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9. April 2024

Südkoreas Parlamentswahlen im Mittelpunkt: Perspektiven aus dem In- und Ausland (2) : Im Schatten des ‚Wals‘? Südkoreas Diplomatie mit China

In wenigen Tagen stehen die Parlamentswahlen in Südkorea an. Am 10. April haben Südkoreaner*innen die Möglichkeit, darüber zu entscheiden, wie das Parlament in den kommenden vier Jahren aussehen wird. Die bevorstehenden Parlamentswahlen in Südkorea sind von entscheidender Bedeutung für die aktuelle Regierung unter Yoon Suk-yeol. Sie könnten darüber bestimmen, ob die Regierung eine neue politische Handlungsfähigkeit erhält oder weiterhin mit Opposition im Parlament konfrontiert sein könnte. Doch wie wird die politische Lage in Südkorea von Ländern wie Japan und China wahrgenommen? In dieser Reihe werden wir uns eingehend mit der Innenpolitik Koreas befassen und die Perspektiven anderer Länder auf die bevorstehende Parlamentswahl untersuchen.

 

von Isabel Billmeier und Carla Kühleis

 

Wenn am 10. April die Parlamentswahlen in Südkorea stattfinden, schaut auch der große Nachbar China gebannt nach Seoul. Wird der regierende konservative Präsident Yoon Suk-yeol nun eine Mehrheit im Parlament hinter sich haben? Oder bleibt es beim Status quo und dabei, dass er die nächsten drei Jahre seiner nur einmaligen Präsidentschaft als ‘lame duck’ verbringen wird?

Peking wird genau verfolgen, ob die liberale und weniger China-skeptisch  ausgerichtete Oppositionspartei, die Demokratische Partei Korea (DPK, koreanisch: Deobureo-minju-Partei), die Mehrheit im Parlament behält. Sie steht etwas gegensätzlich zu Yoons Politik, der einen teils offensiven Kurs gegen China gefahren und angesichts der wachsenden nuklearen Bedrohung durch Nordkorea klare Schritte zur Stärkung der trilateralen Sicherheitszusammenarbeit mit Japan und den USA unternommen hat.

 

Sino-südkoreanische Beziehungen – wesentliche Aspekte

Südkorea bezeichnet sich selbst als “Garnele unter den Walen”. Gemeint sind die geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen Chinas und der USA, die das Land seit jeher balancieren muss. Das Verhältnis mit China schwankt seit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen 1992 stark. Zum einen floriert der Handel zwischen den beiden Ländern, zum anderen werfen die zunehmenden politischen Spannungen einen Schatten auf die Beziehungen. Das Dilemma für Seoul dabei: bei jeglichen Kooperationen, etwa im militärischen Bereich mit Washington, dem engsten Sicherheits-Verbündeten, muss Seoul mit ökonomischen Vergeltungsmaßnahmen seines größten Handelspartners, China, rechnen.

2017 entschied sich Südkorea unter der Regierung von Park Geun-hye für die Stationierung des US-Raketenabwehrsystems THAAD als Antwort auf nordkoreanische Drohungen. Eine Entscheidung, die Peking klar missbilligte und durch wirtschaftliche Sanktionen bestrafte.

Unter ihrem Nachfolger Moon Jae-in hielt sich Seoul an die 3-Nein Regel: Nein zu zusätzlicher Implementierung des US-Raketenabwehrsystems THAAD; Nein zum südkoreanischen Beitritt eines US-geleiteten Raketenabwehrsystem und Nein zu einer trilateralen Militärallianz mit Japan und den USA. Dennoch kam es unter Moon zu keinem Staatsbesuch von Xi Jinping und keiner gemeinsamen Telefonschalte. Die Beziehungen blieben trotz der pro-chinesischen Agenda Moons so abgekühlt wie noch nie.

 

Unter Yoon: Eine neue Phase in den sino-südkoreanischen Beziehungen?

Im ersten Amtsjahr von Yoon Suk-yeol hatten sich die Beziehungen zwischen Seoul und Peking vorerst aufgewärmt.

