5. Dezember 2023
Im Rahmen unserer fortlaufenden Veranstaltungsreihe zur feministischen Entwicklungspolitik, koordiniert von den Programmbereichen Gender und Internationale Politik und De_Constructing Development, haben wir uns tiefgreifend mit der deutschen Handelspolitik u.a. in Verbindung mit der BMZ-Strategie für eine feministische Entwicklungspolitik auseinandergesetzt. Die Strategie des BMZ, die im Frühjahr 2022 verabschiedet wurde, betont das Bestreben nach „guten und gerechten Arbeitsbedingungen in globalen Lieferketten“ (S. 26) sowie gerechten Rahmenbedingungen für Frauen “auch im Kontext der internationalen Handelspolitik” (S.27). Unsere Veranstaltung zielte darauf ab, kritisch zu analysieren, wie diese Strategie in der Praxis wirkt und welche Auswirkungen sie auf die Rechte von Frauen, nicht-binären Personen und marginalisierten Gruppen hat. Mit dabei waren:
Dr.in Angela Heucher, Senior-Evaluatorin und Teamleiterin am Deutschen Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit (DEval). Sie ist Politik- und Sozialwissenschaftlerin und beschäftigt sich intensiv mit Menschenrechten und nachhaltiger Wirtschafts- und Sozialentwicklung, nachhaltigen Textillieferketten und der Förderung der Gleichberechtigung der Geschlechter in Post-Konflikt-Kontexten.
Bettina Müller,Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf internationale Beziehungen. Sie arbeitet als Referentin für Handels- und Investitionspolitik bei der NGO PowerShift in Berlin. Ihre Arbeit konzentriert sich auf die Auswirkungen von Handelsabkommen auf Umwelt, Menschen und Klima, insbesondere im Kontext des EU-Mercosur-Handelsabkommens.
Kira Schrödel, Absolventin in Verwaltungswissenschaften und internationalen Beziehungen. Sie beschäftigt sich mit der Verbreitung von Werten in der internationalen Politik und untersucht, wie die EU Gender Mainstreaming in der Handelspolitik und Entwicklungspolitik verfolgt und wie dies die Wahrnehmung der EU als Globale Gender Akteurin beeinflusst. Kira ist Mitglied bei Polis180.
Unsere Rednerinnen eröffneten die Diskussion, indem sie ihre Vision einer feministischen Handelspolitik skizzierten. In ihren Ausführungen lag der Fokus auf einem intersektionalen, transformativen Ansatz und der tiefgreifenden Anerkennung, dass Handelspolitik unweigerlich geschlechtsspezifische Auswirkungen hat. Sie betonten die Notwendigkeit, Frauen und nicht-binäre Personen in sämtlichen Rollen zu berücksichtigen – zuerst als Geschäftsinhaber*innen, Konsument*innen und Arbeitende, da dies in der bisherigen Handelspolitik noch nicht der Fall ist. Im zweiten Schritt müsste diese Berücksichtigung auch einen breiteren Kontext, der beispielsweise die Dimensionen der Sorgearbeit einschließt, umfassen. In diesem Sinne wurde der Wunsch nach einer inklusiven Handelspolitik laut, die umfassend denkt, menschenrechtsbasiert ist und aus intersektional-feministischer Perspektive die Auswirkungen der Handelspolitik anerkennt.
Im Anschluss daran äußerte Kira Schrödel, dass im aktuellen wirtschaftspolitischen Diskurs zwar der Raum und die Notwendigkeit für eine feministische Handelspolitik gegeben ist, die tatsächliche Realpolitik mit dieser Entwicklung hingegen noch nicht mithalten konnte. Durch die ganzheitliche Betrachtung von Handelsabkommen in Verbindung mit Nachhaltigkeitsfragen sei ein Raum zur Diskussion einer feministischen Handelspolitik eröffnet worden, welcher jedoch nicht ausreichend aufgegriffen werde. Nichtsdestotrotz gewinnt die Berücksichtigung der Auswirkungen von Handelsbeziehungen auf die Lebensrealitäten von Frauen immer mehr an Relevanz, insbesondere mit Blick auf die steigende Erwerbstätigenquote von Frauen. Des Weiteren hob Kira Schrödel hervor, dass die EU Kommission in erster Linie für handelspolitische Fragen verantwortlich ist, aber dass Deutschland auch durch den Rat der EU Einfluss nehmen könnte. Beispielsweise berücksichtigt der aktuelle Kommissionsvorschlag zum europäischen Lieferkettengesetz das Thema Gender nicht, was Deutschland die Möglichkeit eröffnet, einen Schwerpunkt auf dieses Thema im Rat der EU zu legen. Sie unterstrich zudem, dass das institutionelle Rahmenwerk der EU Deutschland in seinem Handlungsspielraum für eine feministische Handelspolitik einschränkt und auf eine diverse personelle Besetzung in den Ministerien zu achten ist, um Sensibilität für diese Themen zu gewährleisten.
