POLIS IN PRACTICE, DIE ZWEITE

Polis in Practice – Digitalisierung als Motor politischer Teilhabe?

Nach dem Start am 1. Dezember letzten Jahres ging Polis in Practice nun in die zweite Runde. Diesmal mit dem Thema: Digitalisierung als Motor politischer Teilhabe? Diskutiert wurde über die fortschreitenden technologischen Veränderungen, die unser Verständnis von Demokratie und Politik nachhaltig verändern können. Thamy Pogrebinschi, Senior Researcher am WZB Berlin Social Science Center und Gereon Rahnfeld, Projektleiter bei Liquid Democracy e.V. haben den Teilnehmenden in kurzen Vorträgen eine Einführung in den Themenkomplex gegeben. Anschließend konnten die TeilnehmerInnen in Speedmeetings – kurze, etwa siebenminütige Diskussionen in Paaren – einzelne Fragen zum Thema diskutieren, welche wir hier aufgreifen.

Ein Mittel gegen die Politikverdrossenheit?

Googelt man “Politikverdrossenheit”, so erhält man ungefähr 237.000 Ergebnisse. Betrachtet man die Entwicklung der Mitgliederzahlen der beiden “Volksparteien” CDU und SPD seit 1990, stellt man einen konstanten Abfall fest. Die Mitgliederzahlen der SPD haben sich innerhalb der letzten 25 Jahre nahezu halbiert, bei der CDU sieht es lediglich geringfügig besser aus.

Das Internet könnte für die Politik hier einen bedeutenden Beitrag leisten. Nicht nur die Wahlbeteiligung bei Landtags- oder Bundestagswahlen könnte prinzipiell durch Online-Wahlmöglichkeiten gesteigert werden, auch kommunale Entscheidungen können durch Online-Tools für eine große Anzahl an Menschen geöffnet werden. Ein Beispiel für die Umsetzung einer solchen Beteiligungsmöglichkeit findet man in Seelze, einer Stadt bei Hannover. In Seelze wurde mit Seelzedirekt.de eine Onlineplattform gestartet, auf der interessierte BürgerInnen Themen für die politische Beratung vorschlagen oder ihre Meinungen in die Debatte einbringen können. Von der Streichung der Kindergartengebühren, über den Aufbau eines Lärmschutzes bis zur Sanierung von Straßen finden sich eine ganze Reihe unterschiedlicher Anträge, über die beraten und abgestimmt werden sollen.

Delegated Voting

Ein weiteres Beispiel, wie die Digitalisierung die politische Teilhabe verändern kann, ist das sogenannte Delegated Voting. Dabei steht es den WählerInnen frei, ob das Wahlrecht selbst ausgeübt werden soll, oder die eigene Stimme an jemand anderen weitergeben wird. Im Gegensatz zur normalen repräsentativen Demokratie kann die Weitergabe der Stimme hier jedoch jederzeit rückgängig gemacht und das Wahlrecht wieder selbst ausgeübt werden. Befürworter des Delegated Voting sehen in diesem Konzept die Möglichkeit, dass sich langfristig kompetente Personen herauskristallisieren, auf die sich die Stimmen dann häufen sollen. Dadurch stünde den BürgerInnen frei, ob sie ihr Wahlrecht selbst ausüben möchte, oder dieses an eine (vermeintlich) kompetentere Person weiterdelegieren möchten. Erst die zunehmende Verfügbarkeit des Internets und der stetig wachsende Zugang zu Computern machen dieses Konzept massentauglich.

Eine Plattform für die politischen Extreme?

Eine Grundvoraussetzung, um am politischen Geschehen teilzuhaben und seine eigenen Meinungen und Ideen in die Debatte einzubringen, ist ein prinzipielles Interesse an der Politik. Wenn dieses Interesse nicht vorliegt, führt auch das ausgeklügeltste System nicht zum Erfolg. Doch wo bereits Interesse besteht, kann das Internet diesem Interesse eine Plattform und Vernetzungsmöglichkeit bieten. Vielleicht gerade für solches Interesse, jenseits der politischen Mitte.

Denn wirft man einen Blick in die gängigen Social Media Kanäle zeichnet sich ein besonderes Bild der politischen Teilhabe im digitalen Raum: In Foren und Kommentarbereiche von Zeitungen und Nachrichtenportalen häufen sich Beiträge, die insbesondere den beiden Extremen des politischen Spektrums zugeordnet werden können. Auch wenn sich innerhalb Europas in vielen Ländern eine zunehmende Personenzahl für rechtspopulistische Parteien ausspricht, erscheint diese Ausprägung in solchen Foren deutlich stärker zu sein. Führt möglicherweise die Anonymität des Medium dazu, dass Menschen eher gewillt sind, ihren tatsächlichen Einstellungen Ausdruck zu verleihen, anstatt in Befragungen in einer ihrer Meinung nach sozial erwünschten Weise zu antworten? Oder ist es die unpersönliche Interaktion, die die Hemmschwelle für besonders polarisierende Einstellungen herabsetzt?

Digitalisierung schafft Wissen

Fördert die Digitalisierung nun die politische Partizipation? Dies lässt sich nicht eindeutig beantworten. Der Abbau von Beteiligungsbarrieren und der Gebrauch von Onlinetools kann, wie am Beispiel von Seelze, durchaus dazu führen, dass sich Menschen eher am politischen Geschehen beteiligen. Ein Selbstläufer ist dies aber nicht. Denn wer sich vorher nicht für Politik interessiert hat, wird durch das Internet nicht einfach so zu ihr finden. Was die Digitalisierung aber leisten kann, ist einen einfachen und flexiblen Zugang zu Wissen schaffen. Wissen, das dann als Grundlage für zukünftige politische Entscheidungen dienen kann. Niemals zuvor hatten Menschen einen schnelleren und umfassenderen Zugang zu Informationen wie im Zeitalter der Digitalisierung. Habe ich bisher gedacht, dass ich zu wenig weiß, um mich an der Debatte zu beteiligen, kann ich diese vermeintlichen Wissenslücken heutzutage schnell und unkompliziert schließen. So bringt man zumindest einige Personen in den politischen Prozess, die vorher nicht beteiligt waren. Alle wird man aber auch durch die Digitalisierung vorerst nicht erreichen. Vielleicht in Zukunft.

PROJEKTLEITERINNEN

Chris Abels

Christoph Abels studiert Public Policy an der Hertie School of Governance. Neben Stationen in verschiedenen Kommunikationsagenturen war er Trainee bei Rocket Internet. Zuvor hat er in Hagen seinen Bachelor in Psychologie erworben. Bei Polis180 verantwortet er das Projekt „Polis in Practice“, das der Vernetzung von Young Professionals aus Verwaltung und Consulting mit ExpertInnen aus Thinktanks dient.

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Julia Schuetze studiert Contemporary European Studies mit Transatlantic Track in England, den USA und Deutschland und arbeitet als Werkstudentin bei Wikimedia Deutschland e.V. Sie befasst sich bei Polis180 insbesondere mit Themen der Digitalpolitik.