Polisblog
6. Februar 2024

Veranstaltungsbericht | Europa kocht! Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems

Im Dezember 2023 einigten sich das EU-Parlament und die Mitgliedsstaaten nach langen Verhandlungen auf die umstrittene umfassende Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Trotz massiver Kritik von Menschenrechtsorganisationen und Expert*innen, wird die Reform seitens der Politik als Durchbruch gehandelt.

An unserem Kochabend Mitte Januar hatten wir Gelegenheit, darüber mit Dr. Zeynep Yanaşmayan (Leiterin Abteilung Migration Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung), Tareq Alaows (flüchtlingspolitischer Sprecher ProAsyl) und Helge Lindh (MdB SPD) zu diskutieren. Die Gespräche wurden insbesondere durch die unterschiedlichen Blickwinkel der Gäst*innen aus Wissenschaft, Aktivismus und Politik sehr bereichert. Dennoch bestand Konsens, dass die Reform keine Verbesserung der aktuellen Situation bedeutet und insbesondere für Geflüchtete massive negative Auswirkungen haben wird. Dr. Zeynep Yanaşmayan sah keinen Grund zur Freude über die Reform, wenn wir von einem „kaum funktionierenden System zu einem völlig dysfunktionalen und menschenrechtswidrigen System übergehen.“ So wird es aufgrund der Screening-Verordnung Grenzverfahren unter haftähnlichen Bedingungen – auch für Familien mit Kindern – geben und Geflüchtete können aufgrund der neuen Schutzquoten-Regelung teilweise ohne individuelle inhaltliche Prüfung ihrer Asylgründe abgeschoben werden, was einer faktischen Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl gleichkommt, so Tareq Alaows. Zudem warnte er davor, dass es wegen der Ausweitung des Konzepts der „sicheren Drittstaaten“, neue menschenrechtswidrige Deals mit autokratischen Regierungen geben wird, um Schutzsuchende dorthin abzuschieben. „Das Sterben im Mittelmeer wird nicht durch Haftlagern an den Außengrenzen beendet und Fluchtgründe werden dadurch ebenfalls nicht behoben.“ Auch Helge Lindh teilte die Auffassung, dass die „überspannten Erwartungen an die Reform und die Hoffnung auf mehr Humanität nicht der Realität entsprechen werden“, verdeutlichte aber dennoch die Notwendigkeit einer europäischen Lösung.

Im Verlauf des Abends entwickelte sich ein lebhafter Austausch zwischen den zahlreichen Teilnehmenden. So wurde aus wissenschaftlicher Perspektive unter anderem der seitens der Politik gelobte Solidaritätsmechanismus kritisiert, aus welchem sich Mitgliedsstaaten flexibel „freikaufen“ können, wie bspw. durch die Entsendung von Personal oder der Einbeziehung von Drittstaaten, was weiterhin zu keiner zwangsläufigen Entlastung der EU-Außengrenzstaaten führt. Darüber hinaus wurde über die Temporary Protection Directive gesprochen, durch welchen sich die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter vorbildhaft lösen ließ.

Auf Impuls von Tareq, der selbst 2015 aus Syrien nach Deutschland geflohen ist, wurde gemeinsam das Gericht Fasolia bi Zit, ein traditionelles Bohnengericht aus der Küche des Nahen Ostens zubereitet. Dazu gab es Reis, arabisches Brot und Hummus.

„Ich sehe es nach wie vor als große Aufgabe für die Wissenschaft, Debatten zu versachlichen, damit Begriffe klar genutzt werden“, so Zeynep. Dies zeigt sich jüngst an der breiten Nutzung des Begriffs „Remigration“, welcher wissenschaftlich eigentlich anders verwendet wird und dort eine beschönigende Umschreibung für Deportationen darstellt. Trotz politischen Verschärfungen schöpfen alle drei Gäst*innen Hoffnung aus der Solidarität in der Zivilgesellschaft und in den Kommunen und erkennen hier einen Unterschied zu politischen Entwicklungen. „Wir müssen dringend einen Ausweg aus den Krisenerzählungen finden und nicht mehr versuchen, teilweise sozialpolitische Probleme mit asylpolitischen Maßnahmen zu lösen und stattdessen den Umgang mit Flucht als eine Daueraufgabe anerkennen und langfristige, anpassungsfähige Strukturen aufbauen“, appellierte Zeynep im Namen des DeZim.

von Kathrin Liebhäuser

Veranstaltungsorganisation von Kathrin Liebhäuser, Stella Bartholomäus, Teresa Becher und Gesche Andert.

Wir bedanken uns herzlich bei unserem Förderer, der Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters von Berlin.

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