BREXIT DIE FRAGE, KERNEUROPA DIE ANTWORT?

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Vergiss den Brexit, es lebe „Kerneuropa“? Kann der britische Austritt aus der EU durch ein Konzept von Karl Lamers und Wolfgang Schäuble verhindert werden? Karl Lamers und Manuel Sarrazin stellten sich diesen Fragen.

„Differenzierte Integration verlangt differenzierte Antworten“
Polis180 diskutiert mit Karl Lamers und Manuel Sarrazin über Kerneuropa und die britische Frage.

Wie soll die Europäische Union nach dem britischen Referendum im kommenden Jahr aussehen? Und wie steht es bei all dem um die Idee eines Europa der zwei Integrationslogiken? Ein Europa, das einen währungs- und wirtschaftspolitisch tief integrierten „Kern“ und einen loser gebundenen und den gemeinsamen Markt umfassenden „Mantel“ vereint? Könnte eine mögliche Antwort auf die „britische Frage“ im Sinne eines solchen „Kerneuropa“ ausfallen?

Polis180 diskutierte diese und zahlreiche weitere Fragen am 14. Oktober im Rahmen einer von Hertie fellows&friends und der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa unterstützten Veranstaltung mit Karl Lamers und Manuel Sarrazin. Der 1935 geborene CDU-Politiker Karl Lamers zählt sicherlich zu den herausragenden EuropapolitikerInnen seiner Generation. Einer breiteren Öffentlichkeit ist er insbesondere aufgrund seines Thesenpapiers zu „Kerneuropa“ aus dem Jahr 1994 bekannt. Der 1982 in Hamburg geborene Manuel Sarrazin ist bereits seit 2009 europapolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und eineR der hoffnungsvollsten EuropapolitikerInnen seiner, einer jüngeren Generation. Wer nicht physisch anwesend sein konnte, hatte zumindest über Twitter die Möglichkeit, die Debatte und ihre Schlüsselargumente live zu verfolgen.

Nachdem der Leiter des EU-Programms, Julian Zuber, sowie der Organisator der Veranstaltung und Präsident von Polis180, Christian Freudlsperger, kurze einleitende Worte an die mehr als 60 Anwesenden gerichtet hatten, ging es zwischen den beiden Diskutanten sogleich ans Eingemachte. Dank Fishbowl-Format stets aufs Neue durch die Wortbeiträge des Publikums angeregt, debattierten sich die beiden Gäste packend und kontrovers durch sämtliche Spielarten des Kerneuropakonzepts – von der Rolle des deutsch-französischen „Motors“ über die Position von Nicht-Euro-Staaten in einem ebensolchen Arrangement bis hin zur Frage nach der Finalität des europäischen Projekts.

Die Rollen waren dabei klar verteilt. Wie schon in einem kürzlich von den grünen ReformerInnen veröffentlichten Konzeptpapier sprach sich Manuel Sarrazin mit allem Nachdruck gegen ein Kerneuropa aus, das eigene Institutionen und Verfahren, wie etwa ein Eurozonenparlament, für sich beansprucht. Ad hoc-„Koalitionen der Willigen“, im Rahmen der bestehenden Verträge und Verfahren, könne er sich hingegen durchaus vorstellen. Er argumentierte, dass einerseits der deutsch-französische „Motor“ seit geraumer Zeit stillstehe und dass die Vorstellung alleinig deutsch-französischer Initiativen ohnehin ein Anachronismus sei. Vielmehr sollte sich die EU wieder verstärkt der Gemeinschaftsmethode zuwenden. Nur sie könne verhindern, dass sich die Nicht-Euro-Staaten, und damit auch Großbritannien, letztlich vom Kern abwenden.

Karl Lamers war da anderer Meinung. Für ihn ist Kerneuropa eine Frage des Pragmatismus. Wenn eine Gruppe von Ländern zu vertiefter Integration bereit ist, dann sollte sie von den anderen nicht daran gehindert werden können, noch nicht einmal von Großbritannien. Für die KontinentaleuropäerInnen stelle Kerneuropa demnach eine geeignete Antwort auf die „britische Frage“ dar, nicht aber für die BritInnen selbst, sollten sie auch künftig ein Veto in gesamteuropäischen Fragen für sich reklamieren. Des Weiteren ist Kerneuropa für Lamers nicht nur eine Frage des „Was“, sondern auch des „Wie“. Wie also verhält sich ein Mitgliedstaat gegenüber seinen PartnerInnen? Die BritInnen konnten sich, nach Lamers Lesart, in den vergangenen vierzig Jahren der wohlwollenden Unterstützung der europäischen PartnerInnen stets sicher sein. Es stelle sich nun die Frage, wie lange sich dieses Wohlwollen noch strapazieren ließe.

Überhaupt findet Lamers, dass Europa nur gemeinsam eine Zukunft oder gemeinsam keine Zukunft habe. In einem flammenden Appell richtete er das Wort an das Publikum und konstatierte, es sei Aufgabe der kommenden Generation, weiter aktiv am europäischen Projekt zu bauen. Für Polis180 hat die Arbeit eben erst begonnen…

PROJEKTLEITER

Christian Freudlsperger

Christian hat in München und Paris Politikwissenschaften studiert und promoviert zurzeit an der Hertie School. Praktika brachten ihn nach London und Brüssel. Er ist einer von zwei PräsidentInnen von Polis180 und unter anderem für Website und Blog verantwortlich. Er engagiert sich außerdem im Programm EU, so etwa im Rahmen des Kerneuropaevents.

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