In wenigen Tagen stehen die Parlamentswahlen in Südkorea an. Am 10. April haben Südkoreaner*innen die Möglichkeit, darüber zu entscheiden, wie das Parlament in den kommenden vier Jahren aussehen wird. Die bevorstehenden Parlamentswahlen in Südkorea sind von entscheidender Bedeutung für die aktuelle Regierung unter Yoon Suk-yeol. Sie könnten darüber bestimmen, ob die Regierung eine neue politische Handlungsfähigkeit erhält oder weiterhin mit Opposition im Parlament konfrontiert sein könnte. Doch wie wird die politische Lage in Südkorea von Ländern wie Japan und China wahrgenommen? In dieser Reihe werden wir uns eingehend mit der Innenpolitik Koreas befassen und die Perspektiven anderer Länder auf die bevorstehende Parlamentswahl untersuchen.
von Ada Monstad und Viktor Liebhold
Parlamentswahlen in Südkorea
Südkorea bzw. die Republik Korea ist ein wirtschaftlich und technologisch fortgeschrittenes ostasiatisches Land. Im Gegensatz zu ihrem diktatorisch geführten Pendant im Norden hat sich die Republik Korea seit der Trennung zu einer liberalen Demokratie und damit einem wichtigen ‚westlichen‘ Partner entwickelt.
Die am 10.04. anstehenden Parlamentswahlen dienen als guter Anlass, sich die politische Entwicklung und Strukturen der dritt-stärksten Demokratie Asiens genauer anzuschauen.
Eine starke Exekutive
Die Institutionen der relativ jungen Demokratie haben sich seit der Teilung 1948 durch eine Reihe verschiedener politischer Systeme in ein repräsentatives präsidiales Regierungssystem entwickelt. Die Gewaltenteilung des Einheitsstaates zeichnet sich durch eine dominante Exekutive aus.
Dem*der Präsident*in kommen als Staatschef*in und Oberbefehlshaber*in weitreichende Befugnisse zu. Diese finden sich in der Regierungsbildungskompetenz, einem Vetorecht gegenüber der Legislative, der Kapazität Gesetzesentwürfe einzubringen und bedeutenden Notstandbefugnissen. Der*die Präsident*in wird durch eine universelle Direktwahl von den Bürger*innen Südkoreas einmalig für eine fünfjährige Amtszeit gewählt.
Ein Einkammer-Parlament
Die Nationalversammlung (Guk Ho) ist ein Einkammer-Parlament, in dem 300 Abgeordnete die Bürger*innen vertreten. Von diesen 300 Abgeordneten werden 254 in ihren Wahlkreisen durch Direktmandate nach einem Mehrheitswahlrecht gewählt. Die restlichen 46 Sitze werden nach einem festen Schlüssel durch einen proportionalen Stimmenanteil der Parteilisten und als Ausgleichsmandate verteilt.
Auch wenn Südkoreas Demokratie heute von außen häufig als Vorzeigemodell asiatischer Demokratie mit Japan und Taiwan angeführt wird, muss man sich auch Vergangenheit des Landes anschauen, um die Republik und ihre junge Demokratie zu verstehen.
Japanische Kolonie, Teilung und Krieg
Nach der 40-jährigen Kolonialherrschaft Japans (1905-1945) wurde die koreanische Halbinsel 1948 entlang des 38. Breitengrades zwischen Nord- und Südkorea geteilt. Die Demokratische Volksrepublik Korea im Norden der Halbinsel wurde durch Unterstützung der Sowjetunion in einem autoritär-sozialistischen Stil aufgebaut, während der Süden von den USA unterstützt eine autoritär-kapitalistische Form übernahm.
Mit dem Einmarsch nordkoreanischer Truppen 1950 begann der dreijährige Koreakrieg – zwischen der Sowjetunion mit China und den USA mit deren Verbündeten. Nach dem 1953 vereinbarten Waffenstillstand wurden die beiden unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Systeme wieder entlang des 38. Breitengrades durch eine demilitarisierte Zone geteilt.
Autoritäre Regime und Wirtschaftlicher Aufschwung
Das Ende des Koreakriegs leitete für die Republik Korea im Rahmen verschiedener autoritär-kapitalistischer Modelle eine lange Phase rasanter Industrialisierung ein. Nachdem der erste Präsident Syngman Rhee durch einen Coup 1961 von General Park Chung-hee abgelöst wurde, führte dieser Südkorea durch eine starke staatsgelenkte Entwicklungspolitik in eine Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs, die häufig als “das Wunder vom Han-Fluss” bezeichnet wird.
Demokratisierung
Die unter Park vorangetriebene wirtschaftliche Entwicklungspolitik trug zum Aufkommen einer Mittelschicht bei, die für den späteren Demokratisierungsprozess wichtig werden sollte. Nach einem Attentat auf Park im Jahr 1979 und einer folgenden Übernahme durch das Militär prägten Studentenproteste die 1980er Jahre, bis sich die Mittelschicht und Studentenbewegungen 1987 mit ihrem Streben nach Demokratie durchsetzen. Seither zeichnet sich das demokratische System der Republik Korea durch friedliche Machtübergaben und eine starke Beteiligung der Bevölkerung, aber auch durch häufige Korruption und Skandale aus.
