SCHENGEN: BALD NICHT MEHR SO GRENZENLOS?

Das Schengener Abkommen erfreut sich in Europa anhaltender Unbeliebtheit – war es das also mit der Freizügigkeit? Dieser Frage ging die Veranstaltung „Schengen: begrenzt grenzenlos?“ in Berlin nach, organisiert vom Grassroots-Thinktank Polis180.

Ein Beitrag von Julia Korbik, veröffentlicht auf CaféBabel

 

30, fast 31 Jahre ist das Schengener Abkommen jetzt schon alt – und wie bei (auch nicht mehr ganz so) jungen Erwachsenen üblich streiten sich die Erwachsenen darum, was für das Kind denn jetzt das Beste ist. Das Problem: Schengens Eltern sind eher egoistisch als altruistisch und außerdem befinden sie sich gerade in einer Art Ehekrise. Nicht die besten Voraussetzungen, um reflektierte Erziehungsentscheidungen zu treffen. Statt sich untereinander abzusprechen, haben einige der Eltern einfach selbst entschieden – mit dem Ergebnis, dass Schengen fast 31 Jahre nach seiner Geburt nicht weiß, ob es seinen nächsten Geburtstag noch feiern wird.

Nein, es steht momentan nicht gut um das Schengener Abkommen. Die Flüchtlingskrise hat in einigen Ländern zur einer nationalstaatlichen Renaissance geführt. Seit November 2015 haben sechs Länder zeitweise wieder Grenzkontrollen eingeführt, darunter auch Deutschland. War es das also bald mit der europäischen Freizügigkeit? Ist dadurch die Europäische Integration bedroht, diese „ever closer union“, die plötzlich gar nicht mehr so eng wirkt?

„Schengen ist nie so unpopulär gewesen wie heute“

Diesen Fragen ging die Veranstaltung „Schengen: Begrenzt grenzenlos?“ am  Samstag in Berlin nach. Organisiert wurde das Ganze von Polis180, einem Grassroots-Thinktank für Außen- und Europapolitik. Der möchte jungen Leuten eine Plattform bieten, auf der sie jenseits parteipolitischer Linien diskutieren, innovative Ideen entwickeln und den Dialog mit Experten suchen können.

150 überwiegend junge Menschen fanden am Samstag den Weg ins Microsoft Atrium, um sich in drei Workshops mit Schengen als Symbol der Europäischen Integration zu beschäftigen. Den Auftakt machte aber erstmal Grünen-Politiker Jürgen Trittin. Der hielt eine launige Keynote-Rede, in der er gleich zu Anfang feststellte: „Schengen ist nie so unpopulär gewesen wie heute.“ Die nationale Abschottung sei aber „kurzsichtig und dumm“. Das Problem sei, so Trittin: „Ökonomische Aspekte interessieren in der aktuellen Debatte einen Scheißdreck.“ Dabei sei klar, dass ein Aussetzen des Abkommens wirtschaftliche Nachteile mit sich brächte. Auftritte in der Rede hatten außerdem Horst Seehofer alias „Crazy Horst“ sowie „Angry Bird“ Beatrix von Storch.

Unterschiedliche Interessen, unterschiedliche Kulturen

Die zweite Keynote hielt Roderick Parkes („Vor nicht allzu langer Zeit war ich selber noch jung, ich war die Zukunft“). Er arbeitet am EU Institute for Security Studies (EUISS) und nahm das Publikum mit auf eine „magical mystery tour“ durch einige europäische Hauptstädte. Ihm ging es vor allem um eins: Zu zeigen, dass hinter dem Schengener Abkommen schon immer ganz unterschiedliche Interessen steckten und jedes Land Schengen für sich anders interpretiert: „Schengen ist mehr als eine technokratische Idee – es ist verwurzelt in individueller Politik und Kultur.“