Als Evaluatorin der deutschen Entwicklungszusammenarbeit brachte Dr.in Angela Heucher Forschungsergebnisse zur Förderung nachhaltiger Lieferketten durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ein. Sie betonte, dass das BMZ eine maßgebliche Rolle bei der Schaffung des Lieferkettengesetzes gespielt habe, was in der Evaluierung positiv bewertet wurde. Das BMZ wird selten in der Gesetzgebung tätig, daher war das in dieser Form untypisch. Dennoch wurden Defizite aufgezeigt: Es war nicht klar ersichtlich, dass die Instrumente der deutschen Entwicklungszusammenarbeit strategisch und kombiniert zur Förderung nachhaltiger Lieferketten eingesetzt wurden. Dr.in Angela Heucher wies zudem auf andere Länder hin, die Strategien zur feministischen Entwicklungszusammenarbeit haben. So hat etwa Kanada seit 2017 eine entsprechende Strategie und lässt feministische Aspekte auch in die Evaluierung der Entwicklungszusammenarbeit einfließen. Daher schlug sie einen stärkeren Wissensaustausch zwischen Deutschland und anderen Ländern zur Bewertung einer feministischen Entwicklungszusammenarbeit vor.
Bettina Müller navigierte durch ihren Input, indem sie sich an Fragen der Umsetzbarkeit und Ausgestaltung einer feministischen Perspektive in der deutschen Handelspolitik orientierte. Sie betonte, dass Feminismus in handelspolitischen Fragen verschieden interpretiert wird: Während Deutschland darauf abziele, Frauen in bestehende Strukturen zu integrieren, hinterfragt PowerShift grundlegende Aspekte von Handelsabkommen in einer systemischen Analyse, um strukturelle Ungleichheiten zu brechen. Im Zuge dessen kritisierte Bettina Müller das Ausbleiben oder die fehlende Durchsetzbarkeit (soft law) von Fragen in Bezug auf ‘Gender’ in Abkommen und forderte die Einbeziehung von genderbasierten Aspekten im gesamten Abkommen anstatt in einem Teilkapitel. Sie betonte weiter, dass Deutschland stärker mit Ländern des sogenannten Globalen Südens zusammenarbeiten müsse, um die Auswirkungen der Handelspolitik auf Frauen zu verstehen und plädierte für eine größere Teilhabe der Zivilgesellschaft, mehr Transparenz in Verhandlungsprozessen sowie für Schutzmechanismen für bestimmte Sektoren und Einschränkungen bei Konzernklagen. Hier verwies sie auf das alternative Handelsmandat einer Allianz aus europäischen zivilgesellschaftlichen Organisationen (u.a. PowerShift) als mögliche Richtlinie.
Abschließend wurde die Frage nach der Notwendigkeit einer eigenständigen feministischen Handelspolitik (neben der feministischen Außen- und Entwicklungspolitik) für Deutschland gestellt. Hier wurde angemerkt, dass die geschlechtsspezifischen Implikationen der Handelspolitik in den existierenden Strategien noch nicht ausreichend berücksichtigt werden. Die Diskussion zeigte auf, dass Ressortkoordination und Kohärenz zwischen den Ministerien von entscheidender Bedeutung sind. Es wurde betont, dass eine holistische feministische Strategie nicht nur für die Außen- und Entwicklungspolitik, sondern auch für die Handels- oder Innenpolitik dringend erforderlich ist und es eine feministische Regierungsstrategie geben muss.
Veranstaltungsbericht geschrieben von Lara Franken & Laura Kräh
Veranstaltungsorganisation von Laura Kräh, Peter David Weiss, Lena Wittenfeld, Katharina Kuhn, Lara Franken, Marie Wredenhagen
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