Die europäische Außenpolitik braucht dringend einen Integrationssprung, viele Gelegenheiten für mehr Integration bleiben aber von den EU-Mitgliedstaaten ungenutzt. Polis-Mitglied Sylvia Schmidt hat darüber mit der SWP-Wissenschaftlerin Dr. Ronja Kempin gesprochen.
Ein Interview von Sylvia Schmidt
Frau Kempin, wie steht es um die außenpolitische Integration in der EU?
Man ist immer davon ausgegangen, dass auch die Außen- und Sicherheitspolitik irgendwann einen Integrations-Quantensprung machen wird. In der Sicherheitspolitik vielleicht noch eher, weil sie so kostspielig ist. Da hätte die Finanz- und Schuldenkrise durchaus ein Vehikel sein können. Die Gelegenheiten für mehr Integration sind aber nicht genutzt worden. „Transformative Elemente“, von denen wir in der Außenpolitik ausgegangen sind, haben sich im Süden mit den arabischen Umbrüchen in Luft aufgelöst. Mehr noch: Sie haben sich als Luftschlösser entpuppt und nicht als realpolitische Hebel. In der Ukraine-Krise zeigt sich im Osten genau das Gleiche. Die Erweiterungspolitik, vielleicht ein noch viel mächtigerer politischer Gestaltungshebel als die EU-Nachbarschaftspolitik, ist zum Stillstand gekommen. Die globale Regelungskompetenz der EU ist auch nicht sonderlich weit gediehen. Mit Hinblick auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik haben wir uns nie die Mühe gemacht, ordnungspolitische Vorstellungen zu entwickeln, was uns jetzt natürlich auch auf die Füße fällt.
Das klingt nach viel Arbeit für Federica Mogherini, die nun seit gut eineinhalb Jahren die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik ist. Wie bewerten Sie ihre bisherige Arbeit, gerade auch im Vergleich zu ihrer Vorgängerin Catherine Ashton?
Catherine Ashton wurde nachgesagt, kein Interesse an Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehabt zu haben, was in Teilen auch stimmen mag. Damit stellt sich die Frage, warum sich die EU-Mitgliedstaaten auf so eine Person geeinigt haben – und das erklärt vielleicht auch schon vieles über deren Bereitschaft, eine starke Person an der Spitze der gemeinsamen europäischen Diplomatie zu positionieren. Ashtons Kapazitäten waren auch durch die große Aufgabe beschränkt, den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) überhaupt erst aufzubauen. Sie hatte somit eine unglaubliche administrative Last zu tragen, von der ihre Nachfolgerin befreit ist.
Der wichtigste Unterschied ist, dass Mogherini viel sichtbarer scheint und wirklich versucht, der europäischen Außenpolitik ein Gesicht zu geben. Auch die Fehler und Shortcomings der EU-Außenpolitik hat sie gut analysiert. Sie konnte, aufbauend auf Ashtons Bemühungen, natürlich mit dem Iran-Deal relativ zu Beginn ihrer Amtszeit bereits einen Erfolg vorweisen, was Ashton mehr oder weniger verwehrt blieb. Mogherini hat sicherlich die Herausforderung zu bewältigen, eine neue EU-Russland-Politik auf die Beine zu stellen.
Mogherini wird nun bald die EU Global Strategy vorstellen. Welche Erwartungen haben Sie an dieses Papier?
So eine Strategie muss zunächst einmal klare Prioritäten benennen. Das ist ein hoher Anspruch, aber wenn die EU als internationaler Akteur weiterhin weltpolitisch Einfluss nehmen will, dann muss sie, anders als bisher, tatsächlich Schwerpunkte setzen und den Ländern, Regionen und Themen, die sie als Schwerpunkte identifiziert, ein anderes Gewicht verleihen. In einem zweiten Schritt müssen Instrumente definiert werden, um diese Prioritäten zu erreichen und bedienen zu können. Im Bezug auf eine solche Toolbox hat die EU bis heute seit dem Vertrag von Maastricht über zwei Dekaden relativ wenige Fortschritte erzielt.
