Militärisch scheint der Islamische Staat keine ernsthafte Gefahr für Israel zu sein. Dass der IS in Israel dennoch als Bedrohung wahrgenommen wird, liegt an seiner katalysierenden Wirkung auf bestehende Konflikte.
Ein Beitrag von Eric Schneider
Als sich der Islamische Staat im vergangenen Jahr in weiten Teilen Syriens und Iraks rasant ausbreitete, schwang in der dschihadistischen Rhetorik der Wunsch nach Rückeroberung des heiligen Landes und der Befreiung Jerusalems mit. Nicht zuletzt deshalb wird der IS als ernste Bedrohung der Sicherheit des Staates Israels und seiner Bürger wahrgenommen.
Größtenteils harmlos
Allerdings ist die unmittelbare militärische Gefahr durch den IS für den israelischen Staat bisher gering. Eine Reihe von Pufferstaaten und verfeindeten Milizen sorgen dafür, dass der IS bislang noch nicht im israelischen Grenzgebiet operieren konnte. Auch wenn die Priorität des ägyptischen Militärs nicht immer auf die Bekämpfung der dschihadistischen Gruppen auf der Sinai-Halbinsel zu liegen schien, verfügen die Truppen ebenso wie das jordanische Militär über ausreichend Kapazitäten, um IS-treue Gruppen effektiv zu bekämpfen.
Während die frühen Erfolge gegen das schwächelnde Assad-Regime und das ungeordnete irakische Militär die Stärke des IS betonten, zeigten die Erfolge gut organisierter kurdischer Kampfeinheiten in Zusammenarbeit mit internationalen Luftangriffen der salafistischen Terrormiliz ihre Grenzen auf. Militärisch hat Israel ein direktes Aufeinandertreffen mit dem IS deshalb vorerst nicht zu befürchten. Darüber hinaus zählen die israelischen Streitkräfte zu den modernsten Armeen und können im Zweifelsfall auf die Unterstützung westlicher Verbündeter vertrauen.
Nicht nur aufgrund eigener militärischer Kapazitäten – auch aufgrund des internationalen (Nicht-)Ansehens des IS – würde ein militärischer Konflikt die Grenzen Israels kaum bedrohen. Während der letzten Gefechte im Gazastreifen im Sommer 2014, wurde das militärische Vorgehen Israels gegen die Hamas weltweit angeprangert. Doch im Kampf gegen den IS, würde sich in der internationalen Gemeinschaft kaum Widerstand gegen israelische Militäraktionen regen, wenn die Integrität der israelischen Grenze und die Sicherheit ihrer Bürger durch den IS gefährdet wären.
Der Wettstreit um die Legitimität im Kampf gegen Israel
Das Auftreten von IS-treuen Gruppen verändert nicht nur in Syrien und im Irak die vorherrschenden Kräfteverhältnisse. Auch der Gazastreifen könnte dem IS-Terror in Zukunft einem katastrophalem Ausmaß ausgesetzt sein. Die Hamas sieht sich mit einem asymmetrischen Machtkampf konfrontiert, der sie in eine unangenehme Lage treibt. Obwohl sie sich keinen erneuten Krieg mit Israel leisten können, drängen IS-treue Gruppen auf einen Wettstreit um die Legitimität im Kampf gegen Israel.
Der wiederholte Abschuss von Raketen aus dem Gazastreifen durch salafistische Gruppierungen ist der Ausdruck eines sich zuspitzenden Konflikts innerhalb des palästinensischen Autonomiegebiets am Mittelmeer. Doch in erster Linie beabsichtigen die Raketen der IS-Sympathisanten die Autorität der Hamas weiter zu untergraben.
Durch die provozierenden Vergeltungsmaßnahmen Israels als Reaktion auf die Raketen, soll die Hamas in einen neuen Konflikt getrieben werden, den sie nicht gewinnen kann. Ebenso befeuern Bombenanschläge von IS-Gruppierungen den Streit im Gazastreifen und bieten einigen Zündstoff für die ohnehin prekäre Sicherheitslage im israelischen Süden, deren Eskalation jederzeit bevorstehen kann.
Alte Feinde – neue Freunde
Der Aufstieg des IS im Nahen und Mittleren Osten könnte nicht nur negative Folgen für die Hamas, die Hisbollah und andere Terrororganisationen haben, die sich ebenfalls in einer Konfliktlage mit dem IS befinden. Die Positionierung als möglicher westlicher Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat könnte frisches Geld in die klammen Kampfkassen der antiisraelischen Terrormilizen wie der Hamas spülen.
Das Auftreten des IS hat das politische Kräfteverhältnis im Nahen und Mittleren Osten offenbar verschoben. Das Regime im Iran hat es verstanden, sich bereits dem Irak als Partner im Kampf gegen den Terrorismus anzubieten. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz war sogar der erste westliche Spitzenpolitiker, der dem Iran im Kampf gegen den IS-Terror zur Seite stehen will.
Der Atomdeal hat die kommende iranische Führungsrolle im Nahen und Mittleren Osten zusätzlich untermauert. Die durch die Lockerung der Sanktionen freiwerdenden Gelder dürften dabei nicht nur der Unterstützung des brüchigen Assad-Regimes dienen, sondern auch den benachbarten Feinden Israels zufließen – der Hamas und der Hisbollah. Darum ist die internationale Aufwertung des iranischen Regimes eine schlechte Nachricht für Israel. Denn weder der Atomdeal noch die Beteiligung am Kampf gegen den IS, haben etwas an den rhetorischen Angriffen aus Teheran geändert – die Vernichtung Israels steht weiterhin ganz oben auf der Prioritätenliste.
Die letzten Monate haben deutlich gemacht, dass die globale Gefahr durch den IS nicht allein militärischer Natur ist. Noch fällt es vielen Beobachtern schwer, sich auf die veränderte geopolitische Lage und deren Folgen einzustellen; sei es der massive Zuwachs an Flüchtlingen oder die vermeintlich neuen Partner im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
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Bildquelle: “Altstadt Jerusalems vom Ölberg gesehen” von Wayne McLean, Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jerusalem_from_mt_olives.jpg. Lizensiert unter Creative Commons license 2.0: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.en