Entgegen seiner deutlich anti-chinesischen Wahlkampfrhetorik setzte sich nun der Abkühlungstrend, der unter der vorherigen Moon-Regierung begann, vorerst nicht fort.

Während sich Yoon im Wahlkampf noch mit klaren Worten gegen China brüstete, so wie dem Aufkündigen der 3-Nein Regel seines Vorgängers und der Zusage, mehr US-Raketenabwehrsysteme für die Verteidigung gegen Nordkorea zu beschaffen, schob er diese Ankündigungen in seinen ersten zwei Amtsjahren zurück.

Zusätzlich versucht er, einen Konflikt mit  China bestmöglich zu umschiffen. Als im Juli 2022 die Sprecherin des US-Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, nach ihrem umstrittenen Taiwan-Besuch weiter nach Seoul reiste, war Yoon nicht für ein persönliches Treffen verfügbar und begnügte sich mit einem einfachen Telefonat.

Im zweiten Amtsjahr wendete sich das Blatt langsam. Yoon zeigte sich China gegenüber zunehmend kritisch und stärkte seine Beziehungen mit den USA.

Im April 2023 war Yoon für einen Staatsbesuch in Washington und fand dort klare Äußerungen bezüglich der angespannten Lage im Südchinesischen Meer. Jeglichen Versuch, den Status quo in der Taiwan Straße zu verändern, würde Südkorea missbilligen und in Kooperation mit der internationalen Gemeinschaft begegnen. China kritisierte diese Aussage Yoons stark, der die Taiwan-Frage somit zu einer internationalen Angelegenheit erklärte, und ging in den formalen diplomatischen Protest, der sich bis Sommer 2023 zog.

Zusätzlich kündigte Yoon im Mai 2023 die Beteiligung Südkoreas an der von den USA initiierten Wirtschaftsinitiative Indo-Pacific Economic Framework an und wohnte dem ‘Chip 4’ – Dialog bei, einem von Washington initiierten Dialog zwischen den führenden Halbleiterproduzenten. Diese Entscheidungen wurden von Peking stark kritisiert.

Als erster südkoreanischer Präsident nahm Yoon zudem am NATO Summit 2023 teil und sprach sich dort offen nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen China aus.

Diese Entwicklungen, sowie die Ankündigung im vergangenen Winter einer verstärkten trilateralen Sicherheitskooperation zwischen Südkorea, den USA und Japan, verärgerten Peking zudem.

Dennoch kam es gegen Ende des Jahres 2023 zu einer Stabilisierung der sino-südkoreanischen Beziehung. Die Regierungen kündigten gemeinsam mit Japan bei einem ersten persönlichen Außenminister*innen-Treffen an, die trilaterale Kooperation der Länder frühzeitig wiederherzustellen. Der trilaterale Dialog war seit 2019 ausgesetzt.

Wiederum diesen März fand in Seoul das Gipfeltreffen für Demokratie statt. Dieses Treffen war das dritte seiner Art, zu dem nicht China eingeladen wurde, sondern wiederholt taiwanische Repräsentant*innen. China lehnt die Einladung Taiwans entschieden ab.

 

Die China-Haltung Südkoreas: Eine Spaltung in Politik und Gesellschaft

Auch wenn sich die südkoreanische China-Politik teils ambivalent gestaltet, innerhalb der Bevölkerung ergibt sich hingegen ein klares Stimmungsbild: Rund 80% waren China in 2022 kritisch gegenüber eingestellt (im Vergleich: Deutschland (74%), Japan (87%), USA (82%)).

Dieses Ungleichgewicht begründet sich darin, dass die Volksrepublik China sich verstärkt der koreanischen Kultur annähert und diese als ihr eigen deklariert. So behauptete China 2020, dass Kimchi chinesischen Ursprungs sei.

Bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele trug eine Athletin des chinesischen Teams den traditionellen Hanbok. Zudem wurde der Hanbok, eine traditionelle koreanische Tracht aus der Joseon Dynastie, in historischen Dramen aus China als chinesische Tracht getragen.  Auch wenn dies nur symbolische Tragweite hatte, so traf es in Südkorea auf große Empörung: Politiker*innen beider großen Parteien nahmen öffentlich in den Sozialen Medien Stellung und sprachen von kultureller Aneignung.