Wie könnte eine solche Toolbox konkret aussehen?
Vorschläge hierzu liegen ja schon lange in den Schubladen. Gerade über den Vertrag von Lissabon haben wir sehr viele Möglichkeiten geschaffen, auch unter der Schwelle der EU-28 die Zusammenarbeit viel bedarfsgerechter zu gestalten, z.B. im Rahmen der ständigen strukturierten Zusammenarbeit. All diese Möglichkeiten wurden nicht genutzt. Hier ist auch die entscheidende Hürde der Global Strategy: Es hängt immer von der Bereitschaft der Mitgliedstaaten ab, die Vorschläge wirklich umzusetzen.
In der jüngsten Foresight-Studie der SWP haben Sie das Szenario entworfen, dass der EAD die nationalen Außenministerien ersetzt. Für wie wahrscheinlich halten Sie das? Es müssten ja wahnsinnige Hürden genommen werden.
Ziel des Foresight ist es, gegen den Strich zu bürsten und mal querzudenken. Aber eigentlich ist diese Idee überhaupt nicht kontrafaktisch, denn sie ist ja in den Verträgen so angelegt: Dass wir das Ziel verfolgen, zu einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu kommen, unsere Außenpolitik zu harmonisieren und mit einer Stimme zu sprechen. In der deutschen Politik wird das standardmäßig immer wieder betont: Deutschlands Außenpolitik zielt darauf ab, die europäische Ebene zu stärken. Wenn man dann „von hinten“ denkt, was dies in der Konsequenz bedeuten würde, nämlich sich selber zugunsten der europäischen Ebene und der Vertragsklauseln, die man unterzeichnet und ratifiziert hat, abzuschaffen – dann bläst einem doch ein eher kühler Wind ins Gesicht.
Die Schaffung eines gemeinsamen europäischen „Außenministeriums“ ist also eher unwahrscheinlich?
Zumindest in der nächsten Dekade stehen die Realisierungschancen sicherlich eher schlecht. Andererseits: Je länger die aktuellen Krisen dauern, umso mehr zeigt sich, dass wir im bisherigen Modus nicht weiter kommen. Es muss sich qualitativ etwas verändern. Als Zwischenstufe könnte man zum Beispiel ein europäisches Außenministerium mit einer ganz spezifischen Aufgabe schaffen und die nationalen Außenministerien erst einmal behalten. Das europäische Außenministerium hätte im Sinne eines Planungsstabs die Aufgabe, den strategischen Kurs einer gemeinsamen Außenpolitik vorzugeben. In den Bereichen, in denen die Mitgliedstaaten die Bereitschaft zur Zusammenarbeit haben, würde es darüber hinaus weiterführende Integrationsschritte ausarbeiten. Das könnte eine Form von zaghafter Supranationalisierung sein, ohne die nationalstaatliche Ebene abzulösen, idealerweise aber mit einem funktionalen Mehrwert.
Wie sehen Sie die nahe Zukunft der außenpolitischen Integration in der EU?
Bis dato haben wir bezüglich einer weiteren Integration immer gesagt: Zunächst kommt die Innenpolitik und daraufhin die Außenpolitik als „Nice to Have“. Im Moment haben wir so viele Krisen im Inneren und an den Außengrenzen, dass wir es uns nicht leisten können, Vertiefung vor außenpolitische Integration zu setzen. Von daher bleibt optimistisch zu hoffen, dass die aktuellen Krisen doch etwas Gutes haben, nämlich die Erkenntnis der Mitgliedstaaten zu stärken, dass sie alleine tatsächlich nicht in der Lage sind, diese Krisen zu bewältigen. Ich bin zwar nicht so kühn, in der Außenpolitik die „Stunde Europas“ auszurufen, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass doch noch Bewegung reinkommt, und vielleicht kann die Global Strategy ein kleiner Anschub sein.
Frau Kempin, vielen Dank für das Gespräch!
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