Nach diesen Einführungen in das Thema stand die Arbeit in den Workshops an, die sich verschiedenen Aspekten des Schengener Abkommens widmeten. In jedem Workshop waren Experten und Expertinnen zu Gast, die Impulse für die Diskussion gaben und Fragen beantworteten, darunter u.a. der luxemburgische Minister für Arbeit und Sozialwirtschaft Nicolas Schmit, ZEIT-Redakteur Martin Klingst, Elisabeth Kotthaus von der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin, dem syrischen Musiker Ali Hassan und Nina Hall von der Hertie School of Governance. Nicolas Schmit, der in Workshop 1 die wirtschaftlichen Aspekte von Schengen diskutierte, sieht die europäische Jugend in der Pflicht: „Ihr seid diejenigen, die jetzt laut werden müssen.“

Das Streben nach Glück

Dass all die theoretischen Diskussionen zwar wichtig sind, aber oft auch an der Realität vorbeigehen, zeigte am Ende eindrucksvoll Filmemacher Jakob Preuss. Er gehört, wie die meisten Besucherinnen und Besucher der Veranstaltung, zur sogenannten „Schengen-Generation“ – also eine Generation, die nie etwas anderes gekannt hat als offene Grenzen und Freizügigkeit in Europa. Preuss arbeitet gerade an einer Dokumentation über Flüchtlinge und hatte aufwühlende Bilder mitgebracht. „Ich bin mir nicht sicher, ob das sogenannte Schengen-Mindset jemals auf Solidarität basiert hat. Schengen hat sich vereinigt, um auszuschließen“, sagte Preuss.

Für seinen Film hat Preuss Paul begleitet, der vor der Armut aus Kamerun geflohen ist. Eine Szene zeigt Paul mit anderen afrikanischen Flüchtlingen, die von Marokko aus nach Spanien wollen, nach Europa. Dabei zeigen die Flüchtlinge Verständnis dafür, dass Europa seine Grenzen zunehmend dicht macht. Paul: „Es kann nicht ganz Afrika nach Europa kommen.“ Jakob Preuss ist davon überzeigt, dass Paul und die anderen sogenannten „Wirtschaftsflüchtlinge“ ein Recht auf den „pursuit of happiness“ haben, auf das Streben nach Glück. Und dieses Streben nach Glück, so Preuss, beinhalte eben mehr als nur ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen zu haben.

Sicherung der Grenzen? Klappt nicht

Preuss hat am berühmt-berüchtigten Zaun in der spanischen Stadt Mellila gefilmt, dort, wo die nächstgelegene marokkanische Stadt nur zehn Kilometer entfernt ist. Um die Flüchtlinge aus Afrika daran zu hindern, von Marokko aus nach Mellila zu gelangen, wurden hohe Zäune mit Bewegungsmeldern und Kameras errichtet. Jakob Preuss‘ Kamera hat erschütternde Bilder festgehalten – Bilder von Flüchtlingen, die von der Polizei gewaltsam vom Zaun heruntergezerrt werden. Die „Sicherung der Grenzen“ sei ein Euphemismus, so Preuss. Die europäischen Grenzen könnten nicht gesichert werden und deshalb sei eine radikale Politik der offenen Grenzen zumindest einen Versuch wert.

Was bleibt von „Schengen: Begrenzt grenzenlos?“. Vor allem zwei Erkenntnisse. Erstens: Schengen ist für junge Europäer und Europäerinnen so viel mehr als nur ein technokratischer Begriff, Schengen ist europäisches Lebensgefühl. Vor allem hat Schengen einen symbolischen Wert: Was passiert, wenn das Abkommen ausgesetzt wird? Welche Schritte der Europäischen Integration werden als nächstes rückgängig gemacht? Zweitens: Schengen mag im Streit der bevormundenden Eltern zerrissen werden, aber es kriegt Unterstützung von der Jugend Europas. Die weiß, was sie an Schengen hat – und muss jetzt dafür sorgen, dass ihre Stimme den Ehekrach durchdringt und gehört wird.

 

Detailliertere Informationen zum Event, Bilder und die Ergebnisse der einzelnen Workshops finden sich hier.

CaféBabel ist Medienpartner der Veranstaltung „Schengen: Begrenzt grenzenlos?“ und hat in Kooperation mit Polis180 eine Blogreihe zum Thema Schengen veröffentlicht. Bildquelle: Jens Schlüter.

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