Unter diesem Titel haben die Polis 180 Regiogruppe Rheinland, das CASSIS der Universität Bonn und die Bonner Hochschulgruppe für Außen- und Sicherheitspolitik (BHAS) gemeinsam mit Serap Güler (CDU) und Ulrich Lechte (FDP) diskutiert. Die Veranstaltung wurde von Maximilian Schranner moderiert.
von Frederik Schmitz und Thorsten Gerwin
Zwei Jahre nach der Verkündung der “Zeitenwende” haben die Regiogruppe Rheinland und die Partnerorganisationen eine Bestandsaufnahme der vergangenen zwei Jahre mit einem Blick in die Zukunft verbunden. Der Einladung sind nicht nur zwei Bundestagsabgeordnete gefolgt, sondern auch etwa 100 Gäste, die den Festsaal der Universität Bonn nahezu bis zum letzten Platz füllten. Der vollbesetzte Festsaal sowie eine empörte E-Mail im Vorfeld der Veranstaltung, wir sollten uns lieber um den gerechten Frieden kümmern, zeigen, dass die Diskussion dieser Fragen nach wie vor virulent und höchst emotional ist – gerade unter jungen Menschen.
Mehr als nur Militärausgaben
Kurz vor unserer Veranstaltung konnte die Bundesregierung den Erfolg vermelden, dass Deutschland im letzten Jahr die vereinbarten 2% für Verteidigungsausgaben aufbringen konnte – dank des Sondervermögens. Beide Diskutant*innen sind sich jedoch darin einig, dass ursprünglich verkündet wurde: 2% plus Sondervermögen. Nachdem Frau Güler die Bundesregierung zunächst für richtige Weichenstellungen lobte, beklagte sie anschließend, dass nicht alle Absprachen mit der Opposition eingehalten worden seien. Ihre zuvor an verschiedenen Stellen formulierte Forderung, der Kanzler möge nach dem Abhörskandal der Bundeswehr zurücktreten, wiederholte sie während der Veranstaltung nicht mehr.
Die Frage der Militärausgaben ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Der zentrale Schwerpunkt des ersten Teils der Veranstaltung war die Frage, ob die Zeitenwende auch bei den Menschen angekommen sei. Hier sehen sowohl Serap Güler und Ulrich Lechte, dass sich noch nicht alle Menschen in der Bevölkerung der Tragweite des russischen Angriffs auf die Ukraine bewusst sind. Ulrich Lechte wurde am deutlichsten und betonte, dass für ihn die Sicherheits- und Verteidigungsfrage in letzter Instanz die zentrale Frage deutscher Politik sei und über allem stehe. Auch die neue und erste Nationale Sicherheitsstrategie bliebe hier in ihren Erwartungen zurück. Nicht ohne Grund schloss sich dieser Dimension gleich die Frage der Kommunikation an.
Ambiguität in der politischen Kommunikation
Eine der aufgeworfenen Fragen betraf dabei auch die häufig kritisierte Kommunikation der Bundesregierung im Zuge der militärischen Unterstützung der Ukraine. Sollten Politiker*innen bewusst eine hohe kommunikative Ambiguität wahren, um politische Spielräume zu erweitern? Diesen Gedanken müssten sich Politiker*innen aktiver stellen, um zum Beispiel im Rahmen von Waffenlieferungen oder möglichen Sanktionen von Handlungen weniger berechenbar zu wirken. Hierbei müsse aber beachtet werden, wie diese Strategie im Verhältnis zur Verpflichtung zur Transparenz und Erklärung gegenüber der Bevölkerung in einer Demokratie stehe.
Wie hältst du es mit Taiwan?
Beide Gäste kamen von selbst immer wieder auf Taiwan zu sprechen. Sie betonten die strategische Bedeutung Taiwans und blickten mit großer Sorge auf eine mögliche Eskalation in der Taiwanstraße durch China. Ein Thema, mit dem sich auch der Programmbereich ConnectingAsia von Polis 180 immer wieder auseinandersetzt, zuletzt in einer Blogreihe zur Wahl im Januar 2024. Konzise Antworten auf die Frage aus dem Publikum, was uns Taiwan wert sei bzw. welche Möglichkeit Deutschland habe, Frieden und Demokratie in Taiwan zu schützen, blieben jedoch aus. Frau Güler griff in ihrer Antwort die Außenministerin an, sie solle auf Pressekonferenzen mit ihrem chinesischen Kollegen weniger den erhobenen Zeigefinger präsentieren, dies könne ja schließlich auch Taiwan helfen, wenn wir China nicht provozierten.
Kritische Infrastruktur
Eine weitere wichtige Frage betraf die Bedeutung kritischer Infrastruktur und wie sich Deutschland als Land und Zivilist*innen selbst besser gegen hybride Kriegsführung rüsten können. Beide Abgeordneten betonten, dass nationale Sicherheit kein rein militärisches Terrain mehr sei. Es wurde diskutiert, welche Maßnahmen zum Schutz dieser Infrastruktur notwendig seien, um Deutschland widerstandsfähiger gegenüber Bedrohungen zu machen. Wichtig sei auch, das Wissen und Verständnis zu diesem Thema in der Bevölkerung zu stärken. Zeitenwende bedeute nämlich auch, dass es nicht ausreiche, 100 Milliarden Euro in Flugzeuge für die Bundeswehr zu investieren, sondern vernetzt zu denken und für die gesamte Gesellschaft mitzudenken, sei es der Schutz von Krankenhäusern oder die Verhinderung der Verbreitung von Falschinformationen. Dieser Bewusstseinswechsel sei zwar angestoßen worden und der Diskussionsraum geöffnet, aber hier liegt noch viel Arbeit vor uns.
Wir sind noch mitten drin
Seit der Verkündung der Zeitenwende am 28. Februar 2022 hat die Regiogruppe Rheinland die Zeitenwende über verschiedene Formate kritisch begleitet. Neben einer Diskussionsveranstaltung und einem Visioning-Workshop folgte nun die dritte Runde. Was heißt die Zeitenwende für Deutschland und wie entstehen außenpolitische Visionen? Wie steht es um die Zeitenwende und was ist noch zu machen? Diese Fragen decken die strategischen Aspekte der Zeitenwende nur teilweise ab.
Die Veranstaltung hat gezeigt, dass die Zeitenwende gerade erst begonnen hat und es sich noch zeigen muss, ob sie nicht nur in den Köpfen, sondern auch in der praktischen Umsetzung außerhalb der 100 Milliarden Euro Sondervermögen ankommt.
Polis Blog ist eine Plattform, die den Mitgliedern von Polis180 & OpenTTN zur Verfügung steht. Die veröffentlichten Beiträge stellen persönliche Stellungnahmen der AutorInnen dar. Sie geben nicht die Meinung der Blogredaktion oder von Polis180 e.V. wieder.
Bildquelle: Thorsten Gerwin
Frederik Schmitz hat Sinologie in Köln und Tübingen studiert und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS) der Universität Bonn. Sein Forschungsschwerpunkt ist Erinnerungspolitik als politische Legitimationsstrategie in China sowie historische Narrative chinesischer Außenpolitik.
Thorsten Gerwin studiert im Master Politikwissenschaften an der Universität Bonn. Seine Schwerpunkte sind die nachhaltige Entwicklung im Rahmen der Agenda 2030 sowie sicherheitspolitische Aspekte der europäischen Weltraumpolitik.
Lektoriert von Eva Hager
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