Die politische Landschaft
Die politische Landschaft in Südkorea wird hauptsächlich von zwei Parteien dominiert, der People Power Party (PPP, koreanisch: Gungminui-him) und der Demokratische Partei Korea (DPK, koreanisch: Deobureo-minju-Partei). Die PPP wird von einer konservativen Wähler*innenschaft unterstützt und stellt derzeit den südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk-Yeol. Die DPK hingegen wird als progressiv angesehen. Die PPP ist eine relativ junge Partei.Sie entstand 2020 durch einen Zusammenschluss der Liberty Korea Party, der New Conservative Party und der Onward for Future 4.0.
Die Demografie der Wähler
Die konservative und progressive Wähler*innenschaft unterscheidet sich je nach Generation. Die konservative Wähler*innenschaft aus der Generation, die in den 1950ern nach dem Korea-Krieg geboren und unter einem Militärregime aufgewachsen ist, während die progressive Wähler*innenschaft eher der Generation der 86er angehört, die von der Demokratisierung Koreas beeinflusst ist. In den letzten Jahren wurde die südkoreanische Politik von zahlreichen Skandalen überschattet. Besonders der Korruptionsskandal um Präsidentin Park Geun-hye (Jayu-hanguk-Partei), der zu ihrer Verurteilung zu 25 Jahre Haft führte, hat das Vertrauen der Wähler*innenschaft in die politische Elite stark erschüttert. Millennials und GenZ, die besonders diese Korruptionsskandale miterlebt haben, zeigen eine geringere politische Bindung.
Politische Skandale
Vor der bevorstehenden Parlamentswahl ereigneten sich verschiedene politische Skandale. Unter anderem traten zwei einflussreiche Politiker aus den jeweiligen großen Parteien zurück, um ihre eigenen Parteien zu gründen: Lee Jun-seok (PPP) und Lee Nak-yeon (DPK). Lee Jun-seok wurde wegen eines Prostitutionsskandals als Parteivorsitzender suspendiert. Außerdem kritisierte er stark Yoons ineffektive Politik zum demografischen Wandel, was zu seinem Parteiausschluss führte. Kurzfristig kann das für die PPP und DPK bedeuten, dass sie Stimmen verlieren. Sowohl Lee Jun-seok als auch Lee Nak-yeon sind große politische Persönlichkeiten in Südkorea.
Sein Kontrahent Lee Nak-yeon, ehemaliger Premierminister und Parteivorsitzender, verließ die Deobureo-minju-Partei aufgrund interner Streitigkeiten mit Lee Jae-myung, dem aktuellen Parteivorsitzenden. Neben diesen skandalösen Austritten sorgte auch die Ehefrau von Yoon Suk-Yeols, Kim Keon-hee, für Schlagzeilen, als sie eine Christian Dior Tasche von einem koreanisch-amerikanischen Pastor erhielt, die den Betrag überschritt, den Regierungsmitglieder und ihre Ehepartner normalerweise als Geschenk annehmen dürfen. Trotz dieses Skandals ist die Beliebtheit von Yoon in den letzten Monaten gestiegen, dank seiner Erfolge in folgenden Bereichen: erhebliche Verbesserungen in der südkoreanischen-japanischen Beziehung, die Förderung der Industrialisierung im ländlichen Raum und die Erweiterung der Studienplätze für das Medizinstudium. Dennoch liegt seine Beliebtheit im Vergleich zu früheren Präsidenten bei nur 30%. Aktuell verfügt die PPP nur 113 von 300 Sitze im Parlament, was dazu geführt hat, dass viele Regierungsentwürfe von der DPK abgelehnt wurden, die die Mehrheit innehaben. Dies erschwert es Yoons Regierung, innenpolitische Entscheidungen zu treffen. Um seine Präsidentschaft voranzutreiben, ist es entscheidend, dass seine Partei eine Mehrheit im Parlament erhält. Expert*innen bezweifeln jedoch, dass dies aufgrund von Yoons Unbeliebtheit und der Schwäche seiner Kandidaten möglich ist. Die Zustimmungsrate der Opposition liegt ebenfalls bei 30%, was auf zahlreiche Anklagen gegen den Parteivorsitzenden Lee Jae-myung zurückzuführen ist.
Aussichten
Südkorea befindet sich im Vergleich zu anderen westlichen Ländern in einer starken demografischen Krise. Die politischen Herausforderungen im Land werden jedoch von Identitätspolitik überschattet durch den Parteiausschluss von sowohl Lee Jun-Seok als auch Lee Nak-yeon . In den beiden großen Parteiblöcken herrschen Rivalitäten, die die politische Agenda untergraben. Darüber hinaus sorgen Korruptionsskandale für Unruhe in der Bevölkerung, insbesondere bei Millennials und GenZ. Da die politischen Parteien Schwierigkeiten haben, Wähler*innen der Millennials und GenZ zu erreichen, wählen diese Generationen uneindeutig. Die Gründung neuer Parteien hat zu großer Unsicherheit innerhalb der etablierten Parteien geführt.
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Bildquelle: pxhere.com
Lektoriert von Eva Hager und Frederik Schmitz
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