 

Die anstehenden Parlamentswahlen: Gefahr chinesischer Einflussnahme?

Bei den bevorstehenden Wahlen in Südkorea könnten junge Südkoreaner*innen eine entscheidende Rolle spielen. Sie neigen eher zu anti-chinesischen Ansichten und könnten somit den Ausgang der Wahl beeinflussen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach einer möglichen chinesischen Einflussnahme durch Cyberangriffe, die in den letzten Jahren weltweit zunehmende Besorgnis ausgelöst hat. China verfügt über verschiedene Mittel, um Einfluss auf die Bevölkerung oder die Ergebnisse der südkoreanischen Wahlen zu nehmen, sei es durch Konfuzius-Institute an Universitäten, verdeckte chinesische Polizeistationen oder digitale Desinformation.

2023 entdeckte der südkoreanische Geheimdienst chinesisches Anti-Regierungsmaterial, Propaganda und 38 Fake-Nachrichtenseiten, die falsche Artikel veröffentlichten und die USA sowie Japan kritisierten. China wurde in diesen Artikeln für seine Covid-19-Maßnahmen gelobt und die Propaganda der Kommunistischen Partei Chinas verbreitet. Die Desinformationskampagne hatte derartige Auswirkungen, dass mindestens 32 Nachrichtenseiten in den USA die falschen Berichte erneut veröffentlichten. Chinesische Agent*innen sollen zudem chinesische Studierende und Arbeitsmigrant*innen genutzt haben, um die öffentliche Meinung über China in den sozialen Netzwerken Südkoreas positiv zu beeinflussen.

Die Konfuzius-Institute in Südkorea, seit 2004 aktiv, haben Demonstrationen gegen die Protestbewegung in Hongkong an Universitäten organisiert. Diese Institute haben nicht nur die Hongkonger Demokratiebewegung im Auge, sondern reagieren auch mit verschiedenen Aktivitäten auf kritische Äußerungen bezüglich Taiwans.

Das Parlamentsmitglied Park Sung-joong (DPK) warnt vor einer möglichen Einflussnahme Chinas oder Nordkoreas auf die Parlamentswahlen 2024. Auch die Präsidentschaftswahl 2027 könnte das Ziel einer Desinformationskampagne seitens Chinas oder Nordkoreas sein.

Wie sich die Einflussnahme Chinas, die Spaltung der Gesellschaft und Wahlbeteiligung auf die Wahlergebnisse auswirken wird, bleibt offen. Es wird aber erwartet, dass der Ausgang der Wahl nicht nur die innenpolitische Landschaft Südkoreas prägen wird, sondern auch die Art und Weise, wie das Land mit den geopolitischen Kräften in der Region umgeht. Wie wird sich das Verhältnis Südkoreas mit dem ‘Wal’ China weiter entwickeln? Und welche Konsequenzen wird das Ergebnis der Parlamentswahl für die bilateralen Beziehungen haben?

 

Polis Blog ist eine Plattform, die den Mitgliedern von Polis180 & OpenTTN zur Verfügung steht. Die veröffentlichten Beiträge stellen persönliche Stellungnahmen der AutorInnen dar. Sie geben nicht die Meinung der Blogredaktion oder von Polis180 e.V. wieder.

 

Bildquelle: pexels.com

 

Isabel Billmeier studiert Sinologie und Osteuropastudien an der Universität Hamburg.  Gemeinsam mit Lars Feyen und Carla Kühleis leitet sie den Programmbereich connectingAsia.

 

Carla Kühleis studiert „Global Studies – A European Perspective“, ein Erasmus Mundus Masterprogramm der Universitäten Gent und Breslau. In ihrem Studium fokussiert sie sich auf Asien und insbesondere die Volksrepublik China. Gemeinsam mit Lars Feyen und Isabel Billmeier leitet sie den Programmbereich connectingAsia.

 

Lektoriert von Eva Hager und Frederik Schmitz

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