jahrhunderts.


Im Rahmen einer Artikelreihe zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP widmen sich von nun an verschiedene AutorInnen auf dem Polis Blog jede Woche einem anderen Aspekt der Debatte. Nächsten Freitag, den 16. Oktober: „Wieso die Kommission ihren Kritikern eigentlich dankbar sein sollte“ von Christian Freudlsperger.

Das Polis-Blog ist eine Plattform, die den Mitgliedern von Polis180 zur Verfügung steht. Die veröffentlichten Beiträge stellen persönliche Stellungnahmen der AutorInnen dar. Sie geben nicht die Meinung der Blogredaktion oder von Polis180 e.V. wieder. Bildquelle: http://bit.ly/1Op8UC9.

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